Geistige Nähe und körperliches Verlangen
Ursula Welsch und Dorothee Pfeifer habe Bilder und Zitate zur Biografie Lou Andreas-Salomés zusammengestellt
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSeit etwa einem halben Jahrhundert behauptet sich die bei Rowohlt erscheinende Reihe der rororo Bildmonographien erfolgreich auf dem deutschsprachigen Buchmarkt. Vor einigen Jahren ist ein Konkurrenzunternehmen des dtv Verlags hinzugetreten. Wie sich inzwischen gezeigt hat, bietet der Markt problemlos Raum für beide. Und nun ist auch bei Reclam ein Buch dieser Art erschienen, ähnlich konzipiert und doch ganz anders: eine "Bildbiographie", die möglicherweise den Anfang einer dritten Reihe bildet. Einer der Unterschiede gegenüber den Bänden der Rowohlt- und der dtv-Reihe fällt sofort ins Auge. Handelt es sich bei diesen um Taschenbücher, liegt hier ein Hardcoverband vor, der unübersehbar auf eine edlere Erscheinung Wert legt. Mit Lou Andreas-Salomé gilt er einer Frau, die sich, wie die Verfasserinnen Ursula Welsch und Dorothee Pfeifer zurecht sagen, "ihren Lebensweg entgegen aller Konvention gesucht hat - nur sich selbst und ihren inneren Zielen verpflichtet".
Auf diesem Lebensweg traf sie mit nicht wenigen (im übrigen oft sehr prominenten) Männern zusammen, "die Lous Begeisterung für Verstandesarbeit und ihr rückhaltloses Sich-Einlassen auf denjenigen, mit dem sie gerade 'lernte', als Leidenschaft für die eigene Person missverstanden" und sich in ihrem Liebeswerben bald enttäuscht sahen. Andreas-Salomé selbst notierte einmal, die "geistige Nähe zweier Menschen" verlange "nach körperlichem Ausdruck", dieser jedoch verschlinge die geistige Nähe. Vielleicht liegt in dieser Haltung der Schlüssel zu ihrem erotischen (Er-)Leben und zum Verlauf ihrer Liebesbeziehungen. Wie dem auch sei, jedenfalls handelt es sich bei der aphoristischen Notiz um eines von zahlreichen weithin unbekannten oder bislang gar unveröffentlichten Zitaten der vielseitig begabten Autorin, mit denen der vorliegende Band aufwartet.
Seine einzelnen 'Kapitel' bestehen aus einem ausführlichen Bild- und Zitatenteil sowie einem jeweils vorangestellten kurzen Text der Autorinnen. Manche der Abbildungen, insbesondere von Schriftstücken wie Salomés "Konfirmationseintrag" fallen allerdings derart winzig aus, dass man die zweifellos interessanten handschriftlichen Bemerkungen durchaus nicht zu entziffern vermag. Die Textteile wiederum bilden keine zusammenhängende Biografie Salomés, sondern werfen eher Schlaglichter auf besondere Stationen und Begegnungen ihres Lebens. Derart korrespondieren sie zwar mit den Momentaufnahmen der Fotographien. Eine Bildbiographie, wie der Titel des Buches ankündigt, entsteht so allerdings kaum. Daran muss man sich jedoch durchaus nicht stören, sondern kann sich ganz der Freude an den zahlreichen Entdeckungen hingeben, die das Buch bietet. Neben den bereits erwähnten Zitaten etwa aus den unveröffentlichten Tagebüchern Salomés und ihrer Mutter nicht minder zahlreiche, ebenfalls bis dato unveröffentlichte Bilder. Natürlich dürfen in einem solchen Band aber auch die bekanntesten Fotografien nicht fehlen, darunter die vielleicht prominenteste Ablichtung Salomés: die junge Frau mit Peitsche auf einem Wägelchen, vor das Paul Rée und Nietzsche gespannt sind.
Wer sich bisher schon für Leben und Werk von Lou Andreas-Salomé interessierte, findet in dem feinen Bändchen zum Blättern, Lesen und Schauen so manches Kleinod - insbesondere zum Leben der hochintelligenten und vielseitig Begabten. Ihnen führt der Band zudem vor Augen, wie viel von Salomés handschriftlichem Nachlass noch immer der Veröffentlichung harrt. Darunter neben dem leider nur unvollständig erhaltenen Tagebuch auch so mancher Briefwechsel. Sollte das Buch jedoch jemandem in die Hände fallen, dem der Name Lou Andreas-Salomé bislang noch unbekannt war, so wäre dies ein Glücksfall, der ohne weiteres sein Interesse an einem der außergewöhnlichsten Menschen nicht nur der Jahrzehnte vor und nach 1900 wecken könnte.
|
||