Nix Nietzsche? Paratexte und Rezensionen zu Robert Müllers Roman „Tropen“ (1915) im Ergänzungsband zur Werkausgabe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit 1990 gibt Günter Helmes die Werke des österreichischen Expressionisten und aktivistischen Kulturrevolutionärs Robert Müller (1887–1924) im Igel Verlag heraus. Er eröffnete die Edition mit Müllers Hauptwerk, dem Roman Tropen. Der Mythos der Reise (1915). Den vorläufigen Schlusspunkt bildete Band 13, Briefe und Verstreutes (1997). Zwei Jahrzehnte später haben verbesserte digitale Recherchemöglichkeiten zur Edition eines Ergänzungsbandes geführt. Die Paralipomena bieten einen einführenden Querschnitt durch das Leben Müllers, dessen Moderne-Erfahrung ein Aufenthalt in den USA (1910/11) entscheidend prägte. Zwar konnten die Umstände seines Freitodes in Wien nicht geklärt werden, doch wirft die Sichtung bisher unbekannter Archivmaterialien neue Fragen auf, mit denen sich die These vom Verlagsbankrott als Motiv relativieren lässt.

Repräsentative Essays und die Korrespondenz des Autors mit seinem Kontaktnetz von Eberhard Buschbeck über Hermann Bahr bis Albert Paris Gütersloh lassen Kontinuitäten und Brüche in Müllers Biografie deutlich hervortreten. Daneben versammelt der Band Rezensionen zu den Publikationen des Schriftstellers und zahlreiche Nachrufe, die Studien zur Rezeption dieses Autors wesentlich erleichtern dürften. Ein informierendes Nachwort von Helmes ordnet die Phasen der literaturwissenschaftlichen Erschließung und zunehmenden Kanonisierung Müllers. Die anspruchsvollen Texte dieses Schriftstellers bilden eine Herausforderung, sei es für Studien zur Erzähltechnik, zum urbanen Lebensstil und zum Exotismus der Jahrhundertwende oder auch für die postkoloniale Kritik.

Vor diesem Hintergrund sind vor allem diverse Kommentare Müllers zu Tropen für die Forschung von Interesse. Während es bislang üblich war, sein Œuvre im Zeichen der Nietzsche-Rezeption zu lesen, insistiert der Autor selbst im Januar 1916 in einem Brief an Buschbeck: „nix Kant, nix Nietzsche“. Der Roman sei „ein Bekenntnis zur ungeschriebenen Theorie der heutigen, gegenwärtigen, vorläufig-zukünftigen Kunst, zu Synthese, Expressionismus, Postimpressionismus“, keine „Weltanschauung“, sondern „ein Lebensgefühl, in dem Anschauungen nicht Thaten, sondern Synthesen sind“.

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Titelbild

Thomas Schwarz / Günter Helmes (Hg.): Robert Müller. Paralipomena.
Igel Verlag, Hamburg 2019.
260 Seiten, 39,00 EUR.
ISBN-13: 9783868157321

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