Heinrich Mann und der Politische Rat geistiger Arbeiter München

Versuch einer Chronik

Von Bernhard VeitenheimerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bernhard Veitenheimer

In mehreren Städten Deutschlands entstanden nach dem Vorbild der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte im November 1918 Räte geistiger Arbeiter. Der Begriff des geistigen Arbeiters war dabei unterschiedlich weit gefasst, die Zielsetzungen dieser Räte reichten von berufsständischer Interessenvertretung bis zu einer grundlegenden geistigen Erneuerung der politischen Kultur. Entsprechend erfolgte die Teilhabe am politischen Geschehen in unterschiedlichen Formen: Einige konzentrierten sich auf publizistische Mittel (Artikel, Vorträge, Diskussionsveranstaltungen), um die Erneuerung des Staats ethisch-intellektuell zu fundieren; andere erstrebten und erreichten die Beteiligung an legislativen Gremien zur Sicherung ökonomischer Interessen der bis dahin nicht in wirkmächtigen Gesamtverbänden organisierten Gelehrten, Publizisten und Künstler.

In München, wo in der Nacht zum 8. November 1918 von Kurt Eisner die Republik Bayern ausgerufen worden war, formierten sich zwei Räte geistiger Arbeiter, die den beiden skizzierten Richtungen zugeordnet werden können: der eine, dessen Vorsitz der Nationalökonom Lujo Brentano (1844-1931) übernahm, hatte die Sicherung der „Daseinsbedingung“ der geistigen Arbeit zum Ziel (siehe unten); dem anderen, dessen Vorsitzender der Schriftsteller Heinrich Mann (1871-1950) war, ging es darum, zur geistigen Erneuerung im neuen Staat beizutragen. Von Anfang an blickte er dabei auch über die Staatsgrenzen hinweg; in seinem Gründungsprogramm heißt es: „Ehrenpflicht eines jeden sei es, im internationalen Verkehr der geistigen Arbeiter den imperialistischen Ungeist mit zu vernichten. […] Wir sind deutsch, demokratisch und europäisch.“ (HMEP 3, S. 17)

Im Folgenden wird der Versuch unternommen, anhand von im Heinrich Mann-Archiv überlieferten Einladungen, von Meldungen der lokalen Presse und von Tagebucheintragungen Thomas Manns eine Chronik des Politischen Rats geistiger Arbeiter München (PRgAM) zu erstellen.

Am 15. November 1918 wurden von den Münchner Neuesten Nachrichten die Aufrufe von zwei Gruppierungen, die beide den Namen „Rat geistiger Arbeiter“ trugen, mitgeteilt (Jg. 71, Nr. 577, Morgen-Ausgabe, S. 3).

Der Rat geistiger Arbeiter (Brentano-Gruppe)

Von der Gruppierung um Lujo Brentano war bereits am 13. November 1918 ein Aufruf in den Münchner Neuesten Nachrichten („An die Allgemeinheit der „Geistigen Arbeiter““, in: Jg. 71, Nr. 573, Morgen-Ausgabe, S. 2; Nachdruck unter dem Titel „An die geistigen Arbeiter!“ in: Münchener Post, Jg. 32, Nr. 266, 14. November 1918, S. 2f.) und – um den zweiten und dritten Absatz gekürzt – in der Münchener Zeitung („An das geistige München.“, in: Jg. 27, Nr. 312, S. 2) publiziert worden (ein kurzer Auszug erschien innerhalb einer Notiz unter der Spitzmarke „Das geistige München“ in: Bayerischer Kurier, Jg. 62, Nr. 316, 13. November 1918, S. 3). In diesen Publikationen wurde allerdings noch keine Korporation genannt. Der Aufruf ist von 17 einzelnen Personen mit Angabe des Berufs unterzeichnet: „Dr. Lujo Brentano, Nationalökonom; Benno Becker, Maler; Fritz Basil, Schauspieler; Franz Carl Endres, Schriftsteller; Dr. Theodor Fischer, Architekt; Dr. Josef v. Großmann, Ministerialrat; H. V. Habermann, Maler; Max Halbe, Schriftsteller; Dr. Hohmann, Arzt; Ricarda Huch, Schriftstellerin; Dr. Theodor Löwenfeld, Rechtsanwalt, Universitätsprofessor; Wilhelm Mayer, Oberlandesgerichtsrat; Dr. Oskar v. Miller, Ingenieur; Dr. Friedrich v. Müller, Vorstand der Universitätsklinik; Dr. Wilhelm Rosenthal, Rechtsanwalt; Dr. Max Schrödter, Professor der Maschinenbaukunde; Bruno Walter, Generalmusikdirektor.“

Der korporative Aufruf, den am Freitag, dem 15. November 1918 die Münchner Neuesten Nachrichten (siehe oben) und die Münchener Zeitung (Jg. 27, Nr. 314, S. 3) publizierten, ist von Lujo Brentano („Der Vorsitzende“) und Franz Carl Endres („Der Schriftführer“) unterzeichnet; er lautet:

Der Volksstaat kann der Mitwirkung der geistigen Arbeiter nicht entbehren. Ihr Zusammenschluß ist daher dringend notwendig. Um ihn herbeizuführen, hat sich heute ein Rat geistiger Arbeiter gebildet. Unser Ziel ist: zum Wohle des ganzen Volkes den Einfluß der geistigen Arbeit geltend zu machen und in diesem Rahmen deren Daseinsbedingung zu sichern. [Absatz] Wir fordern alle Organisationen und Einzelpersonen beiderlei Geschlechtes, welche sich anschließen wollen, hiemit auf, sich mit dem unterfertigten Schriftführer in Verbindung zu setzen. Eine Versammlung wird in allerkürzester Frist einberufen werden.

