Die Welt im Fokus einer „Storytrolling Agency“

Mit „Troll“ wendet sich der slowakische Autor Michal Hvorecky in Gestalt einer Dystopie einem brisanten Thema unserer Gegenwart zu

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Nach 2018“ spielt der Roman Troll laut einem Verweis im Text. 2017 hat Michal Hvorecky, einer der auch in Deutschland bekanntesten slowakischen Autoren (Jahrgang 1976), ihn in seinem Heimatland veröffentlicht. Deshalb von einer Utopie, besser wohl einer Dystopie, zu sprechen, ist sicherlich nicht falsch. Hvorecky hat vor zwei, drei Jahren damit begonnen, einen fiktiven Blick in die Zukunft zu werfen, und inzwischen die Erfahrung machen müssen, dass diese Zukunft zu großen Teilen schneller Realität wurde als gedacht. Zwar ist die „Festung Europa“ noch nicht errichtet worden und das im Roman so genannte „Reich“, worunter man sich wohl das heutige Russland vorzustellen hat, existiert mitsamt seinen völlig von ihm abhängigen osteuropäischen Satellitenstaaten bisher auch mehr als Schreckgespenst denn als wirkliche Macht. Aber dass eine Entwicklung, die 1989/90 so verheißungsvoll begann, inzwischen auf Gleise geraten ist, die Europa in eine höchst ungewisse Zukunft führen, wird wohl kaum jemand bestreiten.

Handlungsort des Romans ist Kúkavislava, kurz: Kúkav – eine Wortkreuzung aus dem eine Ortschaft auf wenig schmeichelhafte Weise abwertenden deutschen „Kuhkaff“ und „Bratislava“, der Hauptstadt der Slowakei. Hier wächst Hvoreckys Ich-Erzähler auf. Die Macht im Land liegt in den Händen zweier Vasallen des „Reichs“: Nach „Anführer-Vater“ geht sie über auf „Anführer-Sohn“. Beide herrschen autoritär. Es gibt Lager für Andersdenkende. Unbelehrbare Kritiker des Bestehenden landen in psychiatrischen Anstalten. Doch eines Tages bricht das autokratische System zusammen und jeder „erwartete, dass morgen oder übermorgen ein neues, wahrhaftiges und besseres Leben beginnen würde.“

Während die Ehe der Eltern noch in der Zeit der Diktatur zerbrach und der Vater mit dem älteren Sohn hinter den Mauern der „Festung Europa“ verschwand, landete der Jüngere mit 15 Jahren nach einer Masernepidemie im Krankenhaus. Einem desolaten Gesundheitssystem ausgeliefert und von Scharlatanen, so genannten „Volksheilern“, die statt eines EKG elektronische Homöopathie, Handauflegen, Auraanalyse und Astraltherapie zu gepfefferten Preisen anbieten, nur ausgenommen, nicht geheilt, wird die Klinik für ganze fünf Jahre zum Zuhause für Hvoreckys Helden und durch die zahlreichen Bekanntschaften mit anderen Patienten auch zu einer Schule des Lebens.

Hier erlebt er den Zusammenbruch des alten Systems, eine kurze Zeit des enthusiastischen Neubeginns und großer Hoffnungen, die sich allerdings bald als Illusionen erweisen. Zwar sind die Regale in den Supermärkten nun gefüllt mit den verlockendsten Dingen – aber nur wenige haben das Geld, sie sich zu kaufen. Das Ergebnis ist Frust, der sich vor allem darin ausdrückt, dass die alten, vergangenen Tage in den Rang eines goldenen Zeitalters erhoben werden. Niemand scheint sich mehr an die grauen Jahre unter dem Anführer-Regime zu erinnern, daran, dass man von Psychopathen, Tyrannen und Dieben regiert wurde, nur die „Stabilität, Ruhe und Ordnung“, die damals herrschten, weiß man plötzlich zu schätzen.

Der Roman Troll ist auf seinen ersten 50 Seiten eine groteske Paraphrase des letzten halben Jahrhunderts. Diktaturen mit sozialistischem Anstrich im Osten Europas, ein „großer Bruder“ – das „Reich“ –, der über Wohl und Wehe in seinen Satellitenstaaten bestimmt. Dann der in unterschiedliche Transformationsprozesse mündende Zerfallsprozess des europäischen Staatssozialismus samt allen damit aufkommenden Hoffnungen auf Demokratie und lange vermisste Freiheiten. Und am Ende Enttäuschung und Frust ob der Rückkehr der alten Eliten und bei vielen die Erkenntnis, dass das lange Erträumte nun zwar möglich, für viele aber nicht mehr bezahlbar ist.  

