Das Kleine ganz groß
Erstmals liegen Peter Handkes Zeichnungen in Buchform vor
Von Lukas Pallitsch
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseMacht man sich mit der Literatur Peter Handkes vertraut, so merkt man rasch, dass dieser Autor die Weiträumigkeit von Orten und Landschaften in seinem Erzählwerk abschreitet. Handkes Protagonisten reisen und schreiben oft, sie ziehen vom Früh- bis zum Spätwerk ihre Spuren quer durch unterschiedliche Topographien. Reisen sind aber auch die nie versiegende Inspirationsquelle von Handkes Schreibtätigkeit. Seit den siebziger Jahren durchstreift er den Alltag stets mit einem in seine Hosentasche passenden Notizbuch, in das er allerdings nicht nur schreibt, sondern auch zeichnet.
Bereits 2017 hat Handke einer breiteren Öffentlichkeit Zeichnungen zugänglich gemacht. Die Berliner Galerie Klaus Gerrit Friese zeigte insgesamt 103 chronologisch geordnete Zeichnungen aus den Jahren 2007 bis 2017, die Handke selbst aus seinen Notizbüchern – zum Leidwesen seiner künftigen Nachlassverwalter – herausgeschnitten hat. Seither ist dem Betrachter bewusst, dass es sich bei den Zeichnungen um Miniaturen handelt, die meist naturhafte Aspekte beinhalten. Es wäre falsch, an Handkes Zeichnungen, mit denen er sein vertrautes Feld der Worte verlässt, den Maßstab der bildenden Kunstvirtuosen anzulegen. Vielmehr sollte man die Zeichnungen als das verstehen, was sie sind: eigenwillige, höchst anregende Formen der Poesie, die miniaturhaft ins Zentrum von Handkes Œuvre führen und sich für seine Ästhetik der Wanderschaft, die am stärksten in den beiden Spätwerken Mein Jahr in der Niemandsbucht und Der Bildverlust zur Geltung kommt, erhellend erweisen.
Erstaunlich ist die Familienähnlichkeit zwischen Wort und Schrift. Diese manifestiert sich im Hang zum unscheinbaren Detail. Nicht nur die dichten Erzählpassagen, bei denen die erzählte Zeit stockt oder gar stillsteht, sondern auch die Hinwendung zu den kleinen, vermeintlich nebensächlichen Formen haben Handke in den Rang eines Weltautors gehoben. Oftmals wendet er sich der Beschreibung kleinteiliger Aspekte zu, schließt dann aber seinen Lesern deren Besonderheit auf. Gerade das Kleine kann den Blick für die größeren Zusammenhänge sensibilisieren und ein Verständnis für übergreifende Kontexte schulen.
Nun liegen insgesamt 104 mit farbigem Tintenstift oder beziehungsweise und Kugelschreiber gestaltete Farbtafeln auf Papier vor, die auf Trägerpapieren in einheitlichem Format (296 mal 209 Millimeter) zentriert gestaltet sind. Eingeleitet sind die Zeichnungen mit einem kurzen und höchst lesenswerten Essay des italienischen Starphilosophen Giorgio Agamben, der assoziationsreiche Vergleiche zu japanischen Farbholzschnitten und zum Talmud zieht. Von dort aus geht es unvermittelt und ohne Autorkommentar zu den Zeichnungen aus den Notizbüchern weiter. Fast durchgängig ist auf den größtenteils von Handke titulierten Blättern der Entstehungsort in Klammer angeführt, wenn er sich nicht ohnedies bereits im Titel findet. Häufig ist die Niemandsbucht in Klammer gesetzt. Gemeint ist damit die Umgebung in der Nähe seines Haus im Pariser Vorort Chaville.
Zuweilen hat der Autor seine Zeichnungen mit schriftlichen Notizen versehen. Für uns betrachtend Lesende bleibt auf den ersten Blick allerdings unklar, ob dies daher rührt, dass Handke die Bilder für die Schau aus seinen Büchern herausgeschnitten hat und die Bilder folglich als Supplemente einem größeren Textzusammenhang entrissen sind – oder ob es sich um Paratexte handelt. Anders gefragt: Galt Handkes inspiratives Interesse zunächst dem Bild und dann erst dem Wort oder umgekehrt? Etwas anderes kann für die Formenvielfalt der Motive dann doch gelten: Erst wenn man etwas zeichnet, hat man es wirklich gesehen.
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