Im Anschluss an den korporativen Aufruf meldete die Münchener Zeitung, der Münchener Journalisten- und Schriftstellerverein habe „am Donnerstag abend […] den korporativen Beitritt zu diesem Rat geistiger Arbeiter beschlossen“ und lade „zu dem gleichen Vorgehen auch die anderen hiesigen Berufsvereine ein“.

In der Rubrik „Kleine Mitteilungen“ heißt es in der Abend-Ausgabe der Münchner Neuesten Nachrichten vom 16. November 1918: „Die Ortsgruppe München des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller, die sich zur Landesgruppe für Bayern erweitern wird, hat in ihrer gestrigen Mitgliederversammlung beschlossen, sich der Regierung des Volksstaates Bayern für alle wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Aufgaben zur Verfügung zu stellen und dem Rat geistiger Arbeiter korporativ anzuschließen. Nach Erledigung der Tagesordnung fand eine freie Aussprache über die allgemeine Lage statt, an der sich Thomas Mann, Dr. Franz Ferd. Baumgarten, Will Vesper, Albert Steffen, Dr. Joachim Friedenthal u. a. beteiligten und in der vor allem die Frage erörtert wurde, in welcher Weise die gestörten Beziehungen zwischen den Vertretern des geistigen Europa wieder anzuknüpfen seien.“ (Jg. 71, Nr. 580, 16. November 1918, Abend-Ausgabe, S. 3; vgl. TM-Tb, S. 79f.; 16. November 1918)

Am 18. November 1918 berichteten die Münchner Neuesten Nachrichten über das Programm und die „prinzipiellen Forderungen“ dieses Rates und von dem „Einverständnis“ des Ministerpräsidenten Eisner „mit diesem Programm“ sowie der geplanten Einbindung des Rates in den großen Arbeiterrat sowie in den Zentralrat („Rat geistiger Arbeiter“, in: Jg. 71, Nr. 583, Abend-Ausgabe, S. 2).

Der Politische Rat geistiger Arbeiter Münchens (im Folgenden: PRgAM)

Der zweite der Aufrufe, die in den Münchner Neuesten Nachrichten im Rahmen eines redaktionellen Berichts erschienen, wurde in der Münchener Post als eigenständiger Artikel ohne redaktionellen Zusatz publiziert; die Überschrift bildet der in größerer Schrift gesetzte Satzanfang „Der Rat geistiger Arbeiter Münchens,“ (Jg. 32, Nr. 267, 15. November 1918, S. 4). Unterzeichner des am 15. November veröffentlichten Aufrufs waren: „Edwin Scharf[f], Bildhauer; Universitätsprofessor Wilhelm Specht, Arzt; Heinrich Mann, Schriftsteller; Paul Graener, Komponist; Kurt Stieler, Schauspieler; Willy Geiger, Maler; Dr. Eugen Neuberger, Rechtsanwalt; Dr. [Ernst] Hierl, Reallehrer; Richard Elchinger, Redakteur; Dr. Brunno [recte: Bruno] Frank, Schriftsteller; Dr. [Felix] Nöggerath, Privatgelehrter.“ Heinrich Mann war der älteste der Unterzeichner und übernahm den Vorsitz.

Während die sozialdemokratische Münchener Post nur den Aufruf des Rats um Heinrich Mann abdruckte (und zwar kommentarlos als eigenständigen Beitrag), brachte dagegen die Münchener Zeitung nur den Aufruf des Brentanoschen Rats in seinem Wortlaut. Dass ihr der Aufruf der anderen Gruppierung vorlag, geht aus der redaktionellen kommentierenden Anschlussmitteilung hervor (Jg. 27, Nr. 312, S. 2): „Bedauerlicherweise hat sich in der Sache der Vertretung der geistigen Arbeit, die eine Zersplitterung nicht verträgt, eine solche bereits insoferne tatsächlich ergeben, als eine zweite Gruppe ebenfalls einen Aufruf erläßt, in dem gleich mit einer scharfen Polemik gegen politisch anders Denkende eingesetzt wird. Unterzeichnet ist dieser Aufruf von folgenden Herren:“; es folgen die Namen wie in den Drucken des Aufrufs in den Münchner Neuesten Nachrichten und der Münchener Post.