Allein Hvoreckys Fiktion bleibt hier nicht stehen, sondern richtet ihren Blick in die Zukunft. Und dort trifft sie auf eine neue Art der Propaganda, die dank des Internets über Glasfaserkabel noch in den letzten Winkel der Welt gesendet werden kann: das Trolling, die gezielte Verbreitung von Lügen und Fehlinformationen über Internetforen und soziale Medien, geordert von Firmen, Parteien, Terrororganisationen, Staaten und militanten Gruppierungen aller Art. Zusammen mit einer jungen Frau namens Johanna, die er in der Klinik kennengelernt hat, nimmt sich der Ich-Erzähler vor, das, was man im Leben vermasselt hat, wiedergutzumachen, indem man etwas gegen die immer mehr die öffentliche Meinung manipulierenden Trolle unternimmt und sich auf die andere Seite des statthabenden „Informationskriegs“ begibt. Beide sind sich schnell einig: Das längst fabrikmäßig organisierte Geschäft des Trollings lässt sich nicht von außen angreifen, sondern nur von innen heraus zerstören.

Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus – er ein durch die jahrelange Medikamentierung deformierter Fleischberg, sie ein Ex-Junkie, „Drogen und russischer Science-Fiction“ verfallen – heuert das Pärchen deshalb in der Troll-Fabrik des dubiosen Valys an. Der von Verschwörungen faszinierte, früher an Okkultismus und Faschismus interessierte Mann, äußerlich „eine Kreuzung aus dem jungen David Bowie und einem NKWD-Kommissar“, betreibt in einer stillgelegten, maroden Fabrik sein zerstörerisches Geschäft. Bis die beiden ihm das Handwerk legen können, müssen sie sich allerdings selbst die Finger schmutzig machen, indem sie sich an Verleumdungskampagnen beteiligen, Wahlen zu manipulieren helfen und Gerüchte streuen, mit denen missliebige Menschen jeglicher Couleur öffentlich vernichtet werden.

Irgendwann ist es dann aber so weit. Johanna und der namenlose Ich-Erzähler enttarnen das Troll-Imperium Valys’ öffentlich als Lügenfabrik, die sich für gutes Geld jedem zur Verfügung stellt, der sein eigenes Bild in der Öffentlichkeit mittels Unwahrheiten zum Glänzen bringen und seine Gegner mit denselben Mitteln herabsetzen will. Der Preis, den sie dafür zu zahlen haben, ist freilich hoch. Denn sie selbst werden jetzt von Trollen verfolgt. Gefälschte Bilder von ihnen werden in Umlauf gebracht. Ihnen werden Meinungen, die sie nie geäußert haben, mit dem Ziel untergeschoben, die beiden Aufrührer in der Öffentlichkeit zu diskreditieren und endgültig mundtot zu machen.

Am Ende untersagt sich Hvoreckys Protagonist das Internet völlig, schreibt seine Erfahrungen als Troll zur Warnung für die Mitwelt in eine alte mechanische Schreibmaschine und verändert sein Aussehen durch mehrere plastische Operationen so sehr, dass sich nichts Individuelles mehr an ihm findet – eine radikale Art und Weise, seine Identität für alle Zeiten zu schützen, indem er sie scheinbar aufgibt.

Fake-News und Trolle, Verleumdungskampagnen und haltlose Diffamierungen – für den Slowaken Michal Hvorecky gehören sie mittlerweile zum Alltag. Der heute 41 jährige war befreundet mit Ján Kuciak, dem im Februar 2018 zusammen mit seiner Freundin ermordeten Journalisten, der die Verstrickung slowakischer Politiker und Geschäftsmänner in die Aktivitäten der italienischen Mafia recherchiert hatte. Hvorecky selbst wurde von führenden Politikern seines Heimatlandes öffentlich beschimpft und über Internetbeiträge diffamiert – weiß also nur zu gut, wovon er spricht, wenn er die Machenschaften von bezahlten Troll-Armeen beschreibt.

„Das Reich kehrt jetzt die Zukunft in die Vergangenheit um. In solchen Epochen brauchen die Menschen literarische Drogen. Die Autoren sollten sich Mühe geben, ihnen reinen und starken Stoff zu liefern“, beantwortet Johanna am Ende des Romans die Frage seines Helden, wie sie sich die Zukunft vorstellt. Troll ist genau das: ein Buch, das warnen will vor den in unserer Gegenwart latenten, schon zu großen Teilen Wirklichkeit gewordenen Tendenzen, das Faktische dem Nützlichen zu opfern, zwischen bloßen Behauptungen und der Realität nicht mehr zu unterscheiden und jenen Vertrauen zu schenken, deren Geschäft die gezielte Desinformation ist.

Titelbild

Michal Hvorecky: Troll. Roman.
Übersetzt aus dem Slowakischen von Mirko Kraetsch.
Tropen Verlag, Stuttgart 2018.
215 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783608504118

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch