Der Kreislauf des Lebens

Der Zoologe und Verhaltensforscher Bernd Heinrich beschäftigt sich in „Leben ohne Ende“ mit Fragen nach dem Werden und Vergehen

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Alle Körper bestehen aus verbundenen Kohlenstoffatomen, die später zerlegt und als Kohlendioxid freigesetzt werden. Das Kohlendioxid, das die Pflanzen aufnehmen, um daraus ihren Körper zu bilden, stammt von anderen Körpern, die durch die Tätigkeit von Bakterien und Pilzen allgemein verfügbar wurden. Von einem Elefanten, der eine Woche zuvor in Afrika verweste, von einem ausgestorbenen Palmfarn des Karbons und einem arktischen Mohnhörnchen.

Der Tod ist immer noch häufig ein Tabuthema, so aufgeklärt und naturwissenschaftlich wir uns auch geben mögen. Ein Rest von Ehrfurcht, Scheu oder auch Abscheu umgibt ihn dennoch. Da tut der gnadenlos praktische Blick eines Biologen vielleicht gut, der seine eigenen Maßstäbe hat: Bernd Heinrich, in Deutschland geboren und aufgewachsen, Zoologe und Verhaltensforscher in den USA, dessen Sachbuch über Raben ihn weltweit zum Bestsellerautor werden ließ.

In seiner neuen Publikation Leben ohne Ende wird Heinrich von einem Freund gefragt, ob er ihn auf seinem Grundstück in Maine zur letzten Ruhe betten würde: „Ich wünsche mir ein grünes Begräbnis, also im Grunde gar kein Begräbnis, weil menschliche Beerdigungen heute – mit ihren Truhen und Kisten – eine seltsame Einstellung zum Tod verraten.“ Er als Ökologe will in den Kreislauf des Lebens zurückkehren: „Was hältst du davon, einen alten Freund dauerhaft im Camp aufzunehmen?“

Heinrich beginnt, über den Tod nachzudenken, persönlich, wissenschaftlich und unsentimental. Natürlich ist ihm dieser schon früher immer wieder begegnet, jetzt aber fängt er an, ihn systematisch zu erforschen. Es geht um Bakterien, Maden, Bremsen, um Mäuse, Käfer, Geier und Kojoten, Adler und Wölfe, vor allem aber, wie schon im ersten Zitat deutlich wird, darum, dass der tote Körper in den Kreislauf des Lebens zurückkehrt und in anderer Form weiterlebt. Wie beim Wal, der nach seinem Tod in das dunkle, kalte Meerwasser sinkt: „Dort tummelt sich eine Vielzahl von Organismen, die Nahrungsspezialisten für alles sind, was von oben herabschwebt. Einige dieser Fische haben Licht-produzierende Organe, bei einem von ihnen sieht dies aus wie eine Laterne, die von einem Stab herabhängt. Nachdem das weiche Gewebe vollkommen vertilgt ist, übernimmt ein Teppich von Bakterien die Knochen und Meeresschnecken weiden auf ihnen.“ Und so wird er zur Nahrung, so entsteht neues Leben aus dem Tod.

Heinrich studiert die Verwertungskette; er legt Kadaver aus und beobachtet genau, welche kleinen Lebewesen auf welche Weise von ihnen profitieren und sie recyceln. Da sind zum Beispiel die Käfer, die die toten Mäuse, die er in den Wald legt, als Proviant für ihre Brut vergraben. Heinrich öffnet den Bauch einer Hirschkuh und schneidet an einem Hinterbein das Fell auf, damit das Fleisch offenliegt. Da ihn zur selben Zeit Studenten besuchen und feiern, fehlen die ansonsten auftauchenden Raben und Geier. Stattdessen kommen tausende Schmeißfliegen. Fünfzehn Kilometer weit können diese den Verwesungsgeruch von Methylmercaptan riechen:

Der Kadaver, der von den schillernden Fliegen bedeckt war, stank grauenhaft.“ Anschließend legen die Fliegen ihre Eier in das Fleisch und nach zwei Tagen ist „der Kadaver der Hirschkuh mit einer dicken Schicht wimmelnder weißer Maden bedeckt. Wenn es warm genug ist, schlüpft ein einziges 150 bis 200 Eier umfassendes ‚Gelege’ der Schmeißfliege nach acht Stunden, woraufhin die Maden nach drei Tagen ihre endgültige Größe erreichen und ihren Lebenszyklus binnen einer Woche abschließen.