Im Anschluss an einen Bericht über eine Versammlung verschiedener Journalisten- und Schriftstellerverbände im Münchener Presseheim, die sich „für den Anschluß an die Gruppe Brentano“ entschlossen hatten, heißt es in der Münchener Zeitung vom 19. November 1918: „Die leider getrennt vorgehende zweite Gruppe der geistigen Arbeiter hat inzwischen den Namen „Politischer Rat geistiger Arbeiter“ angenommen und erklärt, daß der Ministerpräsident ihr eine Vertretung im Zentralparlament und im Nebenparlament zugesagt habe.“ ([Spitzmarke:] „Presse und Schrifttum im Rat der geistigen Arbeiter“, in: Jg. 27, Nr. 318, S. 4) Auch die München-Augsburger Abendzeitung vermerkte am 19. November die Namenserweiterung: „Der Rat geistiger Arbeiter, der am 15. Nov. seinen ersten Aufruf veröffentlichte, hat inzwischen den Namen „Politischer Rat geistiger Arbeiter“ angenommen. Vom Ministerpräsidenten Eisner ist ihm eine Vertretung im Zentralparlament und im Nebenparlament zugesagt.“ (Nr. 586, Abendausgabe, S. 2) Und die Münchner Neuesten Nachrichten meldeten am selben Tag: „Politischer Rat geistiger Arbeiter. In Berichtigung eines von Hauptschriftleiter Scharre in der gestrigen Versammlung des Münchner Journalisten- und Schriftsteller-Vereins gehaltenen Referats muß mitgeteilt werden, daß sich die Gruppe geistiger Arbeiter, die sich gleichzeitig mit der Brentanoschen gebildet hat, ihre Selbständigkeit bewahren wird. Die führende Persönlichkeit ist Heinrich Mann.“ (Jg. 71, Nr. 585, Abend-Ausgabe, S. 2)

Der mit Thomas und Heinrich Mann befreundete Schriftsteller und Journalist Kurt Martens (1870-1945) schrieb über Heinrich Manns Vorsitz in dem Rat: „Er nahm den Posten sehr ungern an; zum praktischen Politiker und Versammlungsleiter fühlte er sich durchaus nicht berufen. Sein Name aber war nun einmal Programm.“ (Martens, S. 174f.)

Auf einer Mitgliederversammlung des PRgAM am 22. November 1918 hielt Heinrich Mann seinen Vortrag „Sinn und Idee der Revolution“; weitere Reden oder Wortbeiträge von ihm auf Zusammenkünften des PRgAM sind nicht bekannt.

Über die erste öffentliche Versammlung des PRgAM am 10. Dezember 1918, auf der Bruno Frank einen Vortrag hielt, heißt es in den Münchner Neuesten Nachrichten vom 16. Dezember:

Der „Politische Rat geistiger Arbeiter“ veranstaltete dieser Tage im Bayerischen Hof eine gut besuchte erste öffentliche Versammlung. An Stelle des erkrankten ersten Vorsitzenden Heinrich Mann eröffnete Dr. Gesemann die Versammmlung, indem er erläuterte, daß der „Politische Rat geistiger Arbeiter“ nicht Parteipolitik treibe, daß aber das Revolutionsprogramm der neuen Regierung im allgemeinen die Grundlage bilde; das Hauptbestreben sei, die praktische Politik mit reinen Menschenworten zu durchdringen. Schriftsteller Dr. Bruno Frank sprach dann über das Thema „Revolution und Menschenliebe“. (Den Vortrag haben wir im Auszug in unserer Sonntags-Ausgabe veröffentlicht.) In der nachfolgenden Aussprache fanden den stärksten Beifall die Worte Fritz Sängers, der dazu ermahnte, daß jeder zu jeder Stunde durch sein persönliches Verhalten dazu beitragen müsse, das wohlbegründete Mißtrauen des Arbeiters gegen die Geistigen und Bildungsschichten zu beseitigen. (Jg. 71, Nr. 634, Morgen-Ausgabe, S. 3)

Wie aus den Quellen hervorgeht, gehörten der Journalist Joachim Friedenthal (1887-1938) und der Rechtsanwalt Adolf Kaufmann (1883-1933) ebenfalls zum PRgAM. Ob sie von Beginn an Mitglieder waren, ist nicht festzustellen; Friedenthal dürfte aber frühzeitig eingebunden gewesen sein. Er wird von Thomas Mann in der in dessen Tagebuch verwendeten Formulierung „Heinrich-Friedenthal-Manifest“ als Mitautor des Aufrufs gesehen (TM-Tb, S. 80; 16. November 1918); auch geht aus Thomas Manns Aufzeichnungen hervor, dass ihm Heinrich Mann wenigstens einmal die Wortführung im Rat überließ (vgl. TM-Tb, S. 85f.; 19. November 1918); Monate später wurde er als Vorsitzender des Rats genannt (Neue Zürcher Zeitung, Jg. 140, Nr. 412, 20. März 1919; vgl. HMEP 3, 472). Richard Friedenthal gehörte der Ortsgruppe München des Schutzverbands Deutscher Schriftsteller an (siehe oben: Münchner Neuesten Nachrichten vom 16. November 1918). – Adolf Kaufmann wurde am 22. November 1918 zum Vertreter des PRgAM im Arbeiter- und Soldatenrat bzw. im Provisorischen Nationalrat Bayerns gewählt, wo er in der fünften Sitzung am 18. Dezember 1918 seinen einzigen Redebeitrag lieferte. Kurt Martens erinnerte: „Rechtsanwalt Kaufmann sprach […] ein einziges Mal, ohne irgend welche Wirkung zu erzielen.“ (Martens, S. 174) – Bei dem im Bericht der Münchner Neuesten Nachrichten vom 16. Dezember genannten Dr. Gesemann handelt es sich wahrscheinlich um den Slawisten Gerhard Friedrich Franz Gesemann (1888-1948); er übersetzte Heinrich Manns Novelle „Auferstehung“ ins Serbische (Belgrad 1921). – Zwei der im Heinrich Mann-Archiv erhalten gebliebenen maschinengeschriebenen Einladungen des PRgAM tragen die Unterschrift „Dr. Deditius“; ob es sich hierbei um die Germanistin Annemarie Deditius handelt, muss Spekulation bleiben. – In einer Einladung zu einer Ausschusssitzung am 13. Januar 1919 ist die Behandlung eines Antrags von einer Person namens Michalski vorgesehen; vielleicht ist sie mit dem Herausgeber der Europäischen Zeitung Heinrich Michalski identisch, den Thomas Mann in seinem Tagebuch mehrfach erwähnt (vgl. TM-Tb, S. 94, 100, 105 u. a.).

