Wilhelm Heinse und die Muse

Ein Comic über den vergessenen Autor des „Ardinghello“ würdigt dessen Leben und Werk

Von Tina GrahlRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tina Grahl

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zum 220. Todestag Wilhelm Heinses (1746-1803) widmen der Zwerchfell Verlag und das Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg dem heute eher unbekannten Autor einen Comic, der dessen Leben und Werk würdigt. Angela Pfenninger (Autorin) und Jan Hochbruck (Zeichner) liefern eine grafisch anspruchsvolle und kurzweilige Einführung in Leben, Werk und Zeit des Autors Heinse.

Die Comic-Biografie stellt die wichtigsten Etappen im Leben des 1746 im thüringischen Langewiesen geboren Wilhelm Heinse von der Jugend bis zu dessen Tode 1803 in Aschaffenburg dar. Zu diesen zählt das Studium der Rechtswissenschaften in Jena und Erfurt, das Heinse schnell zugunsten der Literatur vernachlässigt, das ihn aber auch mit Christoph Martin Wieland in Kontakt bringt. Dieser, von Heinses ersten literarischen Fingerübungen begeistert, empfiehlt ihn an Johann Wilhelm Ludwig Gleim, der sein Freund und Mentor wird. Bekannt ist das Porträt Heinses für die Gleimsche Galerie. Heinse bestreitet seinen Lebensunterhalt vorerst als Reisebegleiter und Hofmeister, betätigt sich aber bereits mit ersten Übersetzungen (Petronius, Dorat, Ariost). Diese machen ihn zwar bekannt, bringen ihn aber zugleich in Verruf. Das Zusammenspiel von Ruhm und Verruf wird Heinses Leben und Werk prägen. Ab 1774 ist Heinse gemeinsam mit Johann Georg Jacobi Herausgeber der Frauenzeitschrift Iris, deren inhaltliche Ausrichtung er maßgeblich prägt.

Nach der anschließenden Italienreise 1783 verfasst er sein Hauptwerk, den als ersten deutschen Künstlerroman geltenden Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Der Roman bedient mit seiner Beschreibung Italiens und der italienischen Kunst einen Zeitgeist, den selbst Goethes Italienische Reise 30 Jahre später aufgreift. Ardinghello wird für seine Kunstbetrachtungen bekannt, die als Heinses größte Gabe gelten. Die dargestellte sexuelle Freizügigkeit bringt ihn jedoch in Verruf, weswegen der Roman 1787 ohne Verfasserangabe erscheint. Trotz und gerade wegen des Ardinghello wird Heinse 1786 Vorleser beim Mainzer Erzbischof und Kurfürsten Friedrich Karl von Erthal. Dieser ernennt ihn später zum Hofrat, Professor und zum Bibliothekar. Als Bibliothekar ist Heinse unter anderem für die Umsiedlung der kurfürstlichen Bibliothek aus dem belagerten Mainz in die Zweitresidenz Aschaffenburg zuständig. In Aschaffenburg verbringt Heinse seine letzten Jahre bis zum Tod 1803. Sein Spätwerk ist geprägt von seinen vielseitigen Interessen wie der Musiktheorie (Hildegard von Hohenthal) oder dem Schachspiel (Anastasia und das Schachspiel).

Es liegt nahe, Heinse eine Lebensbeschreibung in der grafischen Form eines Comics zu widmen. Mit seinen Briefen Über einige Gemälde der Düsseldorfer Galerie macht er Rubens in Deutschland berühmt und wird zugleich selbst für seine Bildbeschreibungen bekannt. Auch der Ardinghello wird von den Zeitgenossen für die Bildbetrachtungen gelobt.

