Die heilige Heilerin

Detlef Weigt hat Auguste Hauschners weithin vergessenen Roman „Die Heilung“ nach fast einem Jahrhundert neu herausgegeben

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ich halte Auguste Hauschner für eine ganz hervorragende, nicht hoch genug eingeschätzte Schriftstellerin“, lobte keine geringere als die bekannte Frauenrechtlerin Hedwig Dohm im Jahr 1908 oder 1909 ihre Zunftgenossin im Literaturbetrieb. Später korrespondierten die beiden in Berlin lebenden Frauen gelegentlich und lernten einander kennen.

Hier gilt es nun, ein Buch der so hoch gelobten Autorin Auguste Hauschner anzuzeigen, das 1922 erschien, mithin also vier Jahre nach Dohms Tod und fast ein Vierteljahrhundert nach deren Lobpreisung. Die Rede ist von Hauschners Roman Die Heilung.

Wie auf dem Titelblatt der nun erschienenen Neuausgabe zu lesen ist, hat Detlef Weigt sie herausgegeben und den Roman hierfür „bearbeitet“. Was Letzteres genau bedeutet, erfährt man nicht, bietet der Band doch weder ein Vor- noch ein Nachwort oder sonstige erläuternde Hinweise wie etwa Fußnoten des Herausgebers. Wurden nun also Tippfehler des Originals getilgt, unschöne Stellen geglättet, größere Streichungen oder Hinzufügungen vorgenommen oder gar ganze Kapitel umgeschrieben, weil sie nicht gefielen? Vieles hiervon würde den Band für die Forschung wertlos machen. Schon alleine die fehlende Erklärung der Bearbeitung ist dazu angetan.

Vergleicht man die Erstausgabe von 1922 mit der vorliegenden, zeigt sich, dass der Ursprungstext akribisch transkribiert wurde. Hervorhebungen durch Sperrdruck im Original werden in der Neuausgabe selbst dann durch Fettdruck angezeigt, wenn sie gar nicht so ohne Weiteres zu erkennen sind und nur einen einzigen Buchstaben eines Wortes betreffen. Diese Akribie schließt allerdings nicht aus, dass sich auch schon mal verlesen wurde und die „Luft“ des Textes von 1922 sich in der Neuausgabe zur „Lust“ transformierte. Da sich die Buchstaben l und s in der Frakturschrift des Originals verteufelt ähneln, die Verlesung der besagten Stelle aber einen ganz sinnlosen Satz ergibt, lässt sich vermuten, dass die Transkription durch ein entsprechendes Computerprogramm erfolgte.

Was den Roman selbst betrifft, so zeichnet er sich weniger durch seine Handlung aus als vielmehr durch die ganz eigenwillige Feder seiner Autorin, die sich keiner der damals gängigen Stilrichtungen zurechnen lässt. Vielleicht, dass einmal von Ferne eine leicht expressionistische Brise in die oft seltsame Satzbildung und die eigenartige Wortwahl hineinweht, etwa wenn Hauschner formuliert: „ein Riß zerspaltete sein Wesen“. Auch verwendet die Autorin immer wieder recht merkwürdige Wendungen. Da werden etwa Kleider „an den Boden“ [herv. R.L.] geworfen oder es ist von „Nordländerinnen“ die Rede, die als  „hellhaarig, mit den blonden Tinten ihrer weißen Fleische“ beschrieben werden. Verheiratete wiederum werden „gesetzmäßig Gepaarte“ genannt.

Gelegentlich wartet die Autorin sogar mit ganz eigenen Wortschöpfungen wie etwa „hineinverstarrt“ auf oder sie kreiert ausgefallene Metaphern und Bilder. Ein Wasser „blaut“ bei Hauschner des Morgens „sanft in zarter Blässe, als weigere es sich noch jungfräulich der Sonnenglut“. Oder sie lässt eine Figur „große Worte im Mund wie schleimbedeckte Klöße wälzen“. Gelegentlich sind auch mal recht hübsche Bilder darunter, wie dasjenige vom Herbst, der „im Begriff war, den Sommer unter kleinen roten Hügeln zu bestatten“. Andere wiederum sind nicht nur physiologisch verfehlt: „Aus einer Gehirnzelle, wo sie sich eingekapselt haben mochte, entband sich Martins neidvolles Gelüste.“  Insgesamt jedenfalls sind es allzu viele.

Zudem wechseln Bandwurmsätze und maschinengewehrartige Stakkatos, die auch schon mal auf die vollständige Satzbildung mit Subjekt und Objekt verzichten, einander immer wieder ab. Zur Verdeutlichung dieser stilistischen Bandbreite sei hier jeweils ein Beispiel angeführt.