Kurt Martens zufolge muss die Zahl der Mitglieder anfangs wesentlich höher gewesen sein:

Bei unsern ersten Versammlungen hatten sich fast alle Münchner Schriftsteller, viele der jüngeren Künstler, mehrere Hochschullehrer, auch einige Ärzte und Anwälte als Mitglieder einschreiben lassen. Bald aber bröckelten die meisten wieder ab, da die großen Erwartungen, die sie auf den Umsturz gesetzt hatten, sich nicht erfüllen zu wollen schienen. Es fehlte an Schwung und Begeisterung, in der auswärtigen Politik sah es sehr trübe aus und niemand wußte, was gerade die geistigen Arbeiter jetzt für positive Arbeit leisten oder wie sie ihre Interessen unter der Republik besser wahren sollten als unter der Monarchie. (Martens, S. 174)

Denkbar ist, dass Martens in der Erinnerung die beiden Räte miteinander vermengt; die zeitgenössische Presse berichtete jedenfalls von zahlreichen korporativen Anschlüssen an den Brentanoschen Rat.

Der PRgAM bestand vermutlich bis Mitte 1919; die letzte im Heinrich Mann-Archiv überlieferte Einladung zu einer „Ausschusssitzung am 13. Mai“ datiert vom 9. Mai 1919; in ihr heißt es mahnend: „Es wird dringend gebeten, zur Sitzung zu erscheinen, da eine Wirksamkeit des Politischen Rates unmöglich ist, wenn die Ausschussmitglieder den anberaumten Sitzungen fern bleiben.“ (Zit. nach HMEP 3, S. 441) Das letzte bekannte Zeugnis seines Bestehens ist die Ankündigung einer Mitgliederversammlung: „Der Politische Rat geistiger Arbeiter hält heute, Dienstag den 1. Juli, abends 8 Uhr im Roten Saal des Augustinerbräu, Neuhauserstraße, eine Mitgliederversammlung ab. Dr. Joachim Friedenthal wird über das Thema sprechen: Was nun? Darauf Gedankenaustausch.“ (Münchener Post, Jg. 33, Nr. 150, Dienstag, 1. Juli 1919, S. 5; vgl. Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 72, Nr. 252, Dienstag, 1. Juli 1919, Morgen-Ausgabe, S. 2)

Öffentliches Auftreten Heinrich Manns im oder für den PRgAM

- Aufruf, publiziert am 15. November 1918

- Rede auf der Mitgliederversammlung des PRgAM im Konzertsaal Alfred Schmid, München, am 22. November 1918

- Publikation dieser Rede am 1. Dezember 1918

- Publikation von „An Henri Barbusse und seine Freunde“ am 11. März 1919

- Rede zum Gedächtnis Kurt Eisners im Odeon, München, am 16. März 1919

- Publikation dieser Rede am 17. März 1919

(Dass Heinrich Mann bei der Beerdigung Kurt Eisners am 26. Februar 1919 eine Rede hielt, wie das Berliner Tageblatt am selben Tag meldete (siehe unten) und einen Tag später in der Linzer Tages-Post (Jg. 55, Nr. 48, S. 2) zu lesen war, ist auch durch eine Tagebucheintragung Thomas Manns belegt, dann aber durch eine weitere Eintragung als unrichtig dargestellt (siehe unten).

Chronik des Politischen Rats geistiger Arbeiter München

13.11.1918, Mittwoch: konstituierende Versammlung des Rats geistiger Arbeiter Münchens, Wahl des Ausschusses.
Quellen: Aufruf und undatierte Mitteilung von Anfang Dezember 1918; vgl. HMEP 3, S. 438.

15.11.1918, Freitag: Publikation des Aufrufs des Rats geistiger Arbeiter Münchens in der Münchener Post und in den Münchner Neuesten Nachrichten.
Vgl. HMEP 3, S. 17f.

16.11.1918, Samstag: Versammlung (vermutlich hier Überlegungen zur Erweiterung des Namens, um von der gleichnamigen Gruppierung um Lujo Brentano unterscheidbar zu sein).
Quelle undatierte Mitteilung von Anfang Dezember 1918 (dort allerdings nichts zur Namenserweiterung); vgl. HMEP 3, S. 438.

