Voyeurismus in der Selbsthilfegruppe

Ein kurzes Kopfschütteln über Rosalind B. Penfolds zum Buch aufgeblasene Beziehungsfibel

Von Fabian KettnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabian Kettner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine Frau, Mitte dreißig, Unternehmerin, lernt einen Mann kennen, Witwer und vierfacher Vater, auch er Unternehmer. Er bemüht sich, ist sehr aufmerksam, die beiden kommen zusammen. Danach wird er zum egomanischen Monster: trinkt, ist jähzornig, gewalttätig, aggressiv, demütigt seine Frau, zwingt sie zum Sex, geht fremd. Hund und Kinder werden vernachlässigt; ersterer muss eingeschläfert werden, der Nachwuchs wird auffällig und unternimmt Suizidversuche. Die Frau verdrängt, findet Entschuldigungen für ihn und sucht den Fehler bei sich. Ringt sie sich doch zu einer Trennung durch, fällt sie auf seine Liebesschwüre und auf seine Versprechungen, sich zu bessern, herein und kehrt zu ihm zurück. Nur ganz am Ende schafft sie es, sich endgültig zu trennen.

Irgendwann fing sie an, ihr Leben in gezeichneten Bildern festzuhalten, um sich selbst vor Augen zu halten, wie es um sie steht. Unter dem Pseudonym "Rosalind B. Penfold" wurden diese Zeichnungen nun veröffentlicht. Dieses Buch ist kein Roman, es ist kein Comic, es ist auch keine graphic novel, wie die "Berliner Literaturkritik" meint. Eine Frau, die weder zeichnen noch erzählen kann, hat versucht, über zehn Jahre ihres Lebens in Bildern festzuhalten. Die "kulleräugigen Figuren", die "fast an Kinderbücher erinnern" ("Berliner Morgenpost"), die "Figuren mit Knubbelnase und Kulleraugen", die "fast niedlich" anmuten ("Berliner Literaturkritik"), "die einfache, fast schulbuchbrave Bildersprache" ("taz") kann niemand übersehen. "Ihr Zeichenstil ist einfach, fast kindlich" ("jungle world"). Der Mangel ist überdeutlich, peinlich gar, aber galant benennt man flächige, äußerst simple schwarz-weiße Strichzeichnungen in "übersichtliche Grafik" um. Aber bevor man misstrauisch wird, kann die "Berliner Morgenpost" schnell beruhigen: "Die gestalterische Form des Tagebuchs nimmt dem Thema nichts an Ernsthaftigkeit." Denn der Mangel soll sogar ein Vorteil sein, das Unzulängliche soll in einem geradezu vulgärdialektischen Vorgang in sein Gegenteil umschlagen. Die Naivität nämlich, so die "taz", "fügt der Geschichte die entscheidende eigene Qualität hinzu: Die Wahrnehmung der Ich-Erzählerin ist in dieser besonderen Hinsicht eine kindliche geblieben, deshalb illustrieren die Bilder mehr als nur die gruselige Geschichte, sie zeigen das 'kindliche Gemüt', das nicht nur die Erzählerin in diesen Gefühlsdingen ist." Die Erzählerin also ist das kindliche Gemüt in diesen Gefühlsdingen, und das ist sie nicht allein - was immer das heißen mag, man kann auf jeden Fall beobachten, wie der zu bewertende Gegenstand auf die Sprache schlägt, wenn das Gemüt in Wallung kommt.

"Warum konnte sie nicht ausbrechen?", fragt die "jungle world" und lässt sich die Antwort von der Autorin geben: "Die Antwort ist hier in meinen Zeichnungen!" Da wird man die Antwort aber vergebens suchen, denn in ihren Bildern steht nichts zu lesen als: es war und ist so, wie es war und ist. Das Sein ist das Sein, und das Sein ist sich auch der Grund. Dass dieses Faktische sich dabei und deswegen in kein Verhältnis mehr setzt zur Form seiner Darstellung, das muss die Autorin nicht kümmern, denn sie benutzt Text und Bild nur als Transportmittel für ihre Botschaft: ihr seid nicht alleine und auch ihr könnt es schaffen. Aber die Tatsache, dass das Faktische dies eben nicht tut, das decouvriert das Produkt: übrig bleiben Exhibitionismus und Selbstdarstellungsbedürfnis im perfekten Zusammenspiel mit dem Voyeurismus des Publikums oder der Selbsthilfegruppe.

Das Anliegen, anderen Frauen (und auch Männern) zu helfen, die sich in ähnlichen Beziehungen befinden, ist ehrenhaft. Das Ergebnis, zum Beziehungsvoyeurismus einzuladen und die Betroffenen nur zur gegenseitigen Teilhabe am Elend, weil man sich sowohl am eigenen wie an dem anderer so gerne ergötzt und es deswegen immer wieder durchkaut, was man dann als Hilfestellung kaschiert - dies ärgert.


Titelbild

Rosalind B. Penfold: Und das soll Liebe sein? Geschichten einer bedrohlichen Beziehung.
Übersetzt aus dem Englischen von Edith Beleites.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2006.
272 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3821856483

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