Als nächstes erscheinen die Käfer. Heinrich erwartet vor allem den Nicrophorus. „[D]er Totengräber […] soll eine tote Maus auf achthundert Meter riechen können.“ Aber als er den Kadaver umdreht („was schwierig war, ohne vom Brechreiz überwältigt zu werden. Aber es war der Mühe wert.“), entdeckt er lange, glänzende Aaskäfer und Kurzflügler. Die Totengräber fühlen sich wohl, „entweder durch den intensiven Verwesungsgeruch oder durch die Maden“, abgestoßen.

Heinrich geht genau vor beim Aufbau seiner Versuchsanordnungen, ebenso wie bei der anschließenden Untersuchung und Auswertung. Streng wissenschaftlich und präzise. Auch wenn er immer wieder die wissenschaftlichen Namen aller Käfer, Insekten, Bakterien und Pflanzen einstreut, bleibt seine Prosa stets lebendig und anschaulich. Dabei geht es ihm in diesem Buch eigentlich nicht um die Welt der Tiere, sondern um den Allesfresser Mensch, der von Pflanzen und meist auch von Tieren lebt. Ausgehend von der Überlegung, ob der Verzehr von Elefantenfleisch es dem Menschen ermöglichte, ein größeres Gehirn zu entwickeln, schildert Heinrich den langsamen Ausstieg des Menschen aus dem Kreislauf der Natur und wie dieser – ohne persönliche Not – andere Lebewesen einfach ausrottet: vom Mammut über die Riesenschildkröte bis hin zu den Schmetterlingen und Bienen, die kurz davor stehen. Und das, obwohl wir Menschen „ein natürlicher Teil der Schöpfung und kein nachträglicher Einfall“ sind, kurzum ein Glied in der Nahrungskette.

Aus evolutionsgeschichtlicher Sicht hält er die menschliche Lebensweise als Jäger für wichtig: „Die Jagd erforderte Denken, Teamarbeit und Kommunikationsfähigkeit“, sagt er: „Jagen förderte die soziale Kooperation und damit all die körperlichen und geistigen Fähigkeiten, die uns als Menschen auszeichnen.“ Und auch die später entwickelte Kultur ist für ihn nur ein Teil der großen Metamorphose der Natur:

Genau wie Kreide und Kalkstein aus den Organismen vergangener Zeiten entstanden, hat sich auch die Kultur herausgebildet. Sie ist das immaterielle Leben, das wir mit unseren Augen und unseren Ohren aufgenommen haben und dass ein Teil unseres Gehirns geworden ist, ähnlich wie Pflanzen Nährstoffe durch ihre Wurzeln und Spaltöffnungen in ihren Blättern aufnehmen und diese in Zucker und DNA verwandeln. Es gibt keine klare Grenze zwischen stofflichem und nichtstofflichem Recycling.

Für Heinrich hängt alles mit allem zusammen, alles ist mit allem verbunden: Selbst die DNA eines einzelnen Lebewesens ist ein Amalgam aus der DNA allen Lebens, und so sind auch wir Menschen ein Teil des Lebens, „winzige Körnchen innerhalb eines fantastischen Systems“. Und er fordert: „Wir brauchen eine neue Schöpfungsgeschichte, die uns mit der Natur und anderen Lebewesen verbindet.“

Wie alle Bände aus der Reihe „Naturkunden“ ist auch dieses Buch aufwendig und sehr kunstvoll und ästhetisch gestaltet und illustriert. Auf Heinrichs besondere Weise vermischen sich immer wieder persönliche Überlegungen mit wissenschaftlichen Reflexionen, manchmal wird er sogar poetisch: „Das Rascheln des Laubs rund um den Hahn klang wie das Schäumen einer geöffneten Champagnerflasche.“

Titelbild

Bernd Heinrich: Leben ohne Ende. Der ewige Kreislauf des Lebendigen.
Übersetzt aus dem Englischen von Hainer Kober.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2019.
203 Seiten, 34,00 EUR.
ISBN-13: 9783957576187

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