17.11.1919, Sonntag: Der bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner sagt dem PRgAM eine Vertretung im Provisorischen Nationalrat des Volksstaates Bayern zu.
Quelle: Georg Köglmeier: Die zentralen Rätegremien in Bayern 1918/19. Legitimation – Organisation – Funktion. München: C. H. Beck, 2001, 239, Fußnote 700.

22.11.1918, Freitag, 20:00 h, Konzertsaal Alfred Schmid, Residenzstraße 7: Mitgliederversammlung: „1. Ansprache der Herren Heinrich Mann und Univ.-Prof. M. Geiger. / 2. Aufstellung der Kandidaten für das Haupt- und Nebenparlament. / 3. Freie Aussprache.“
Quelle: undatierte Einladung; zit. nach HMEP 3, S. 445.

Vermutlich vor dem 25.11.1918: Druck von „Politischer Rat geistiger Arbeiter / Richtlinien“.
Vgl. HMEP 3, S. 438-440.

1.12.1918, Sonntag: Publikation der Rede Heinrich Manns („Sinn und Idee der Revolution“) in den Münchner Neuesten Nachrichten und im Berliner Tageblatt.
Vgl. HMEP 3, S. 18-20; zu weiteren Drucken vgl. ebd., S. 448.

5.12.1918, Donnerstag, 17 h, Geschäftsstelle, Residenzstraße 6: Ausschusssitzung (ein Tagesordnungspunkt behandelt die Zusammenarbeit mit dem Berliner Rat geistiger Arbeiter).
Quelle: Einladung vom 2. Dezember 1918.

10.12.1918, Dienstag, 19:30 h, Bayerischer Hof: erste öffentliche Versammlung: Vortrag von Bruno Frank („Revolution und Menschenliebe“).
Quelle: undatierte Einladung; vgl. auch die Notiz in den Münchner Neuesten Nachrichten, Jg. 71, Nr. 621, Morgen-Ausgabe, 9. Dezember 1918, S. 2 und in der Münchener Post, Jg. 32, Nr. 290, Donnerstag, 12. Dezember 1918, S. 4.

15.12.1918, Sonntag: Teilpublikation des Vortrags von Bruno Frank unter dem Titel „Menschlichkeit“ in den Münchner Neuesten Nachrichten (Jg. 71, Nr. 633, Sonntag, 15. Dezember 1918, Einzige Ausgabe, S. 1).
Vgl. Bruno Frank: Von der Menschenliebe. (Gesprochen im Münchener Politischen Rat geistiger Arbeiter am 10. Dezember 1918). München: Musarion Verlag, 1919.

18.12.1918, Mittwoch: einziger Redebeitrag von Adolf Kaufmann vor dem provisorischen Nationalrat als einziger Vertreter des PRgAM.
Quelle: Stenographischer Bericht über die Verhandlungen des provisorischen Nationalrates des Volksstaates Bayern. Fünfte öffentliche Sitzung. Nr. 5, Mittwoch, 18. Dezember 1918, S. 105-107.

30.12.1918, Montag, 16:30 h, Geschäftsstelle, Residenzstraße 6: Ausschusssitzung.
Quelle: undatierte Einladung.

7.1.1919, Dienstag, 14:30 h, Geschäftsstelle, Residenzstraße 6: Ausschusssitzung.
Quelle: Einladung vom 4. Januar 1919.

8.1.1919, Mittwoch: Publikation der „Richtlinien“ in französischer Übersetzung in l’Humanité. Journal socialiste (Paris, Jg. 16, Nr. 5379, S. 1); am 9.1. abgedruckt in Le Populaire de Paris. Journal Socialiste du Soir (Paris, Jg. 4, 2. Folge, Nr. 269, S. [2]).

8.1.1919, Mittwoch, 19:00 h, Bayerischer Hof: zweite öffentliche Versammlung: Vorträge von Eugen Neuberger über Sozialismus als menschliche Notwendigkeit und von Fritz Sänger über Sozialismus als weltwirtschaftliche Forderung.
Quelle: Einladung vom 4. Januar 1919; vgl. auch die Notiz in den Münchner Neuesten Nachrichten, Jg. 72, Nr. 5, Morgen-Ausgabe, 4. Januar 1919, S. 3.

13.1.1919, Montag, 16:30 h, Geschäftsstelle, Residenzstraße 6: Ausschusssitzung.
Quelle: undatierte Einladung.

20.1.1919, Montag, 16:30 h, Geschäftsstelle, Residenzstraße 6: Ausschusssitzung.
Quelle: Einladung vom 16. Januar 1919.

27.1.1919, Montag, 16:30 h, Geschäftsstelle, Residenzstraße 6: Ausschusssitzung.
Quelle: undatierte Einladung.

4.2.1919, Dienstag, 16:30 h, Geschäftsstelle, Residenzstraße 6: Ausschusssitzung.
Quelle: Einladung vom 31. Januar 1919.

6.2.1919, Donnerstag, 19:30 h, Konzertsaal Alfred Schmid, Residenzstraße 7: Mitgliederversammlung (u. a. sind die Wahl eines dritten Vertreters für den Arbeiterrat und Referate über das Rätesystem von Fritz Sänger und Gustav Klingelhöfer vorgesehen).
Quelle: undatierte Einladung.

