Auf der Suche nach dem hellen Licht der Wahrheit
Im dritten Roman um ihre Ermittlerin Claire DeWitt führt Sara Gran den Leser über zwei Stationen tief in die Vergangenheit dieser grandiosen Figur
Von Dietmar Jacobsen
Jemand hat versucht, die selbsternannte „beste Detektivin der Welt“ zu töten. Das Mordwerkzeug: ein Claire DeWitts Kia an Masse und Kraft weit überlegener Lincoln, Baujahr 1982. Der Täter: ein dünner Mann mit hellblonden Haaren, der Sara Grans Detektivin, die in Das Ende der Lügen ihren dritten Auftritt hat, an Jay Gleason erinnert, einen der eigenwilligsten Schüler des legendären Jaques Silette, an dem und dessen Meisterwerk Détection sich auch Claire orientiert. Aber warum sollte einer der letzten übriggebliebenen „Silettisten“ eine Glaubensgenossin ermorden wollen? Und was hat die verrückte Tat mit einer merkwürdigen Annonce zu tun, auf die Claire kurz zuvor geantwortet hat?
Wer die beiden vorangegangenen Romane Sara Grans um ihre unkonventionelle Heldin – Die Stadt der Toten (2012) und Das Ende der Welt (2013), beide auf Deutsch im Droemer Verlag erschienen – gelesen hat, wird sich in Das Ende der Lügen schnell hineinfinden. Denn nach wie vor beschäftigt Claire das traumatische Erlebnis des Verschwindens ihrer Teenagerfreundin Tracy im Jahr 1985. Und nach wie vor hangelt sie sich – dabei Rauschmitteln aller Art nicht abgeneigt – anhand der dunkel-geheimnisvoll klingenden Lehrsätze aus Détection durch ihr Leben als Detektivin und zahlreiche Fälle, denen sie so versponnene Namen gibt wie „Der Fall der Stummen Eule“ oder „Der Fall des Smaragdgrünen Pfaus“. Dabei interessiert Claire vor allem die Wahrheit hinter den Dingen. Zu der vorzudringen, kann allerdings gefährlich sein. Denn wie hat es Silette in seinem 123-Seiten-Brevier so schön auf den Punkt gebracht: „Niemand heißt die Wahrheit willkommen. Wer sie gefunden hat und auf sie hinweist, darf keine Glückwünsche und keinen Dank erwarten.“
Das Ende der Lügen verbindet Geschichten auf drei Zeitebenen, die auf den ersten Blick wenig miteinander gemeinsam zu haben scheinen. Von Oakland bis Las Vegas führt Claire 2011 die Jagd auf den Mann, der ihr zu Beginn des Romans nach dem Leben trachtet. Ins Jahr 1999 zurück und nach Los Angeles gerät der Leser mit dem Fall eines tödlich verunglückten Künstlers. Der galt eigentlich bereits als gelöst. Doch als Grans Heldin – um der Lizenz willen, die man braucht, um in Kalifornien als Detektivin arbeiten zu können – noch einmal der hinter dem Tod des Mannes stehenden Geschichte nachgeht, kommt sie zu erstaunlichen neuen Erkenntnissen. Am weitesten zurück schließlich führt die noch immer unabgeschlossene Geschichte des plötzlichen Verschwindens einer der drei jugendlichen Ermittlerinnen, die sich 1985, inspiriert von der erfolgreichen Comic-Heftreihe um die taffe Detektivin Cynthia Silverton, daranmachten, selbst Meisterinnen im Lösen komplizierter Fälle zu werden.
Doch so exakt man die drei Ebenen auch zeitlich und räumlich voneinander trennen kann, innerlich sind sie eng miteinander verflochten. Denn während die beiden zurückliegenden Fälle davon handeln, dass in ihnen Menschen verloren gehen, aus ihrer Lebenswelt herausfallen, als wären sie nie ein Teil von ihr gewesen, hält sich die Wahrheit auf der Gegenwartsebene in einem ebenfalls verschollenen, weil nie in den Verkauf gekommenen letzten Cynthia-Silverton-Comic versteckt, der Nummer 201 der Reihe. Als Claire am Ende des Romans endlich einen der noch existierenden fünf Probedrucke des Heftes – die Ausgabe selbst konnte nicht gedruckt und vertrieben werden, nachdem die Druckerei bei einem Brandanschlag in Flammen aufging – in den Händen hält, scheint sie deshalb so nahe an der Lösung ihres Lebensrätsels zu sein wie noch nie zuvor.
Bei den Abenteuern der „besten Detektivin der Welt“ fühlt man sich genauso an die Filme von David Lynch erinnert wie an die postmodernen Romanwelten eines Thomas Pynchon: Nichts scheint hier unmöglich zu sein, weil sich alles innerhalb einer Universums zuträgt, das mit dem unsrigen zwar durch zahlreiche Fäden verbunden ist, letztlich aber doch ganz eigenen (literarischen) Gesetzen gehorcht. Gran selbst beruft sich, fragt man sie nach Vorbildern für ihre Figur, unter anderen auf Rex Stouts Nero-Wolfe-Romane, Raymond Chandlers Philip-Marlowe-Reihe und die Werke von Andrew Vachss und James Sallis. Unbestritten dürfte sein, dass die bisher vorliegenden drei Romane um eine Detektivin auf der Suche nach sich selbst und der Wahrheit nicht nur einen ganz neuen Ton in die Thriller-Literatur gebracht, sondern auch kräftig dazu beigetragen haben, das immer noch lebendige Dichotomiemodell von Literatur hier und Kriminalroman da zu untergraben. Das Ende der Lügen jedenfalls darf für sich beanspruchen, beides zu sein: herrlich versponnener Kriminalroman und großartige Literatur.
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