Durch einen von Hauschners sperrigen Bandwurmsätzen muss man sich bereits auf der ersten Seite arbeiten:

Peinigung fraß sich durch seine Träume, wenn sein Ich, von den Hemmungen gelöst, die sein tapfrer Wille, während der Tollkühnheit des Fluchtversuches, unter der Schwelle des Bewußtseins festgehalten hatte, allen Angstgefühlen preisgegeben dalag; wenn die durchlittenen Qualen sich verzerrt, verzehnfacht auf ihn stürzten, daß er schweißgebadet, stöhnte, ein in heuchlerischer Demut eingehüllter, in Schlupfwinkeln verborgener Verfolgter, der zugleich die Rachsucht seines heimtückischen Verfolgers mitempfand.

Wenige Seiten später werden die Lesenden dann erstmals mit einer der erwähnten gedrängt abgehakten Diktionen konfrontiert:

Der Doktorgrad. Durch die Opferfreudigkeit der Mutter die bescheidene Heimstätte geschaffen. Kunden abgewartet. Geduldig, lang.  Spärlich fanden sie sich ein. Krieg. Ein Sturm zuerst, der alles Gewesene verwehte. Allmählich eine schmerzliche Enttäuschung. Verwundet in Feindeshand geraten. In unsauberen Lazaretten mit fremden Ärzten in stetem Kampf um die Erhaltung seine Glieder. Dann Sibirien, Öde, Abgeschiedenheit. Und bei der Rückkehr. Die Mutter tot.

All dies trägt dazu bei, dass der Roman insgesamt eher mühsam zu lesen ist. Doch spiegelt es auch die jeweiligen Gefühlslagen des Kriegsheimkehrers und Protagonisten Martin von Kantzow wider, der Gefahr läuft, zum Trinker und Spieler zu werden und so manche Schwäche zu überwinden hat. Überhaupt weiß Hauschner um psychische Prozesse und versteht es, sie in Literatur zu kleiden.

Zudem klingt immer wieder Sozialkritik an. Eine Verlobungsfeier wird scheinbar ganz nebenbei zum Sittengemälde neureicher Kreise und des heruntergekommen Adels. Ihre Gäste „zeigten fast ausnahmslos eine gewisse Neigung zur Behaglichkeit und Fülle. […] Schwere goldene Ketten, mit vielen Anhängern, auf Männerbäuche; an Fingern und Brüsten Brillanten und Nadeln.“ Den Frauen „hing es an den Ohren, um den Hals, schlängelte sich um die Hüften, es blitzte aus hochgetürmten Frisuren, umfaßte die Gelenke, verirrte sich bis in die Schnallen von hochstelzigen Atlasschuhen.“ Sie alle vertilgen die üppigen Speisen mit „fleischigen Gesichtern, von Torheit aufgebläht gierig genießend“.

Detaillierte Beschreibungen evozieren die Stimmung eines Zimmers und geben so Einblick in das Wesen des Menschen, der es bewohnt. Allerdings begibt sich Hauschner gelegentlich in gefährliche Nähe zum Gartenlaubenkitsch. Etwa, wenn sie den Frieden eines „weißen, stillen Zimmers“ besingt, „in dem aus dem Garten heraufdringende Erdgerüche sich mit dem zarten Duft der Rosen mischten, die in offener Schale blühten“.

Bei aller Originalität des Stils bevölkert Hauschner ihren Roman mit stereotypen Figuren. So neigt sie bei der Charakterisierung des Personals insbesondere zu Geschlechterklischees bis hin zur Gegenüberstellung der Heiligen und der Hure, wobei letztere mit dem Namen Lolotte gestraft ist, der an eine verlotterte Kokotte denken lässt.

Auch wird, ganz dem Zeitgeist gemäß, Städtisches negativ und Ländliches positiv konnotiert, zumal, wenn es um Frauen geht. So steht das als „ganz volksmädelmäßig“ gepriesene  „richtige deutsche kleine Bürgermädchen“ denn auch der „Modedame“ gegenüber. Ein idealisiertes „Mädchen aus dem Volk, blond und schlicht, ohne die gewitzten Reize großstädtischer Damenhaftigkeit“, dafür aber von „großer Ehrlichkeit und Gradheit“ wird denn auch zur Retterin des Protagonisten. Als opferbereite mütterliche Frau gerühmt, entspricht sie ganz einem auch damals schon ausgesprochen reaktionären Geschlechterklischee.

Die Handlung des Buches lässt sich angesichts seines Titels nach dem bisher Gesagten leicht denken. Ob aber die Feministin Hedwig Dohm für den vorliegenden Roman auch solch lobende Worte gefunden hätte wie für Hauschners frühere Werke mag dahingestellt sein. Nein, eigentlich muss es bezweifelt werden.

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Auguste Hauschner: Die Heilung.
Herausgegeben und bearbeitet von Detlef Weigt.
edw. Edition D. Weigt, Leipzig 2017.
144 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783937554563

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