7.2.1919, Freitag: Teilpublikation des Vortrags „Sozialismus als menschliche Notwendigkeit“ von Eugen Neuberger in der Neuen Zeitung (München, Jg. 1, Nr. 39, Freitag, 7. Februar 1919, S. 2).

26.2.1919, Mittwoch, 10:00 h, Theresienwiese: korporative Beteiligung des Rats an der Beerdigung Kurt Eisners.
Quelle: Mitteilung vom 24. Februar 1919. Laut einigen Presseberichten begann der Trauerzug bereits gegen 9:00 h von der Theresienwiese aus.

26.2.1919, Mittwoch, Aussegnungshalle des östlichen Friedhofs, Totenfeier für Kurt Eisner: „[…] zahllos auch die kurzen Ansprachen […] Der Dichter Heinrich Mann sprach im Namen des politischen Rates geistiger Arbeiter.“
Quelle: „Die Bestattung Eisners in München. (Telegramm unseres Korrespondenten.) F. München, 26. Februar.“ In: Berliner Tageblatt, Jg. 48, Nr. 92, Mittwoch, 26. Februar 1919, Abend-Ausgabe, S. 1; vgl. auch Tages-Post, Linz, Jg. 55, Nr. 48, Donnerstag, 27. Februar 1919, S. 2. Der Bericht steht im Widerspruch zu der Angabe in Thomas Manns Tagebuch, wonach Heinrich Mann „aus Zeitmangel nicht mehr zu Worte gekommen“ sei (TM-Tb, S. 163; 27. Februar 1919). In den eingesehenen Ausgaben der lokalen Münchner Blätter vom 27. Februar sind in den Berichten über den Ablauf der Trauerfeierlichkeiten die Gedächtnisrede von Gustav Landauer und weitere Ansprachen von Hans Unterleitner, Ernst Niekisch, Lida Gustava Heymann, Hugo Haase, Edgar Jaffé, Emil Barth, Franz Schmitt und Max Levien genannt; in keinem Bericht ist Heinrich Mann erwähnt. Sehr wahrscheinlich erhielt das Berliner Tageblatt die Nachricht von ihrem Münchner Korrespondenten Joachim Friedenthal (auch das Kürzel „F.“ vor der Datumsangabe deutet darauf hin).

11.3.1919, Dienstag: Publikation von „An Henri Barbusse und seine Freunde“ in den Münchner Neuesten Nachrichten, unterzeichnet: „Politischer Rat geistiger Arbeiter | Im Auftrag: Heinrich Mann“.
Vgl. HMEP 3, S. 26f.; zu weiteren Drucken vgl. ebd., S. 473.

11.3.1919, Dienstag, 19:30 h, Saal des Hotels Reichshof, Sonnenstraße: Mitgliederversammlung: „Bericht über den Rätekongreß. Den Mitgliedern ist die Einführung von Gästen gestattet.“
Quelle: Münchener Post, Jg. 33, Nr. 57, Montag, 10. März 1919, S. 5.

16.3.1919, Sonntag, Odeon, großer Saal: Gedächtnisfeier für Kurt Eisner; Rede Heinrich Manns als Vertreter des PRgAM. Quelle: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 72, Nr. 123, Morgen-Ausgabe, 17. März 1919, S. 3.

17.3.1919, Montag: Publikation der „Rede Heinrich Manns bei der Gedächtnisfeier für Kurt Eisner am 16. März im Odeon“ in der Neuen Zeitung.
Vgl. HMEP 3, S. 28-31; zu weiteren Drucken vgl. ebd., S. 476f.

Vermutlich März 1919: Der PRgAM findet sich als Körperschaft unter den Unterzeichnern des Programms des Politischen Rats geistiger Arbeiter Berlin, das in der Januar-März-Ausgabe der von Armin T. Wegner herausgegebenen Zeitschrift Der Osten. Zeitschrift für das östliche Europa erneut publiziert wird (Jg. 1 (Neue Folge), Heft 9/11, Januar/März 1919, „Sonderheft: Politik des Geistes (Aktivismus und Räte geistiger Arbeiter)“, S. 119 [Fußnote]): „Politischer Rat geistiger Arbeiter München (Vorsitzender Heinrich Mann)“. Der Erstdruck war in der Weltbühne vom 21. November 1918 unter der Überschrift „Rat geistiger Arbeiter“ erschienen, allerdings ohne Namen von Unterzeichnern.
Zum Erstdruck des Programms vgl. HMEP 3, S. 357-360, zur Publikationsgeschichte vgl. ebd., S. 1007-1012.

13.5.1919, Dienstag, 16:30 h, Geschäftsstelle, Residenzstraße 6: Ausschusssitzung: „Es wird dringend gebeten, zur Sitzung zu erscheinen, da eine Wirksamkeit des Politischen Rates unmöglich ist, wenn die Ausschussmitglieder den anberaumten Sitzungen fern bleiben.“
Quelle: Einladung vom 9. Mai 1919; zit. Nach HMEP 3, S. 

Um den 8.6.1919: Pfingsttagung (es gibt keine Belege dafür, dass sie tatsächlich stattfand).
Quelle: Einladung vom 13. Mai 1919; 1919 fiel der Pfingstsonntag auf den 8. Juni.

