Im Banne des Kometen
In ihrer Novelle „Der Tod des Löwen“ führt Auguste Hauschner die Schrecken des Antisemitismus in Prag zu Beginn des 17. Jahrhunderts vor Augen
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Prager Jüdin Auguste Hauschner zählt zu den zahlreichen fast ein ganzes Jahrhundert lang vernachlässigten Autorinnen des frühen 20. Jahrhunderts. In jüngerer Zeit sind nun jedoch gleich zwei ihrer Romane neu aufgelegt worden. In der edition D. Weigt erschien 2017 ihr Roman Die Heilung. Der homunculus Verlag zog nun mit einer Neuausgabe ihrer Novelle Der Tod des Löwen nach. Der kleine, aber fein aufgemachte Band besticht sofort durch die Aufnahme von Hugo Steiner-Prags Illustrationen der Originalausgabe von 1916. Soweit sie die Stadt betreffen, erinnern sie ein wenig an die von Hans Poelzig hergestellten Kulissen in Paul Wegeners 1920 in die Lichtspielhäuser gelangten expressionistischem Film Der Golem, wie er in die Welt kam.
Als Handlungsort und und -zeit ihrer historischen Novelle wählte die Autorin wie schon ein Jahr zuvor Gustav Meyrink für seinen Roman Der Golem die Stadt Prag zur Zeit des beginnenden 17. Jahrhunderts. Im Falle von Hauschners Roman lassen sich sowohl der Ort, als auch die Zeit des Geschehens weiter präzisieren: Die dicht gedrängte Handlung vollzieht sich in nur drei Tagen im Januar 1612. Es sind dies die letzten im Leben Rudolfs II., dem in Prag residierenden Kaisers des Heiligen Römischen Reiches. Schauplätze sind vor allem die auf dem Hradschin gelegene Königsburg und die Judengasse, beide getrennt und verbunden durch die Karlsbrücke. Sie alle werden mit detaillierten und stimmungsvollen Beschreibungen gewürdigt, die sich zwanglos und atmosphärisch in das Geschehen einfügen, während ein Komet seinen roten Feuerschweif drohend über die Stadt senkt. Hauschners Stil bedient sich einer kräftigen, bildhaften Sprache voller expressionistischer Anklänge, die zugleich der Handlungszeit angemessen ist, ohne sie übertrieben widerzuspiegeln.
Zumindest in einer Figur überschneidet sich das Personal des bei Meyrink und Hauschner gleichermaßen dramatischen Geschehens. Der historische Rabbi Ben Bezalel Löw tritt in beiden Werken in fiktionalisierter Gestalt auf. In Meyrinks phantastischer Geschichte als Kreator des mythischen Golems, in Hauschners realistischerem Roman als zu Recht um seine Tochter bangender Vater und Gegenspieler des innerlich zerrütteten und äußerlich verfallenen Rudolfs des II. von Habsburg, der gleichermaßen von Paranoia und Größenwahn gebeutelt wird. Er ist zugleich die zentrale Figur in Hauschners Roman, aus dessen Sicht das Geschehen zumeist erzählt wird. Hauschner lässt darüber hinaus eine ganze Reihe weiterer historischer Figuren auftreten, bekannte wie Tycho Brahe und unbekannte wie des Kaisers Kammerdiener Johannes Rutzky und seinen Leibarzt Michael Mayer. Grade die neben dem Kaiser bekanntesten historischen Figuren, Brahe und der Rabbi waren jedoch zur Handlungszeit bereits seit rund zwei beziehungsweise elf Jahren tot. Eine dichterische Freiheit, die sich LiteratInnen natürlich auch in historischen Romanen erlauben dürfen.
Auf realistische Weise verhandelt werden Mystik, religiöser Wunder- und Aberglaube, Schwarze Magie und mit christlichem Hokuspokus gesättigte Scharlatanerie. Gemeinsam lassen sie das Weltbild einer uns heute fremd gewordenen Zeit aufleben. Der Judenhass, das eigentlich zentrale Thema der Novelle, ist heute hingegen keineswegs überwunden, sondern noch immer erschreckend virulent. Ein Dreivierteljahrhundert nach seinem völkermörderischen Vernichtungswahn erhebt er gerade hierzulande wieder sein schreckliches Haupt. Im Prag des 17. Jahrhunderts mussten JüdInnen ein gelbes „Rädchen“ als „Abzeichen der Schmach“ sichtbar an der Kleidung tragen, sobald sie das Tor der Judengasse durchschritten und die „Christenstadt“ betraten. In Hauschners Novelle brennt die Gasse der Juden bald und mit ihr ihre BewohnerInnen, was während eines Banketts im kaiserlichen Festsaal zu allgemeinem Gelächter führt.
Unsere Aufgabe im beginnenden 21. Jahrhunderts ist es, jedem weiteren Voranschreiten eines Antisemitismus, mit dessen Erstarkung eine Wiederholung seiner übelsten Untaten und ärgsten Verbrechen nicht nur des 17. und 20. Jahrhunderts droht, nach Kräften zu wehren, zumal er die Anfänge hierzu längst gemacht hat. Auch Neuausgaben von Büchern wie dem vorliegenden können dazu beitragen.
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