Alleinerziehende Väter, schlaue Töchter und sprechende Waschbären

Flix erzählt in der Comicstrip-Serie „Glückskind“ vom ganz alltäglichen Wahnsinn des Zusammenlebens einer ungewöhnlichen Kleinfamilie

Von Anna StemmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anna Stemmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Comicstrip-Serie Glückskind publiziert der Zeichner Flix seit 2015 wöchentlich in der FAZ. Im Zentrum steht darin die Familie Glück, bestehend aus Vater Phil, Tochter Josi und Waschbär Rocco. Die für das Zeitungsformat stilprägenden Streifen im Querformat erscheinen nun erstmals gesammelt und in leicht überarbeiteter Fassung im quadratischen Format als Buch. Der Beginn des Sammelbandes zeigt im Vorsatzblatt bezeichnenderweise eine fingierte Zeitungsannonce, die einen Landsitz im Grünen in der Nähe Berlins unter dem Motto „Großstadtmüde?“ als „ruhige, romantische Schriftstellerklause im naturnahen Nirgendwo“ bewirbt. Eben dorthin, in die Einöde, verschlägt es den jungen Vater Phil mit seiner Tochter. Dass in dieser Familienkonstellation die Mutter verlorengegangen ist, deutet das Vorsatzblatt ebenso an: Unter der erwähnten Anzeige ist ein Foto von drei Personen abgebildet, wobei das Gesicht der Frau durch den Zeitungsauschnitt überlagert wird. Der Umzug in die neue Wohnlage wird damit auch als möglicher Reflex auf einen Verlust lesbar.

Die darauffolgenden Kurzcomics sind auf je einer Seite in sich abgeschlossen, zeigen kleinere Episoden aus dem neuen Leben auf dem Land und setzen sich, analog zum wöchentlichen Erscheinungsrhythmus in der FAZ, zu einer losen Gesamtgeschichte zusammen. Schrittweise und subtil wird dabei in einigen Episoden auch die Abwesenheit der Mutter thematisiert, im eigentlichen Zentrum aber steht Tochter Josi, die in dem Waschbären Rocco einen neuen Freund findet und zum Leidwesen des Vaters gemeinsam als dynamisches Duo agiert. Diese Grund- und Konfliktkonstellation wird in den einzelnen Folgen immer wieder geschickt variiert, ironisch gebrochen oder mit weiteren Figuren aus der Nachbarschaft ergänzt. So entfaltet die Sammlung der Strips in Buchform eine ganz eigene Dynamik und setzt sich zum Mosaik der Familiengeschichte zusammen.

Interessant an den Comicstrips sind verschiedene Aspekte, die im gewohnt detailreichen und dynamischen Stil von Flix ins Bild gesetzt werden: Die Stadtflucht, hinein in den Sehnsuchtsort der Natur als Idyll durchzieht die einzelnen Strips leitmotivisch und offenbart einen romantischen Blick auf die Natur, was sich auch im dargestellten Kindheitsbild fortsetzt. Josi wird als Kind inszeniert, das seinen eigenen Kopf hat, dem Vater gern in schnippischen Argumentationen einen Strich durch die Rechnung macht – stets auf der Grenze zum altklugen Besserwisser –, sich aber auch ganz dem phantasiereichen Spiel im Außenraum hingibt. Immer wieder finden sich Strips, in denen Josis individuelle Mitsicht eines fantastischen Spiels die ‚reale‘ Sichtweise überlagert. Darin transportiert sich eine immer noch wirkmächtige Vorstellung von der Kindheit als goldenes Zeitalter, das mit dem Eins-Sein der Figur mit der Natur korreliert, der eine rational-erwachsene Weltsicht gegenübersteht, hier vertreten durch den Vater.

Als Zwischenfigur von realer und imaginierter Ebene erscheint im Figurengefüge Waschbär Rocco, denn während Vater Phil in ihm eine Gefahr für seine Tochter sieht, unterhält sich Josi rege mit ihm und erlebt gemeinsame Abenteuer. Dass comicaffinen LeserInnen dabei Parallelen zum Klassiker Calvin und Hobes von Bill Watterson auffallen, ist sicher kein Zufall, denn Flixʼ Serie erweist sich als entsprechende Hommage, ohne die Vorlage einfallslos abzukupfern. Rocco ist hier nicht allein das Produkt der Fantasie von Josi, sondern tatsächlicher Akteur, wie an einer Stelle in der Figurenrede Roccos als augenzwinkernde Metareferenz markiert wird: „Dein Vater gibt mir das fabelhafte Gefühl, ein ernst zu nehmender Teil dieser Welt zu sein.“ Entgegen der Konstruktion bei Watterson zeigt Flix den kindlichen Begleiter eben nicht als bloßes Produkt der Fantasie des Kindes, sondern als tatsächlich lebendigen Teil der erzählten Welt. Im Zentrum stehen entsprechend humorvolle Episoden in schwungvollem Ton, die sich durch gute Situationskomik, aber auch kluge und hintersinnige Dialoge entfalten. Insbesondere zwischen Josi und Rocco entwickelt sich eine stimmige Dynamik: „Rocco, ich muss dich Domestidingsen, damit ich mit dir spielen darf. Sagt Papa. – Wenn das bedeutet, dass ich eine Unterhose tagen muss, forget it!!!“

Gleichzeitig entwickeln sich die Strips an vielen Stellen auch zum zeithistorischen Seismographen der letzten Jahre, etwa wenn Josi die „Willkommenskultur“ ihres Vaters kritisiert, der sich und sein Haus hinter Zäunen und Mauern vor dem „wilden Tier“ abschotten will. Nonchalant fließt so eine Kritik an rechtspopulistischer Rhetorik ein, denn auch Vater Phil postuliert: „Ich habe ja nichts gegen Wachbären, aber der und wir, das passt einfach nicht zusammen.“ Liest man die Strips nicht nur auf ihrer bloßen Handlungsebene, dann ergeben sich zahlreiche Schnittstellen zu aktuellen Diskurskämpfen und Positionierungen, die in den Figuren ihre Entsprechung finden. Gelungen ist dabei auch die gleichzeitig realisierte Vielschichtigkeit der Figuren, der Vater wird nicht eindimensional gezeichnet, sondern darf verschiedene Facetten zeigen. Wiederkehrendes Leitthema ist sein Beruf als Schriftsteller, inklusive Schreibblockaden und den Begleiterscheinungen des Freiberuflerdaseins. So bieten die Episoden vielseitige Verknüpfungen und zeichnen sich durch ihre gelungene Mehrfachadressierung aus. Die Glückskind-Strips sind ein interessantes, humorvolles und lesenswertes Sammelsurium, das auf unterschiedlichen Ebenen funktioniert.

Titelbild

Flix: Glückskind. Band 1.
Carlsen Verlag, Hamburg 2017.
96 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783551783868

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