Methodischer Magier der Sprache

Zum Tod des Georg-Büchner-Preisträgers Oskar Pastior

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

"Völlig überrascht" war Oskar Pastior, als er im Mai die Nachricht erhielt, dass er Georg-Büchner-Preisträger des Jahres 2006 ist. "Ich hab ein paar Tränchen verdrückt und dann ganz banal Freude empfunden. Und dann gab es ein bisschen Champagner", beschrieb Pastior seine Gefühle.

Der Lyriker, Übersetzer und begnadete Vortragskünstler gehörte keineswegs zum literarischen Establishment. Pastior war immer ein experimenteller Dichter, der mit dem Medium Sprache spielte - ein leibhaftiger Nachfahre der Dada-Bewegung und enger geistiger Verwandter des vor sechs Jahren verstorbenen Ernst Jandl.

Seine lyrische Gedankenwelt wirkte bisweilen hermetisch, und seine theoretischen Äußerungen klangen oft wie bewusste Irreführungen eines dichtenden Schelms: "Die Frage nach dem Gedicht an sich, das Gedicht gibt es nicht. Es gibt immer nur dies Gedicht, das Dich gerade liest. Aber weil Du in diesem Gedicht, siehe oben, sagen kannst, das Gedicht gibt es nicht, und es gibt immer nur dies Gedicht, das Dich gerade liest, kann auch das Gedicht, das Du nicht liest, Dich lesen, und es dies Gedicht hier nur immer nicht geben. Beide, Du und Du, lesen das und dies, duze beide, denn sie lesen Dich, auch wenn es Dich nicht nur hier gibt."

Die Affinität zum künstlerischen Nonkonformismus hat ihre Wurzeln auch in der bewegten Vita des Dichters, der am 20. Oktober 1927 in Hermannstadt, in der deutschsprachigen siebenbürgischen Enklave Rumäniens geboren wurde. Nach dem Einmarsch der Roten Armee in Rumänien wurde er zwangsdeportiert in ein Arbeitslager in der Ukraine. Erst vier Jahre später kehrte er in seine Heimat zurück, arbeitete zunächst als Fabrikarbeiter und konnte während seines Militärdienstes ein Germanistikstudium absolvieren. Acht Jahre lang zeichnete Pastior dann für das deutschsprachige Kulturprogramm von Radio Bukarest verantwortlich, veröffentlichte in den 60er Jahren seinen ersten, hochgelobten Gedichtband und fühlte sich dennoch in seiner Heimat äußerst unwohl.

"Ich war auf dem besten Weg, dort von der Obrigkeit hochgefördert, hochstilisiert zu werden, zum Aushängeschild einer Minderheitenlyrik. Das hat mir gestunken." So beschrieb der eigenwillige Dichter seine Beweggründe, die ihn 1968 zur Flucht in den Westen veranlassten. Über Wien gelangte Pastior nach Berlin, wo er seit 36 Jahren lebte und eifrig schrieb.

Seine Bände "Vom Sichersten ins Tausendste", "Ein Tango-Poem", "Anagrammgedichte", "Kopfnuß Januskopf. Gedichte in Palindromen" und "Das Hören des Genitivs" (das Werk liegt im Carl Hanser Verlag vor) stießen zwar bei der Kritik zumeist auf ein positives Echo, doch die Verkaufszahlen belegen, dass es nie eine wirkliche Pastior-Lesegemeinde gegeben hat. Spielerisch-leicht und dennoch mit einem trotzig-widerspenstigen Unterton lesen sich viele Gedichte des von den Feuilletons als "lingualer Neutöner" und "Großmeister des Wortgebrauchs" bezeichneten Dichters: "Ich sitze stumm und kraule / Das Kleinhirn zwecks Belebung / Die Sprache zwecks Bestrebung / Und die bewegt sich doch..."

Auf der Buchmesse wollte er in den nächsten Tagen gemeinsam mit der ebenfalls aus Siebenbürgen stammenden Schriftstellerin Herta Müller Texte über die Deportation von Rumäniendeutschen in die Ukraine vortragen.

Auf der Herbsttagung der Darmstädter Akademie sollte ihm der Georg-Büchner-Preis verliehen werden - es wäre die Krönung des Lebenswerkes eines "methodischen Magiers der Sprache" (so die Jurybegründung) gewesen.

Am 4. Oktober ist Oskar Pastior, einer der letzten großen Individualisten der deutschsprachigen Literatur, in Frankfurt im Alter von 78 Jahren gestorben.