Der Comic gewährt nicht nur Einblicke in das Leben und Schaffen Heinses, sondern vermittelt auch Zeitgeschichte. Hervorzuheben sind die dargestellten Gespräche zur inhaltlichen Entwicklung der Frauenzeitschrift Iris, die einen Eindruck in das Publikationswesen der Frauenzeitschriften des 18. Jahrhunderts liefern. Zugleich lässt einen die Abbildung der fiktiven Zeitschriften-Cover nicht ohne Schmunzeln zurück. Ein weiterer Höhepunkt zeigt, wie sich Heinse und Georg Forster aufgrund der verschiedenen Ansichten über die Revolution entzweien.

Der Band zeigt ebenso Heinses Unzufriedenheit und Zweifel mit dem eigenen Leben und Werk und dessen Anerkennung durch die Weimarer Klassik. Auch das Nachleben Heinses rückt der Comic in den Blick: 1805, wenige Jahre nach Heinses Tod, lässt Samuel Thomas Soemmering den Schädel seines Freundes exhumieren. Die von ihm geplante Biografie über Heinse kann er jedoch nicht beenden – bis heute fehlt eine Biografie des Autors. Ruhm wird Heinse dennoch zuteil, als König Ludwig I. von Bayern ihn in die von ihm erbaute Walhalla bei Regensburg aufnimmt.

Ästhetisch ist der Comic äußerst gelungen. Auf den Seiten wechseln sich großformatige Bilder (wie die Darstellung der Phantasie des nackten Heinses im Kreise des ebenfalls nackten Soemmering und zweier Hofdamen) mit übervollen kleinteiligen Bildern ab, auf denen es vermutlich selbst bei der fünften Lektüre noch etwas zu entdecken gibt. Kurzweilig und humorvoll bringt der Comic den Lesern und Leserinnen Heinse und seine Zeit nahe. Hervorragend eingebunden sind die Eindrücke aus Heinses bekanntestem Werk, dem Ardinghello. Etwas zu häufig wird dabei jedoch das Motiv von Nacktheit und Sexualität bemüht, auch wenn Heinses Schriften selbst heute noch in erotische oder unzüchtige Erzählsammlungen einsortiert werden.

Ein besonderer Clou ist die Einführung der Muse. Sie begleitet Heinse im Comic von der Jugend an und steht ihm auch am Totenbett noch bei. Sie fungiert als eine den ganzen Comic durchziehende Partnerin, mit der Heinse in Zwiesprache steht und Intimes teilt. Eine geschickte Einführung, denn Heinse selbst galt unter Zeitgenossen als verschlossen und einsilbig, selbst Briefe sind v. a. aus den letzten Lebensjahren – wohlmöglich aus Selbstzensur in politisch heiklen Zeiten – kaum erhalten.

Abgerundet wird der Comic von einem kurzen Beitrag von Gernot Frankhäuser, der das Comic-Projekt als wissenschaftlicher Berater begleitet hat. Frankhäuser ist Kunsthistoriker, Museologie am Landesmuseum Mainz und Kenner Heinses; bereits 2003 ist er Herausgeber des Bandes Wilhelm Heinse und seine Bibliotheken.

Insgesamt bietet der Comic so eine gut recherchierte und grafisch hervorragend aufgearbeitete Lebensbeschreibung Heinses, die einen neuen Blick auf Autor und Werk ermöglicht und so vielleicht ein paar neue Heinse-Leser und -Leserinnen hervorbringt. Es ist zu hoffen, dass diese leichte Lektüre zu weiteren Auseinandersetzungen Heines anregt. Erstaunlich ist, wie vollständig und dennoch lesbar dieses komplexe Leben auf den nicht einmal 80 Seiten wiedergegeben wird. So bleibt der Wunsch, dass diesem ersten gemeinsamen Projekt von Autorin Angela Pfenninger und Zeichner Jan Hochbruck weitere folgen.

Titelbild

Angela Pfenninger / Jan Hochbruck: Wilhelm und die glückseligen Inseln. Ein Comic über Wilhelm Heinse.
Zwerchfell Verlag, Stuttgart 2023.
86 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783943547689

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