Bildungsaufsteiger – nicht auf dem Weg in den Terrorismus
Die Akten der Studienstiftung des deutschen Volkes über das Führungstrio der RAF werden publik
Von Dirk Kaesler
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSpätestens nach dem 14. Mai 1970 – der sogenannten „Befreiung“ von Andreas Baader im Lesesaal des Westberliner „Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen“ durch Irene Goergens, Ingrid Schubert und Astrid Proll, unter aktiver Mithilfe von Ulrike Meinhof – sprachen die Medien und die Politik von der „Roten Armee Fraktion“ (RAF) als einer „Terrororganisation“. In ihrem Selbstverständnis sahen sich ihre Mitglieder als eine kommunistische, antiimperialistische Stadtguerilla, ähnlich dem südamerikanischen Vorbild der Tupamaros in Uruguay. Schon sehr bald nach diesen ersten Aktionen, die zunehmend gewalttätiger und blutiger verliefen, tauchten Gerüchte darüber auf, dass einige der führenden Mitglieder der RAF Stipendiaten der „Studienstiftung des deutschen Volkes“ seien.
Vor 91 Jahren wurde die „Studienstiftung des deutschen Volkes“ – man beachte bitte das kleingeschriebene „d“ – gegründet. Seit dem 29. Januar 1925 fördert sie – mit einer 14-jährigen Unterbrechung in den Jahren 1934 bis 1948 – Studierende, „deren Begabung und Persönlichkeit besondere Leistungen im Dienst der Allgemeinheit erwarten lassen“. Wenn Reinhard Zimmermann, der gegenwärtige Präsident der Studienstiftung, in seinem Vorwort zum soeben erschienenen Band mit den Akten zu Ulrike Meinhof, Horst Mahler und Gudrun Ensslin schreibt, die Tatsache, dass diese drei zu den von der Studienstiftung Geförderten zählten, sei „ja allgemein bekannt“ – und dabei auf den Eintrag bei Wikipedia verweist –, dann ist das eine zumindest anachronistische Behauptung: Sehr lange Zeit wurde darüber in der Studienstiftung eher hinter vorgehaltener Hand gesprochen, galt es doch dem Verdacht entgegenzutreten, das Geld der deutschen Steuerzahler sei zur Unterstützung linksterroristischer Gewaltverbrechen verwendet worden.
Es mag nachvollziehbar sein, dass der Rezensent dieses Buches – selbst ehemaliger Stipendiat – die soeben erstmals publizierten Dokumente über diese drei ehemaligen Mit-Stipendiaten mit ganz besonders geschärftem Interesse las. Es sollte dabei betont werden, dass alle nunmehr publizierten und streckenweise sehr persönlichen, geradezu intimen Dokumente aus Zeiten stammen, bevor diese drei Personen die RAF gründeten. Nun kann alle Welt jene vollständigen Akten mit Lebensläufen, Gutachten, Semesterberichten und der begleitenden Korrespondenz lesen, die jahrzehntelang weder der allgemeinen Öffentlichkeit noch der Wissenschaft zur Verfügung standen. Nicht einmal der damalige Generalbundesanwalt durfte bei seiner Vorbereitung der Terroristenprozesse in den 1970er Jahren Einblick in diese Unterlagen nehmen, da die Studienstiftung sich dazu verpflichtet hatte, dem Gebot der absoluten Vertraulichkeit und damit der Nicht-Weitergabe der Akten zu folgen.
Herausgegeben werden diese Texte von Alexander Gallus, Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Technischen Universität Chemnitz, zu dessen bisherigen Forschungsschwerpunkten die deutsche Zeit- und Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts zählen. Bekannt wurde Gallus bisher durch eine Arbeit über die „vergessene Revolution“ von 1918/19 (2010) und über den „politischen Antisoziologen“ Helmut Schelsky (2013). Auf seine Initiative hin und durch die tatkräftige Unterstützung seitens der ehemaligen Generalsekretäre Hartmut Rahn und Gerhard Teufel beschloss der Vorstand der Studienstiftung, das Vorhaben der Edition der Akten Meinhof, Mahler und Ensslin zu unterstützen, nachdem der unmittelbar Betroffene Horst Mahler – der eine zehnjährige Gefängnisstrafe wegen Volksverhetzung in der JVA Brandenburg an der Havel verbüßt – zugestimmt hat, ebenso wie die Angehörigen der beiden toten Frauen: bei Ulrike Meinhof ihre Töchter Bettina und Regine Röhl und bei Gudrun Ensslin deren Sohn Felix.