1.7.1919, Dienstag: Mitgliederversammlung im Roten Saal des Augustinerbräu, 20:00 h: „Dr. Joachim Friedenthal wird über das Thema sprechen: Was nun? Darauf Gedankenaustausch.“
Quelle: Münchener Post, Jg. 33, Nr. 150, Dienstag, 1. Juli 1919, S. 5; vgl. Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 72, Nr. 252, Dienstag, 1. Juli 1919, Morgen-Ausgabe, S. 2.

Tagebuchaufzeichnungen Thomas Manns, in denen der PRgAM erwähnt ist

(Anmerkung: Die Eingriffe des Bearbeiters sind im Folgenden in spitze Winkel gesetzt; die in eckigen Klammern stehenden sind Eingriffe des Tagebuch-Herausgebers.)

Freitag den 15. XI. 18. <…> Heut im Morgenblatt Kundgebungen zweier verschiedener „Räte geistiger Arbeiter“, die eine, sehr vorläufig und allgemein gehalten, von einer Gruppe um Brentano, die andere, empörend hochnäsig, fanatisch-politisch und ketzerrichterisch, von einer Gruppe um Heinrich und – Friedenthal. Die Publikation regte mich sehr auf <…>
TM-Tb S. 79 (Anmerkung: Der Name Friedenthals ist in beiden Drucken des Aufrufs nicht genannt.)

Sonnabend den 16. XI. 18. <…> Dann in den Bühnenklub, wo zunächst über den Anschluß des Verbandes als Vereinigung geistiger Arbeiter an die freien Gewerkschaften und über den an den „Rat geist. Arbeiter“ diskutiert wurde, falls eine Fusion der beiden Gruppen zustande kommen sollte, sonst an die Brentano-Gruppe. Zu meiner Genugthuung war das „demokratische“ Heinrich-Friedenthal-Manifest ganz allgemein wie von mir empfunden worden, es wurde allgemein abgelehnt und nur von Friedenthal vertreten. <…> überzeugte mich, daß die „politische“ Clique im Grunde nicht viel Anhang [hat].
TM-Tb S. 79f.

Sonntag den 17. XI. 18. <…> Der „Rat geistiger Arbeiter“ tritt politisch nur in der Brentano’schen Gestalt in Wirksamkeit. Von der „demokratischen“ Gruppe scheint nicht mehr die Rede. Friedenthal hat in jener Sitzung ausdrücklich meinen Namen (u. den Halbes) genannt, um klar zu machen, wer „auszuschließen“ sei; kommt es zu einer Fusionssitzung, zur Diskussion, so gedenke ich, darüber zu sprechen. Man will mich, weil ich einen Essay über Friedrich den Großen geschrieben, ausschließen aus einem Rat, der nicht politisch-demokratische, sondern geistig-kulturelle Interessen im neuen Staate vertreten [soll]. Die wandelnde Weltanschauung des Berliner Tageblatts maßt sich an, darüber zu befinden, wer einem Rate geistiger Arbeiter Deutschlands angehören darf u. soll u. wer nicht! Das ist stark u. bedarf der Erwähnung. <…>
TM-Tb S. 81f. (Anmerkung: „Die wandelnde Weltanschauung des Berliner Tageblatts“ bezieht sich auf Friedenthal, der für das Berliner Tageblatt tätig war.)

Dienstag den 19. XI. 18. <…> Im Abendblatt <…> Mitteilung über den gesonderten Fortbestand des „Politischen Rates geistiger Arbeiter“, dessen „führende Persönlichkeit“ Heinrich Mann sei! Als die führende Persönlichkeit den Vorsitz der Versammlung übernehmen sollte, bat sie: „Ersparen Sie mir doch das!“ Sie präsidierte dann stumm und ließ zu allgemeinem Ekel das Scheusal Friedenthal das Wort führen … <…>
TM-Tb S. 84, 85f.

Freitag den 22. XI. 18. <…> Heinrich spricht heute Abend im „Politischen Rat“ im Saale Schmidt, zu meiner Unlust. <…>
TM-Tb S. 90

Sonnabend den 23. XI. 18. <…> Hatzfeld erzählte von der gestrigen Versammlung der „Politischen Geister“, die wieder wirr und resultatlos verlaufen. Immerhin sei Heinrich als „Symbol“ proklamiert worden, wenn auch unter Widerspruch, wie es scheint, namentlich des jungen Zarek. Zum Delegierten in den Arbeiterrat ist Dr. Kaufmann gewählt worden. Als zweiter Delegierter, mit 12 Stimmen Mehrheit, Heinrich, der vernünftiger Weise aber abgelehnt hat. <…>
TM-Tb S. 91

Montag den 25. XI. 18. <…> Schw gab mir das gedruckte Programm des „Politischen Rats“, das in schlechtem Deutsch recht triviale Dinge sagt und offenbar nicht von Heinrich ist. Übrigens ist dieser als Delegierter in das „Nebenparlament“ gewählt. <…>
TM-Tb S. 93f.

