Annäherungsversuche zweier Mecklenburger

Der Briefwechsel zwischen Uwe Johnson und Walter Kempowski

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Briefwechsel weckt Interesse. Verbindet er doch zwei Menschen, zwei Schriftsteller, mit offensichtlichen Gemeinsamkeiten. Beide Mecklenburger, Rostock ist die verbindende Stadt, beide von eigenbrötlerischem Charakter, zurückgezogen vom geschäftigen Literaturbetrieb, vor allem aber haben sie ein gemeinsames Thema: die Erinnerung an das im Verlauf der Geschichte in Mecklenburg Verlorene. Und mit akribischer Konsequenz mühen sich beide Autoren auch um die literarische Aufarbeitung und Darstellung des Erinnerten.

Und also meldet sich der zu diesem Zeitpunkt noch in Berlin lebende Uwe Johnson am 30. März 1971 mit einer Anfrage bei Kempowski: "Was heisst Ocki-Arbeit und was ist Iben in Beziehung zu Kluge". Er hatte "Tadellöser & Wolff" gelesen, das zweite soeben erschienene Buch Kempowskis, und erfuhr nun, dass Ocki-Arbeit eine Handarbeit bezeichnet, der auch Mutter Kempowski nachging. Die Bedeutung von "Iben", das im Kluge, dem Etymologischen Wörterbuch, unauffindbar blieb, war eine typische Kempowski-Sprachschöpfung: Iben war bei den Kempowskis, wer völlig erschöpft und erledigt war...

Johnson hatte das Buch "zweimal gelesen", wie er schrieb, und war "in die Lage gekommen, es zu verteidigen."Zu verteidigen gegenüber einem bis heute Kempowskis peniblen Erinnerungsarbeiten entgegengebrachten Vorurteil, all das Erinnerte sei "lediglich Material, nicht aufbereitet." Das sieht Johnson anders: "da machte es mir schon Spass, die Erinnerung als eine Hauptfunktion des Erzählens zu identifizieren. Danach durfte ich ohne Widerstände aufsagen, dass ich an Ihrem Versuch gerade schätze, was andere als 'nicht literarisch' abtun möchten: die Vorführung eines tatsächlichen Lebens, bei der die Entstellung durch ästhetische oder gar moralische Sinnprogramme vermieden ist."

Handschriftlich antwortet daraufhin Kempowski, sich dazu aus einem "Tief" ob der "dürftig-miesen Kritiken" aufraffend, aber - wie hatte man früher gesagt: "Auf Brief mit Brief antworten, mein lieber Junge, auf Besuch mit Besuch."

Sichtlich fühlt sich der als Provinzler Selbstinszenierende geschmeichelt von der Aufmerksamkeit des anderen Mecklenburgers. "Wir laufen mit unserer 'Produktion' irgendwie nebeneinander her. Besonders erfreulich, daß ich Sie absolut nicht als 'Konkurrenten' empfinde", schreibt er im April 1971. "Mit größtem Genuß!" liest er Johnsons "Jahrestage", und er macht sich Notizen, die er nun seinen Briefen jeweils beilegt: "Die Notizen haben keinen Zusammenhang, ich denke, sie werden für Sie interessant sein." Auf die erste Sendung dieser Notizen antwortet Johnson artig dankend, sie "haben mich gefreut, weil sie praktisch vorführen, was der Verfasser sonst nur theoretisch annehmen kann: dass das Buch gelesen wird." Ansonsten geht er nur in diesem einen Brief auf einige der Notizen ein, und es steht zu vermuten, dass sie so interessant für ihn am Ende auch nicht waren.

Die kurze Zeit eines Austauschs auf vermeintlich gleicher Ebene geht aber schon ihrem Ende entgegen. Auf Johnsons Bitte hin hatte Kempowski ihm das Manuskript seines neuen Buchs geschickt und am 21. April 1972 teilte Johnson Kempowski das Ergebnis seiner 'kritischen Durchsicht' mit. Die Bemerkungen rühren an den Kern des Kempowski'schen Schreibens. Die subjektive Erinnerung, die sich keines Zusammenhangs mehr bewusst ist, droht zur fleißigen Sammlertätigkeit zu verkommen. Skeptisch beurteilt Johnson nun die "Beschränkung auf Zeugenschaft": "was Sie nicht gesehen haben, was ihnen nicht zu Ohren gekommen ist etc. in der erzählten Zeit, all dies schliessen Sie aus. So kommt es zu einem Mangel an Realien in der Erzählung, damit zu einem Mangel an Beziehungen." Das Urteil: "Der Brief läuft hinaus auf das Ende, das Sie geahnt haben werden: Solange das Buch in diesem Zustand ist, sollte dem Verfasser von einer Veröffentlichung abgeraten werden. Er kann seine Sache besser, als hier zu sehen ist."

Trotzig behauptet daraufhin Kempowski seine Position: "Ich teile ihre Ansicht nicht, daß der Erzähler aus dem Rahmen seines eigenen Erlebens heraustreten sollte. Wenn er das täte, entstünde wieder so ein Vollständigkeitsroman, wie wir sie in der 'Bewältigungsliteratur' häufiger finden." Und beklagt im Übrigen "Andeutungen, die ich nicht verstehe. 'Es kann an anderem liegen, das auszusprechen mir nicht zusteht', was meinen Sie damit? Hier kritisieren Sie mich, ohne daß ich Schlüsse daraus ziehen kann."

Aufklärung erfuhr Kempowski zu diesen Punkten nicht. Der Briefwechsel setzt aus und wird wieder eröffnet erst einige Jahre später durch Kempowski. Johnson lebt mittlerweile in England - und wieder scheint da etwas Gemeinsames, das sich ausdrückt in beider Lebensorte. Hier der trotzig seine Idylle behauptende Dorflehrer Kempowski, dort der eigenbrötlerisch seine Schreib- und Lebenskrise zu überwinden suchende Johnson. Beide aber, so mochte Kempowski gedacht haben, sind sich einig im Misstrauen gegen die Kulturmetropolen. Doch Kempowskis immer wieder auch mit einem Komplex vorgetragene Abneigung gegen ein gewisses linksliberales Milieu - in dem "G. Grass [...] sich ein wenig lächerlich [macht] durch sein stetiges Senfgeben, aber das ist seine Sache." - findet bei Johnson keinen Anklang. Der schreibt zwar auch von "Fritzchen Raddatz", der "sich immer wieder ein Bein stellen lässt von seiner Klatschsucht und also in der Verschlimmerung meiner Sache eine unguten Part sich ausgesucht hat." Doch kann er wohl nicht wirklich glauben, dass Kempowski die hinter diesem flapsig formulierten Einverständnis bezüglich einer gewissen Literaturschickeria sich verbergende wahre Dramatik seiner Lebenskrise wahrnimmt. Wohl kaum hätte Kempowski ihn sonst von einem mit der Organisation beauftragten Redakteur einladen lassen zu einem Schriftstellertreffen bei Kempowskis. Uwe Johnsons Absage auf dieses Ansinnen ist ein Meisterwerk ebenso seiner Sprachartistik wie seiner konsequenten Lebensweise. Die war Kempowski letztlich immer fremd geblieben.


Titelbild

Uwe Johnson / Walter Kempowski: "Kaum beweisbare Ähnlichkeiten". Der Briefwechsel.
Herausgegeben von Eberhard Falke und Gesine Treptow.
Transit Buchverlag, Berlin 2006.
143 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-10: 3887472144

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