Was findet der heutige Leser also nun in diesem Band? Eine referierende Einführung durch den Herausgeber Gallus sowie die kompletten Akten der drei Stipendiaten, die – wie bei allen Geförderten – bestehen aus: Bewerbungsunterlagen samt Personalbogen, Lebenslauf, Unterstützungsgutachten der Schule oder Hochschule, die gutachtlichen Stellungnahmen der „Vorprüfer“ und des Ausschussmitgliedes, die Semesterberichte, die Gutachten der Vertrauensdozenten und der Fachgutachter sowie die kompletten Korrespondenzen, in denen es um Verlängerungsanträge, Auslandsaufenthalte und Adressenänderungen ging.
Ulrike Meinhof und Horst Mahler wurden jeweils 1954 von ihren Schulen für die Förderung durch die Studienstiftung vorgeschlagen, und beide wurden 1955 aufgenommen. Mahler wurde bis 1959 gefördert, Meinhof bis 1960. Gudrun Ensslin wurde 1960 von ihrer Schule vorgeschlagen, eine Förderzusage erhielt sie aber erst 1964, nachdem zwei Bewerbungsanläufe erfolglos waren, ihre Förderung endete im Juni 1968.
Um wenigstens anzudeuten, wie zum Nachdenken anregend diese Lektüre sein kann, sei an dieser Stelle auf die „Akte Meinhof“ kursorisch eingegangen. Die Vollwaise, die nach dem Tod der Mutter unter der Vormundschaft der friedensbewegten Pädagogik- und Geschichtsprofessorin Renate Riemeck aufwächst, wird Mitte der 1950er Jahre von ihrer Schule – dem Gymnasium Philippinum in Weilburg an der Lahn – für ein Stipendium der Studienstiftung vorgeschlagen. Alle Gutachter im Aufnahmeverfahren sind beeindruckt von ihrer Klugheit und menschlichen Reife. Ihr Klassenleiter attestiert ihr eine „überragende Begabung“ in Deutsch und Neuen Sprachen, sie sei „eine wesentliche Stütze des Schulorchesters“ und sie sei insgesamt ein „klarer und sachlicher Mensch“ und „fühle eine tiefe Verantwortung für die geistige und moralische Ausrichtung ihrer Mitschüler“. Auch die Vorprüfer sehen in Ulrike Meinhof eine „in sich geschlossene, harmonisch gewachsene, kluge und offenbar menschlich sehr schätzenswerte Persönlichkeit. Kluge, ruhig bescheidene, aber feste Entschiedenheit in ihrem Urteil. Vertritt eigene Meinung taktvoll und bestimmt.“
Ihr Studium der Pädagogik und Psychologie, für einige Zeit auch der Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte, führte sie zunächst nach Marburg, später nach Wuppertal, Münster und Hamburg. Als es um die „endgültige Aufnahme“ nach drei Studiensemestern ging, ähneln sich die Urteile denen der Vorschlagenden, so etwa wenn ihr Vertrauensdozent, der Marburger Theologe Ernst Benz, davon berichtet, dass Fräulein Meinhof von einer „betont religiösen christlichen Einstellung“ geprägt sei, die ihr zu einer „großen inneren Freiheit“ verhelfe. Auch wenn die Fachgutachterin, die Marburger Pädagogin Elisabeth Blochmann, die Gefahr zu erkennen glaubte, dass Ulrike Meinhof dazu neige, „Probleme theologisch zu radikalisieren“, wurde sie in die endgültige Förderung aufgenommen.