Sonntag den 1. XII. <…> In den „Nachrichten“ Heinrichs mutig im „Rat“ gehaltene Ansprache. Frankreich und Wilson! Verherrlichung der Republikanertugend. „Das Kaiserreich“. „Wir Söhne der Niederlage“. „Die Republik“. „Die Gerechtigkeit“. Wann wird er es satt bekommen? <…>
TM-Tb S. 99

Mittwoch den 4. XII. <…> Man sprach schließlich von Heinrichs „Rats“-Rede, seiner entsetzlichen und empörenden Zusammenhangslosigkeit mit aller deutschen Bildung. Klopstocks „Seid nicht allzu gerecht“ sei sittlich der Anfang vom Ende gewesen. Es ist unleidlich. Die alberne Verhimmelung des Dreyfus-Skandals. Die stupide Gleichstellung des deutschen „Kaiserreichs“ mit dem Cäsarismus des franz. empire. Frech, dumm, spielerisch und unleidlich. Aber das wird als „Symbol“ und „führende Persönlichkeit“ ausgerufen.
TM-Tb S. 101f.

Dienstag den 10. XII. <…> Zum Thee mit K. in die Arcisstraße, von dort später mit K.’s Mutter in den Bayrischen Hof zur Versammlung des „Rats“. Franks Rede nicht ohne Anmut, aber sybaritisch und grübchenhaft. Die Diskussion grauenhaft, qualvoll wie immer; der beste war ein kleiner wegwerfend gescheiter jüdischer Student mit dem Band des E. K. Es redeten auch Friedenthal, Michalski, Skanzony, Kaufmann, ein rheinischer Jüngling aus ungeistiger Sphäre, der die Offiziere verteidigte, der Hanswurst Stückgold, ein Gespenst von einem bösen Kandidaten, der mit allen Vorrednern in ein unerbittliches Gericht ging u. s. w. Die Luft fürchterlich. Das Benehmen der Versammlung turbulent, kindisch und verroht. Die Leitung unfähig. Das Ergebnis minus. Aber Menschentypen lernt man kennen, bei keiner Gelegenheit präsentieren sie sich plastischer, denn als Diskussionsredner. <…>
TM-Tb S. 105f.

[Freitag] den 13. XII. <…> Ich dachte heute daran, aus der „Rats“-Versammlung etwas zu machen, werde aber wohl nicht dazu kommen. Das Menschliche ist verlockend: Frank selber, dann Kaufmann, Friedenthal, Stückgold, der Rheinländer, der gegen das Volk sprach, das kleine Mädchen mit dem Gedicht, der Feldgraue, der den Aufsatz vorzulesen begann („Liebe Bürger, liebe Bürgerinnen!“), der böse Kandidat, der Sozialdemokrat, Gelehrter, der selbst mal Arbeiter war u. den größten Erfolg hatte, von Skanzoni (gegen die Menschenliebe), Michalski, endlich das Publikum
TM-Tb S. 107

Freitag den 10. I. <…> Nachrichten melden, daß der von H. verfaßte Aufruf der Politisch-Geistigen in der Humanité erschienen ist, durch Vermittlung Rollands. Das fr. Blatt bemerkt, in Deutschland scheine dank der gewonnenen Freiheit der alte Idealismus wieder zu erwachen. Der alte ist es jedenfalls nicht. <…>
TM-Tb S. 131

Mittwoch den 26. II. 19. <…> Während ich die neu zu machende Passage zu Ende entwarf <…>, wurde der Ermordete bestattet, unter Glockengeläute und starker Schießerei aus der Richtung der Stadt, an die Neujahrsnacht erinnernd. Frau Dr. Hallgarten und ihr Sohn waren zugegen. Es soll feierlich gewesen sein. Auch Heinrich hat, wie ich höre, gesprochen, was mir wahrscheinlich gewesen war. Er that es wohl für den politischen Rat und wird alle in der Luft liegenden Worte gebraucht haben, wie es sich gehört, wenn man einem politischen Menschenfreunde die letzten Ehren erweist. <…>
TM-Tb S. 160f.

Donnerstag den 27. II. <…> In den Neuesten <…> langer Bericht über die Feierlichkeiten. Die Wagner-Musik scheint gestrichen worden zu sein. Aber auch Heinrich ist aus Zeitmangel nicht mehr zu Worte gekommen, was ich tadle, denn die Literatur hätte bei dieser Gelegenheit nicht zu weit hinten aufs Programm gesetzt werden dürfen. <…>
TM-Tb S. 163

Siglen

HMEP 3 = Heinrich Mann: Essays und Publizistik. Band 3 November 1918 bis 1925. Herausgegeben von Bernhard Veitenheimer mit Vorarbeiten von Barbara Voigt. Bielefeld: Aisthesis Verlag, 2015 (Heinrich Mann: Essays und Publizistik. Kritische Gesamtausgabe. Herausgegeben von Wolfgang Klein, Anne Flierl und Volker Riedel)

TM-Tb = Thomas Mann: Tagebücher 1918-1921. Herausgegeben von Peter de Mendelssohn. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, 1979

Martens = Kurt Martens: Schonungslose Lebenschronik. Zweiter Teil 1901-1923. Wien, Berlin, Leipzig, München: Rikola-Verlag, 1924

Bemerkung: Die von Franz Schoenberner in seinen Erinnerungen zu den Münchner Räten geistiger Arbeiter gemachten Angaben (vgl. Franz Schoenberner: Bekenntnisse eine europäischen Intellektuellen. Icking, München: Kreisselmeier Verlag, 1964, S. 126-129) konnten nicht verifiziert werden und wurden daher nicht berücksichtigt.