Das Eigene und das Fremde

Maren Großbröhmer untersucht die Darstellung von Heiden in zwei Chanson de geste-Adaptationen

Von Jörg FüllgrabeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Füllgrabe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Um zu einem eigenen Standpunkt zu finden, hilft es, sich auch literarisch mit „dem Anderen“ auseinanderzusetzen. Das gilt sowohl für die Gegenwart wie für vergangene Epochen. So wurde vor Jahren das – oft zitierte, oft überstrapazierte – Bonmot von der ‚Allgegenwart des Mittelalters‘ geprägt. Auch in der vorliegenden Monographie Maren Großbröhmers, die das ‚Erzählen von den Heiden‘ in den Blick nimmt, scheinen aktuelle Bezüge auf. Im Fokus der Untersuchungen stehen zwei frühneuhochdeutsche Prosaepen: „Loher und Maller“ sowie „Herzog Herpin“, die trotz anklingender Gegenwartsbezüge alte Muster aufgreifen.

Wenngleich populäre Vorstellungen vom (europäischen) Mittelalter von der Idee einer starren, immobilen Gesellschaft, geprägt sind, entspricht dies nicht der Realität: Handelsreisen, diplomatische Verbindung sowie kriegerische Unternehmungen, etwa im Rahmen der Kreuzzüge, bewegten die Menschen im Wortsinne. Mit diesen Erfahrungen verbunden war die Definition des ‚Fremden‘ gerade auch über den Aspekt des religiösen Unterschieds. ‚Ungläubige‘ beziehungsweise ‚Heiden‘ (womit alle nicht-christlichen Gläubigen gemeint waren) waren die entsprechenden Begriffe zur Bewertung von Divergenz. Diese Kenntnis (oder eben auch Unkenntnis) vom ‚Anderen‘ allgemein, dem ‚Heiden‘ im religiösen Vorstellungskontext, forderte und förderte auch eine literarische Verarbeitung, wie dies etwa im Kontext der Kreuzzugsliteratur des Hochmittelalters greifbar ist.

Maren Großbröhmer hat sich einer späten Blüte dieser literarischen Auseinandersetzung zugewandt, indem sie sich mit zwei frühneuzeitlichen Chanson de geste-Adaptionen beschäftigt. Dass diese Gattung, die seinerzeit bereits eigentlich nicht mehr wirklich ‚aktuell‘ war, immer noch produktiv rezipiert werden konnte, zeigt, wie sehr das Bedürfnis bestand, das ‚Andere‘ zumindest in Worte zu fassen und somit in ein Schema zu bringen, das der eigenen Weltdeutung kompatibel erschien.

In der Zeit vor der Aufklärung war der religiöse Aspekt der Weltsicht und Weltdeutung eine wesentliche Grundlage der Selbst- und Fremdverortung. Insbesondere für eine mentalitätsgeschichtliche Zuordnung der beiden Texte ist die Einbettung des „Loher und Maller“ beziehungsweise „Herzog Herpin“ in den gattungsbezogenen Rahmen Chanson de geste von Interesse. Hier stellt die Autorin zum einen beide Texte vor, gibt aber darüber hinausweisend auch einen Überblick zu Forschungsgeschichte und -diskussion.

Wesentlich ist, dass Maren Großbröhmer den Mechanismus der Verwendung des Heiden-Terminus in den Fokus ihrer Untersuchung stellt. Hier weist sie immer wieder auf die Identifikation von ‚heidnisch‘ mit ‚fremd‘ hin, so dass es scheint, als seien im Rahmen dieser Epen Heiden als Synonym für Fremde verwendet worden.

Der Antagonismus Heide-Christ scheint einer der Gründe zu sein, weswegen die Texte über einen langen Zeitraum sowohl aktiv tradiert als auch passiv rezipiert wurden, es also ein stetes Publikumsinteresses an diesen Texttraditionen gab.

Die Autorin weist in diesem Zusammenhang nach, dass beim Terminus der ‚Heiden‘ typologische Muster Verwendung fanden, die mit der historisch-religiösen Wirklichkeit nichts zu tun hatten. Wenn etwa die „heidnischen“ Moslems immer wieder als nachgerade archetypische Anhänger einer ausgeprägten Idolatrie beschrieben worden sind, hat das mit der Bilderfeindlichkeit im real existierenden Islam nicht das Geringste zu tun – und das sollte in den Jahrhunderten eines intensiven Kontakts und Austausches auch zumindest den Gebildeten bekannt gewesen sein, an die sich die untersuchten Texte ja richteten. Es scheint demnach eher um das traditionsbewusste Weitertradieren älterer Erzählmuster zu gehen.

Wichtig erscheint mir, dass die von Maren Großbröhmer untersuchte produktive Adaption der Chanson de geste zwar nicht die ‚ewige Wiederkehr des Gleichen‘ bedeutet, wohl aber von einer inneren Notwendigkeit ausgegangen werden kann, die sich bei durchaus wandelnden Rahmendetails literarisch mit den immer wiederkehrenden Fragestellungen nach der eigenen Positionierung angesichts des ‚Fremden‘ auseinandersetzt.

Die Autorin hat ein auf den ersten Blick vielleicht eher peripheres Feld bearbeitet. Doch lassen sich anhand der Texte sehr wohl Erkenntnisse über allgemein mentalitätsorientierte Fremd- und Selbstverortung gewinnen. Darüber hinaus – und das ist der eigentlich mediävistische Gewinn vorliegender Publikation – gelingt es Maren Großbröhmer, sowohl literaturbezogene Mechanismen der Adaption und Rezeption der Gattung der Chanson de geste als auch deren ‚Sitz im Leben‘ und damit die Frage nach dem wellenartig aufkommenden Interesse an den entsprechenden Stoffen und Motiven herauszustellen. Dass sich damit interpretatorische Rückschlüsse auf die Gegenwart verbinden lassen, macht einen zusätzlichen Reiz der vorliegenden Publikation aus.

Das ‚Erzählen von den Heiden‘ ist trotz der Allgemeingültigkeit des Themas auch für das Spätmittelalter und die Frühe Neuzeit nicht unbedingt ‚mainstreamorientiert‘, zumal – und darauf weist die Autorin ausdrücklich hin – die Gattung der ‚Chanson de geste‘ zur Zeit der Verfassung der beiden Prosaepen nicht mehr sonderlich aktuell war. Dennoch wird deutlich, dass zum einen bestimmte Erfahrungen zwar immer wieder neu gemacht wurden, diese andererseits auch immer wieder bekannten literarischen Verarbeitungsmustern unterzogen wurden. Das vorliegende Buch ist daher nicht nur, aber doch im Besonderen, für an der Rezeption interkultureller Begegnungen Interessierte empfehlenswert.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Maren Großbröhmer: Erzählen von den Heiden. Annäherungen an das Andere in den Chanson de geste-Adaptationen „Loher und Maller“ und „Herzog Herpin“.
Erich Schmidt Verlag, Berlin 2017.
330 Seiten, 79,95 EUR.
ISBN-13: 9783503174799

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