Ich machʼ das jetzt ganz klassisch

Özlem Özgül Dündar, nominiert für den Bachmannpreis 2018, übersetzt ihre Gedanken in die passende Form

Von Nick CichonRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nick Cichon

Auf Einladung der Literaturkritikerin Insa Wilke nimmt Özlem Özgül Dündar am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb bei den 42. Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt teil. In ihrem Videoportrait erzählt die 1983 in Solingen geborene Autorin von sich und ihrer Beziehung zum Schreiben. Es quäle sie, heißt es, und trotzdem könne sie es nicht lassen. Für Dündar ist die Gattungsfrage zentral: Ein Stoff verlange nach einer bestimmten sprachlichen Form – Schreiben sei das Übersetzen einer Idee in die passende literarische Sprache. Auf die Gattung ihrer Texte habe sie keinen Einfluss. Sie habe gehört, dass ein Autor einen inneren Abgrund mitbringen muss, um schreiben zu können. Sie lachte darüber, bis sie bemerkte, wie tief ihr eigener innerer Abgrund ist.

Ihr Videoportrait wirkt nüchtern, präzise und ehrlich: Die Attribute einer modernen Lyrikerin.

Dündar studierte Literatur und Philosophie in Wuppertal. Seit 2014 lernt sie Kreatives Schreiben am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Ihr literarisches Debüt gedanken zerren, ein Gedichtband, erschien 2018 im Elif Verlag. Darin finden sich experimentelle, im Blocksatz formatierte Gedichte, gelöst von jeder Regel, ohne Interpunktion. Es sind assoziative Gedankenströme, die ihre Form in der Formlosigkeit gefunden haben. In dem titelgebenden Gedicht heißt es passend: „zwischen synapsen kurzsch lüsse funken flackern mach en u durch bahnen keine wo rte durchdringen die ich spr echen kann“. Sie vermeidet Wörter wie „und“ oder „nicht“. Diese werden bei ihr zu einzelnen Buchstaben und beschleunigen ihre Texte. Der Verlag beschreibt ihr Schaffen als „Sprachliche Ohrfeigen“. Das lyrische Ich stolpere in „einem atemlosen Rhythmus durch die Zeilen.“

Ihre einzigartige Wirkung erhalten die Gedichte der Leipziger Autorin zu einem großen Teil durch die Sprache: Dündar schreibt, um vorgelesen zu werden. Beinahe jedes ihrer Gedichte ist – von ihr gesprochen – im Internet frei zugänglich.

Schon vor ihrem Debüt war Dündar als Übersetzerin tätig. 2014 übersetzte sie Gedichte von Hilmi Yavuz aus dem Türkischen (erschienen im Elif Verlag unter dem Titel wenn die zeit kommt). Ein Jahr später folgten weitere Übersetzungen, unter anderem Gedichte der türkischen Lyrikerin Lâle Müldür. 2016 übersetzte sie für den Verlag Wunderhorn Gedichte von Izzet Yasar. Im Rahmen ihrer Übersetzertätigkeit war sie 2014 Stipendiatin des Goethe-Instituts in Istanbul.

Seit 2008 publiziert sie regelmäßig eigene Gedichte, Essays und Theaterstücke in Literaturzeitschriften wie außer.dem, Federwelt und Bella triste. Im Poesiemagazin Signaturen veröffentlichte sie 2016 das mehrstrophige Gedicht arten zu sterben tragen. Bereits zweimal nahm sie am Berliner open mike Wettbewerb teil und ging 2014 als Finalistin hervor.

Dass Dündar mit ihrem Schreiben Erfolg hat, zeigen die zahlreichen Auszeichnungen, die sie in ihrer kurzen Schaffenszeit bereits erhielt. So wurde ihr 2015 für das Theaterstück Jardin d‘Istanbul der Retzhofer Dramapreis verliehen, der auch eine Uraufführung beinhaltet. Der Laudator lobte ihre „unaufwendige Zweisprachigkeit“. Nur drei Monate vorher nahm sie den Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis, einen Literaturpreis für deutschsprachige Lyrik, entgegen. Mit ihren Theaterstücken und experimentellen Gedichten ist Dündar eine vielversprechende Vertreterin zweier selten gewordener Gattungen.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen