Gardinen, Kopftücher und Sicherheitsnadeln

Mit ihrem Essay „Wir wollen die ganze Freiheit“ kämpft Najat El Hachmi für einen universalen Feminismus und gegen linken Kulturrelativismus

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In ihrem Heimatland Spanien ist die gebürtige Marokkanerin Najat El Hachmi seit längerem sowohl für ihre herausragenden literarischen Werke als auch ihre dezidiert feministische Haltung bekannt. 2019 trat die in einer islamischen Familie geborene Autorin mit einem Essay hervor, das erfreulicherweise nun endlich auch in deutscher Übersetzung vorliegt und einen sehr kritischen Blick auf das islamische Frauenbild in ihrem Herkunftsland wie auch in der islamischen Community ihrer neuen Heimat Katalonien wirft. Vor allem aber gilt ihre Kritik dem ihr zufolge zwischen naiv und kulturrelativistisch changierenden Umgang sich als links oder gar feministisch verstehender Kreise in Spanien mit der Frauenfeindlichkeit in islamisch geprägten Kulturen. So werden etwa die bis hin zu staatlich organisierten Frauenmorden reichende Misogynie in Ländern wie Afghanistan oder dem Iran allzu oft beschwiegen. Anliegen des vorliegenden Buchs ist es daher, das „Schweigen [zu] brechen, das uns nicht mehr so sehr unsere traditionsverhafteten Familien auferlegen, sondern die öffentlichen Institutionen aus Furcht, wenn sie diese Art von Debatte zuließen, würden sie sich den Vorwurf der Islamfeindlichkeit einhandeln“.

El Hachmi beginnt ihren Essay, indem sie von ihrem eigenen Leben, das heißt, zunächst von ihrer Kindheit in Marokko erzählt, wo die weiblichen Gäste auf Hochzeiten und anderen großen Familienfeiern von den männlichen durch eine über den Festplatz gespannte Wand aus Gardinen getrennt waren und sich allenfalls trauten, einmal kurz durch einen Spalt hinüber zu lugen, um einen Blick auf das „exklusive Territorium der Männer“ zu erhaschen.

Als die Autorin Ende der 1980er Jahre nach Europa kam, empfand sie zunächst eine Euphorie der Freiheit. Die hat sich jedoch längst gelegt, geht es ihr zufolge in der islamischen Community Kataloniens doch in vielerlei Hinsicht nicht weniger rigide zu als im Marokko ihrer Kindheit. Und selbst vielen Liberalen und Linken Spaniens gelte die Freiheit der muslimischen Gläubigen mehr als die der Frauen.

El Hachmi, die den Islam als „ein System von Normen und Sichtweisen, von Legenden, Geschichten, Gründungsmythen, von Bräuchen und Traditionen, die den Gläubigen als Richtschnur für ihr Leben dienen“, bezeichnet und im Koran einen „Wust von Geschichten, Widersprüchen und absurden Normen“ sieht, hat sich schon vor vielen Jahren vom Islam abgewandt und lebt heute als Atheistin. Zwar habe ihre frühere Religion in den unterschiedlichen Ländern rund um den Globus „vielfältige[] Formen“ angenommen, doch gehörten die „Abneigung gegen Frauen“ und eine „strukturelle[.] Misogynie“, der zufolge Frauen „nichts weiter [sind] als Körper im Dienst der Männer – erst des Vaters, dann des Ehemanns, später der Söhne“, überall auf der Welt zu den „unveränderliche[n] Eigenschaft[en]“ des Islam. So nennt sie es denn auch eine „große Lüge“, dass der Koran im Grunde feministisch sei. Zwar habe er zur Zeit seiner Niederschrift im 7. Jahrhundert durchaus einige „Fortschritte […] für die Frauen bedeutet“. Inzwischen sei das aber schon längst nicht mehr der Fall. Auch weist sie darauf hin, dass der Feminismus erst mit und nach der Aufklärung von „Bürger*innen“ und „Freidenker*innen“ entwickelt wurde und nicht etwa ein rundes Jahrtausend zuvor von „Untertan*innen“ und „Gläubigen, die sich einem göttlichen Gesetz unterwerfen“. VerfechterInnen des sogenannten islamischen Feminismus hält die Autorin die rhetorische Frage entgegen, warum Frauen überall auf der Welt „ihre Rechte, ihre Würde, ihre Eigenständigkeit aufgrund der schlichten Tatsache einfordern, dass sie Menschen sind“, während Musliminnen „in dem Rahmen bleiben [müssen], den die Religion [ihnen] gestattet“. Auch gebe es „keine Auslegung“ des Korans, welche „die vollständige sexuelle Freiheit für Frauen verkündet“ und ihnen „als eigenständigen und emanzipierten erwachsenen Menschen das Recht zugesteht, mit ihrem Körper genau das zu tun, wozu sie selbst Lust haben“. Denn selbst der sogenannte „islamische Feminismus“ erkläre, „eine überwachte ‚Freiheit’ sei der höchste Grad an Freiheit den […] Frauen anstreben können“.

Zudem habe der (islamische) Sexismus inzwischen „gelernt, sich zu verkleiden, sich neue Theorien, Redeweisen und schillernde Argumente“ auszudenken und sich sogar in „scheinbar feministische Thesen [zu] hüll[en]“. Zu den „abstrusesten Formen, die dieser als Feminismus verkleidete Islamismus annimmt“, zähle der „dekoloniale[.] Feminismus“, der behauptet, es gäbe einen „weißen westlichen Feminismus, der eher ein Instrument der kolonialen Herrschaft sei, als dass er der Emanzipation von Frauen diene“.

Dem Argument mancher Musliminnen, das Kopftuch zu tragen, sei Teil ihrer Identität, hält El Hachmi entgegen, dass Tuch sei die „Identität des Sexismus und nicht der Frauen“.  Problematischer noch als das islamische Kopftuch, das immerhin auf vielerlei Weise getragen werden kann, sind der Autorin zufolge allerdings die Sicherheitsnadeln, mit denen es gegebenenfalls festgesteckt wird, auf das auch nicht ein einziges Härchen unter ihm hervorluge. Es sei „dieses winzige Unterwerfungsinstrument“, das „zum Symbol für den Siegeszug des Islamismus geworden [ist]“.

Gegen ihn und allen pseudolinken Kulturrelativismus, der das den Frauen in islamischen Kulturen angetane „Unrecht abstreite[t] oder es als kulturelle Eigenart“ verteidigt, pocht El Hachmi darauf, „dass die Verletzung unserer Rechte ein universelles Problem ist“. Möge der „Kampf“ für die Rechte nicht nur muslimischer, sondern aller Frauen auch „in jedem Bereich anders“ sein, so sei das Ziel doch überall „das gleiche“: Gleichstellung, Freiheit und das Ende jeglicher Diskriminierung. Daher gelte es, „die Errungenschaften des westlichen Feminismus für alle Frauen zugänglich zu machen“.

El Hachmi ficht oft mit dem Säbel, nicht mit dem Florett. Aber sie kämpft auch mit einem mächtigen Gegner und seinen pseudofeministischen Verbündeten. Ein Kampf, bei dem es zudem um nicht weniger als um das Ganze geht. Um „die ganze Freiheit“ nämlich, wie es im Titel des vorliegenden Buches heißt.

Titelbild

Najat El Hachmi: Wir wollen die ganze Freiheit! Über Feminismus und Identität. Ein notwendiges Manifest.
Aus dem Katalanischen von Michael Ebmeyer.
Orlanda Verlag, Berlin 2023.
99 Seiten , 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783949545344

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