Ulrike Meinhof strebte eine damals nicht unübliche Direktpromotion an, engagierte sich mit der Zeit aber immer stärker politisch, vor allem im „Studentischen Arbeitskreis für ein kernwaffenfreies Deutschland“ und dann vor allem publizistisch innerhalb der weit verbreiteten linken Studentenzeitung „konkret“. Dass dieses Organ in jenen Jahren wesentlich von der SED finanziert und Meinhof Mitglied der illegalen KPD wurde, davon ahnte in der Studienstiftung damals niemand etwas. Gleichwohl drängte der Meinhof betreuende Referent Hartmut Rahn – der spätere Generalsekretär der Studienstiftung – Ende der 1950er Jahre darauf, Meinhof möge stärker dem vorrangigen Stipendienzweck entsprechen, sich auf die Dissertation konzentrieren und ihre journalistische Arbeit einschränken. Warum Ulrike Meinhof nicht daran dachte, sich allein ihren wissenschaftlichen Vorhaben – eine Dissertation über den Philosophen und Pädagogen Eberhard Grisebach – zu widmen, kann man dem Bericht zum Sommersemester 1958 entnehmen: „Die Ablehnung der westdeutschen Rüstungspolitik und die Sorge um die innere Festigkeit unserer formal intakten Demokratie schienen mir den Einsatz an Zeit und Kraft wert, die ich in diesem Semester durch meine Tätigkeit im studentischen Arbeitskreis für ein kernwaffenfreies Deutschland von meinem Studium abzweigte.“
Nach einem Gespräch mit ihrem Hamburger Vertrauensdozenten, dem Juristen Rudolf Sieverts – später Rektor der Universität Hamburg – verlängerte die Studienstiftung Meinhofs Stipendium über das ursprünglich gesetzte Förderende vom 31. Dezember 1959 hinaus zunächst bis zum 31. März 1960. Eine weitere Unterstützung bis Ende 1960, wie sie Meinhof beantragte, wurde an die rechtzeitige Vorlage eines Dissertationsentwurfs samt gutachtlicher Kommentierung durch Meinhofs Doktorvater gebunden. Da sie beides beizubringen schuldig blieb, schied sie Ende März 1960 als Stipendiatin aus.
Die Studienstiftung stellte ihr jedoch eine „Übergangsbeihilfe“ in Aussicht, sollte sie die Arbeit an der Dissertation wieder aufnehmen. Anfang Juni 1960 traf sie sich deswegen in Hamburg nochmals mit dem für sie zuletzt zuständigen Referenten und kündigte ihm eine Rückkehr nach Münster an, um ihre Aufmerksamkeit fortan der Dissertation zu widmen. Es folgte monatelanges Schweigen, und ihr Referent teilte Ulrike Meinhof mit, dass ihm dieses Verhalten „großes Kopfzerbrechen“ bereite. Zu einer Wiederaufnahme der Förderung kam es nicht. Als Ulrike Meinhof im April 1966 das letzte Mal ausführlicher mit der Studienstiftung in Kontakt trat, schrieb sie, sie werde in der Stipendiatenkartei wohl als „schwarzes Schaf“ geführt. Selbstbewusst endete ihr Schreiben: „Bin ich doch […] der Ansicht, daß die Förderung, die mir durch die Studienstiftung zuteil wurde, keine Fehlinvestition war, keine Fehleinschätzung meiner Person, will sagen, daß – obwohl ich keinen Studienabschluß ordentlicher Art gemacht habe – meine heutige Tätigkeit [als Publizistin] die damalige Förderung meines Studiums rechtfertigt, ich dafür nach wie vor – trotz jahrelangen Schweigens – sehr sehr dankbar bin.“
Auch die Akten der beiden anderen Leitfiguren der Ersten Generation der RAF, Horst Mahler für die Jahre 1955 bis 1959 sowie Gudrun Ensslin zwischen 1964 und 1968, sind ähnlich persönlich und informativ. Wenngleich Meinhofs Unterlagen im publizistischen Bereich Tendenzen einer linken Radikalisierung erkennen lassen und Ensslin sogar während ihrer Studienförderung verhaftet und im Frankfurter „Kaufhausbrand-Prozess“ verurteilt wurde – ihre Referentin in der Studienstiftung, Uta Zuppke, besuchte sie während ihrer Gefängniszeit in der Frauen-Haftanstalt Frankfurt-Preungesheim –, so liefern die in den Akten gesammelten Unterlagen vor allem ausführliche Hinweise auf berufliche Pläne und persönliche Entwicklungen, die dann zumeist nicht eingetreten sind. Alternative