Dracula im Postkommunismus

In ihrem Roman „Die nicht sterben“ begibt sich die Autorin Dana Grigorcea auf die Spuren des berühmtesten aller Vampire ins gegenwärtige Rumänien

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vampire, Dracula, Altkommunisten, das bedrohliche rumänische Hinterland: Die Voraussetzungen für eine Reise in eine unbekannte, bedrohliche Welt sind im neuen Roman der rumänisch-schweizer Autorin Dana Grigorcea schon mal gegeben, zumal der Verlag auf dem Klappentext ankündigt, dieser „atemberaubend, atmosphärische Romans“ sei „schaurig, tiefgründig, archaisch“ und somit insinuiert – tatkräftig unterstützt von der gefährlich anmutenden Fledermaus auf dem Cover –, er bediene das gerade äußerst beliebte Subgenre des Folk Horror, dem wir bei literaturkritik.de ja im Juli bereits einen Schwerpunkt gewidmet haben. Jedoch ist Die nicht Sterben alles andere als ein bluttriefender Horrorthriller, was einige Leser enttäuschen, andere aber vielleicht auch aufatmen lassen wird. Tatsächlich ist Grigorceas Roman zu großen Teilen eine Groteske, die gleichermaßen genüsslich wie verworren das post-kommunistische Rumänien seziert.

Erzählt wird aus der Perspektive einer jungen Künstlerin, die aus einem kleinen rumänischen Dorf an der Grenze zu Transsylvanien stammt, das sie aus Anonymitätsgründen nur „B.“ nennen will. Die Erzählerin hat gerade ihr Kunststudium in Paris beendet und besucht ihre alte Heimat, in der noch die gesamte Familie residiert. Der Ort ist geprägt von postkommunistischer Tristesse; Menschen, die versuchen, aus den Verlockungen des Kapitalismus Profit zu schlagen, die Vergangenheit zu vergessen und dieser trotzdem permanent hinterhertrauern. 

Man merkt bereits zu Anfang, wohin diese Geschichte führt: Der Begriff des Untoten wird erweitert zur Metapher für die verdrängte Vergangenheit, die eine Sehnsucht nach einem starken Führer hervorruft, der die Protagonisten durch ihre zunehmend ernüchternde Gegenwart in eine bessere Zukunft leiten soll. Und wer wäre hier als Führer-Vorbild nicht brauchbarer als der berühmteste Bewohner der Gegend, Vlad, der Pfähler, auch bekannt unter dem Namen ‚Dracula‘, sowie sein vampirisches Gefolge. Dessen grausame Taten werden minutiös nacherzählt, schließlich kann auch die Erzählerin sich nicht der Faszination des einzig wahren Fürsten der Finsternis entziehen. 

Als in der Familiengruft der Erzählerin plötzlich deren Jugendfreund, ein Herumtreiber, tot und entstellt aufgefunden wird, scheint alles klar zu sein: Dracula ist zurückgekehrt und sucht nach neuen Opfern. Statt sich zu fürchten, ergreift der Bürgermeister von B. allerdings die Gunst der Stunde und träumt davon, eine Art Dracula-Vergnügungspark zu errichten, der um den unheimlichen Fund in der Gruft kreist, die schließlich auch das Grab des berühmten Grafen beherbergen soll. Als der Erzählerin bewusst wird, dass sie eine Nachkommin des blutrünstigen Grafen ist, scheint sie selbst die Eigenschaften eines Vampirs anzunehmen…

Leider kann sich Grigorcea mit zunehmender Dauer ihres Romans nicht entscheiden, ob sie eine Groteske auf das Ende des Kommunismus, einen realistischen sozialkritischen Roman oder gar eine historische Abhandlung über den wahren, historisch verbürgten Dracula, Vlad, den Pfähler, schreiben will. Als der Roman droht, sich in der zweiten Hälfte zu zerfransen, beginnt die Erzählerin nämlich, die Geschichte des berühmten Pfählers minutiös nachzuerzählen. Es sind seltsamerweise die aufregendsten, weil sehr dicht geschriebenen Seiten des Romans, obwohl diese Passagen wahrscheinlich für jeden der Geschichte Kundigen recht langweilig und letztlich auch – zumindest in diese epischen Breite – redundant erscheinen mögen.

Insgesamt löst der Roman sein Versprechen zwar ein, einen kritischen, vor allem aber originellen Blick auf die rumänische Gegenwart und den Kampf gegen die Dämonen der Vergangenheit zu werfen. Gleichzeitig leidet er aber unter einer gewissen Uneindeutigkeit, kann sich die Autorin oft nicht zwischen Metaphern und eindeutigen Verweisen entscheiden. So werden Plotfetzen serviert, die immer wieder abgebrochen werden oder Geschichten erzählt, die im Gesamtkontext zwar Sinn ergeben, aber oft doch deplatziert wirken. 

Wiederum schafft sie es, zu einem runden Ende zu kommen, auch wenn die Auflösung stark an einen schwachen Netflix-Twist erinnert. Am Ende scheint dieser Roman, der doch um so viele Geheimnisse kreist, einfach keine Geheimnisse mehr zu haben. Und das ist immer eine schlechte Nachricht.

Titelbild

Dana Grigorcea: Die nicht sterben. Roman.
Penguin Verlag, München 2021.
272 Seiten , 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783328601531

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