Lebensverläufe schienen möglich und erwartbar, und dass dann alles ganz anders kam, lässt sich aus den Akten nicht ablesen. Nur mit einer – wissenschaftlich unzulässigen – retrospektiven Betrachtungsweise könnte man in das Gutachten eines der Vorprüfer von Gudrun Ensslin – dem Stuttgarter Oberstudiendirektor Walter Haußmann – solche Hinweise hineinlesen, wenn dieser von einer „rücksichtslosen Offenheit und Unerbittlichkeit in der Sache“ berichtet, so dass „mögliche Konflikte mit Autoritäten recht wahrscheinlich“ sein dürften. Selbst der Herausgeber Gallus scheint dieser Gefahr nicht ganz entgangen zu sein, wenn er abschließend schreibt: „Aus den Unterlagen Meinhofs, Mahlers und Ensslins lassen sich eigenwillige Querköpfe herauslesen und Tendenzen einer linken Politisierung, vereinzelt auch Radikalisierung oder wenigstens gesinnungsethischen Rigorosität erkennen.“
Bleibt abschließend der Frage nachzugehen, ob jene vielen Menschen, die in den 1950er und 1960er Jahren dafür sorgten, dass Ulrike Meinhof, Horst Mahler und Gudrun Ensslin von der Studienstiftung gefördert wurden, „falsch“ gehandelt haben. Hätten Vorschlagende, Gutachter, Vertrauensdozenten und Referenten erkennen müssen, erkennen können, dass sich hier ein Gewaltpotential bildet, auf dessen Gesamtkonto über 30 Morde an Führungskräften in Politik, Wirtschaft und Verwaltung, deren Fahrern, an Polizisten, Zollbeamten und amerikanischen Soldaten, Geiselnahmen, Banküberfälle und Sprengstoffattentate gehen? Die hier versammelten Akten sprechen dazu ein ganz eindeutiges Bild: Nein, das war nicht nur nicht zu erkennen, es war den drei Menschen in jener Phase ihres Lebens selbst nicht bewusst, wahrscheinlich nicht einmal vorstellbar. Alle drei Studenten verfügten über ein „ausgeprägtes, oft überschäumendes Gerechtigkeitsempfinden“, wie ihnen der Herausgeber Gallus attestiert, sie haben als „philosophische Köpfe studiert“, aber weder in den Gutachten noch in den eigenen Berichten über ihre jeweiligen Studienverläufe seien „Anzeichen für Terrorismus und Gewalt“ zu erkennen. Geradezu wohltuend ist es, wenn man liest, dass der Vertrauensdozent von Gudrun Ensslin, der Berliner Jurist Ernst Heinitz – der später auch ihr Verteidiger im Strafprozess werden sollte – bereits 1968 schrieb: „Wir in der Studienstiftung sehen nicht ohne Besorgnis, dass die Begabtesten, Sensibelsten und Kritischsten es sind, die sich nicht mit den Verhältnissen abfinden wollen und die auf Abwege kommen.“ Insofern erscheint es dem Rezensenten dieses Buches schon fast eine suggestive und unzulässige Extrapolation zu sein, wenn der letzte Satz der Einführung des Herausgebers Gallus lautet: „Auf einer Veranstaltung oder Sommerakademie der Studienstiftung sind Ulrike Meinhof, Horst Mahler und Gudrun Ensslin nie zusammengetroffen. Den Sommer 1970 aber sollten sie und weitere RAF-Mitstreiter gemeinsam verbringen: in einem militärischen Ausbildungscamp der Al Fatah in Jordanien.“ Was genau hat dieser Hinweis mit der Studienstiftung zu tun?
Gerade wegen solcher Insinuation las ich mit großer Zustimmung, was der derzeitige Präsident der Studienstiftung, der Hamburger Jurist Reinhard Zimmermann, im Jahr 2016 zu eben diesen Fragen schrieb: „ Leitlinie für die Arbeit der Studienstiftung muss sein, dass sie gerade auch ‚schwierigen‘ Charakteren, Menschen mit Ecken und Kanten, solchen, die an den herrschenden Verhältnissen leiden, ja an ihnen verzweifeln, Stipendiaten in Sinn- und Lebenskrisen (sofern sie die im ‚Leitbild‘ der Studienstiftung konkretisierten Aufnahmekriterien erfüllt haben) Unterstützung und bestmögliche Förderung gewährt.“ Und so besteht nach Lektüre dieses wichtigen Buches keinerlei Grund dafür, dass sich die Studienstiftung – die ja immer nur das Firmenschild für das Zusammenwirken einer Vielzahl von Menschen sein kann –für diese drei ehemaligen Stipendiaten schämen müsste.
Auch den Herausgeber Gallus scheint diese Diskrepanz zwischen der Förderungszeit und den anschließenden Jahren des Terrors beschäftigt zu haben, wenn er äußerte: „Als Stipendiaten stellten die drei skrupulöse ethische Überlegungen an; später waren ihre ideologischen Muster sehr simpel und roh. Es irritiert mich, wie solch feinfühlige Personen umschalteten in einen Kampfmodus, der Gewaltexzesse zuließ und alle Menschlichkeit auf Schemen zusammenschrumpfte. Nach Lektüre der Akten lassen mich diese Texte vollkommen ratlos zurück. Gerne hätte ich den Anfang vom Ende in den Akten gefunden, doch überzeugende Indizien fehlen.“ In den hier versammelten Akten lassen sich keinerlei Spuren späterer Terroristen erkennen. Auch deshalb sind sie ein beunruhigender Beleg für die Tatsache, wie unmöglich sich Biografien, die im Terrorismus enden, prognostizieren lassen. Wer kann vorhersagen, welche Akten in wiederum fünfzig Jahren veröffentlicht werden?
Als Nachbemerkung – und auch zur selbstkritischen Reflexion über meine eigene Lesart dieses Buches – sei festgehalten, dass ich beim Thema Studienstiftung des deutschen Volkes befangen bin: Nach einem „Hochschulvorschlag“ – in jener Zeit neben dem „Schulvorschlag“ der zweite Weg, um in das Auswahlverfahren zu gelangen – wurde ich nach erfolgreichem Durchlauf der diversen Aufnahmestationen während meines eigenen Studiums in den Jahren 1967 bis 1972 von der Studienstiftung materiell und ideell gefördert. Ohne diese Förderung hätte ich mein Studium in München und London niemals so anlegen können, wie ich das getan habe. – Als freiwillige „Gegengabe“ für diese Förderung wirkte ich in den Jahrzehnten 1972 bis 2008 in unterschiedlichen Gremien der Studienstiftung mit: in Auswahlausschüssen, als Fachgutachter und als Vertrauensdozent in München, Hamburg und Marburg, an den beiden letzten Orten diente ich jeweils sechs Jahre als „Federführender Vertrauensdozent.“
Auf meine Anregung hat einer meiner Doktoranden, Thomas Spiegler, eine Arbeit vorgelegt, in der er unter den gegenwärtigen Stipendiatinnen und Stipendiaten jene interviewt und untersucht hat, die als „Bildungsaufsteiger“ gelten; darin unterscheidet er drei Typen für deren Aufstieg: Expeditionsteilnehmer, Backpacker, Auswanderer (Thomas Spiegler: Erfolgreiche Bildungsaufstiege. Ressourcen und Bedingungen. Weinheim/Basel: Beltz Juventa 2015). Ebenso wie die ehemaligen Stipendiaten Ulrike Meinhof und Horst Mahler gehöre auch ich ganz eindeutig zu jenem Typus, den er „Backpacker“ genannt hat, bei dem also der Bildungsaufstieg aus Sicht des Herkunftsmilieus eher eine wenig vertraute, mit Unsicherheiten verknüpfte Option darstellte, für die aber familiale Offenheit herrschte. Die engagierte Unterstützung durch Menschen außerhalb des Familiensystems – insbesondere Lehrer in den Schulen und an den Universitäten – lieferte wie bei Meinhof und Mahler auch in meinem Fall die entscheidenden Aufstiegsressourcen und Aufstiegsbedingungen. Der Band gibt keine Auskunft darüber, warum diese beiden Bildungsaufsteiger – und auch nicht bei Gudrun Ensslin, die aus dem bildungsbürgerlich gefestigten Milieu eines protestantischen Pfarrhauses aus dem Schwäbischen stammte – ihren Weg in das terroristische Umfeld suchten und fanden. Biographien, das kann man auch aus diesem überaus lesenswerten Band lernen, sind nicht wirklich voraussehbar. Darum kann nur vor jeder retrospektiven Betrachtungsweise gewarnt werden, auch wenn das – wie in diesem Fall – die Marktchancen steigert: Die Studienstiftung des deutschen Volkes kann eher stolz darauf sein, diese hochbegabten und leidenschaftlichen Menschen in einer formativen Phase ihres Lebens unterstützt und gefördert zu haben. Dafür, was aus diesen drei Menschen nach der Zeit ihres Studiums wurde, trägt die Studienstiftung des deutschen Volkes keine Verantwortung.
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