Ziemlich schnuppe

Hans Wollschlägers gesammelte Essays und Literaturkritiken bieten nicht viel mehr als um sich selbst trödelnden Narzissmus

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hans Wollschläger hat einen klingenden Namen. Und dies nicht umsonst: Er wird geachtet als Übersetzer der Werke Edgar Allan Poes und des "Ulysses" von James Joyce. Bekannt wurde er bereits 1965 als Biograf Karl Mays, und er machte sich außerdem als Herausgeber der Werke Mays und Friedrich Rückerts verdient. Zudem lobt man ihn als "Religionskritiker", weil er ein polemisches Buch über die Kreuzzüge geschrieben hat ("Die bewaffneten Wallfahrten gen Jerusalem", 1973) und außerdem während der 70er-Jahre heftige Attacken gegen die katholische Kirche publizierte (gesammelt in "Die Gegenwart einer Illusion. Reden gegen ein Monstrum", 1978).

Manchmal mögen einem die fantasievollen Berufsbezeichnungen, die für diesen Mann im Umlauf sind, aber auch fast schon etwas zu zahlreich erscheinen - erwecken sie doch den Eindruck, als solle uns Wollschläger als staunenswerter Tausendsassa bekannt gemacht werden. Werfen wir einen Blick in die üblichen Verlagsinformationen: Dort wird der Autor außerdem als "Rhetor" vorgestellt, als "Essayist", zudem als "Historiker" und "psychoanalytisch ausgerichteter Literarhistoriker". Einen "Schriftsteller" nennt man Wollschläger ebenfalls: Und zwar wegen seines Romans "Herzgewächse oder Der Fall Adams. Fragmentarische Biographik in unzufälligen Makulaturblättern. Erstes Buch" (1982). Nicht zuletzt hat Wollschläger ein Herz für Tiere: In seinem Essay "Tiere sehen Dich an oder das Potential Mengele" (erstmals erschienen im April 1987 als Nummer 79-81 von Uwe Nettelbecks legendärer Zeitschrift "Die Republik") meint er, "ein einziges Kontinuum von der NS-Menschenquälerei (dem 'Potential Mengele') über die Tierquälerei in Schlachthöfen und Labors bis hin zur mechanistischen Lebensfeindlichkeit der Apparate- und Präparatemedizin" (so der Klappentext der aktuellen Ausgabe im Göttinger Wallstein Verlag) erkennen zu können.

Wallstein veranstaltet seit geraumer Zeit eine Hardcover-Ausgabe von Wollschlägers "Schriften in Einzelausgaben", die dazu einlädt, das von Kennern so geschätzte Werk des - nicht zu vergessen: Organisten, Komponisten und Musikwissenschaftlers - in gediegener Aufmachung zu lesen. "Tiere sehen Dich an" wurde 2002 wiederaufgelegt, "Die bewaffneten Wallfahrten gen Jerusalem" im Jahr 2003 und 2004 die May-Biografie. Zwei weitere Bände erschienen 2006: "Von Sternen und Schnuppen. Bei Gelegenheit einiger Bücher". Teil I war bereits 1984 bei Haffmans erschienen und wurde nun zusammen mit einem zweiten Band neu aufgelegt, der Literaturkritiken von 1989 bis 2002 enthält.

Wollschlägers hier und da publizierten Besprechungen teils längst vergessener Allerweltspublikationen wird mit solch einer Ausgabe augenscheinlich ein bleibender literarischer Wert beigemessen. Tatsächlich versammeln beide Bände jedoch nichts anderes als oft eher langatmig geschriebene Rezensionen von Büchern, die einst Wollschlägers Interessengebiete kreuzten und ihm als Bühne für arrogant vorgetragene Besserwissereien dienen.

Gegenstand seiner Auslassungen sind zunächst einmal Themen, die in irgend einer Weise mit seinem großen Vorbild Arno Schmidt zu tun haben: So wird Schmidts 50er-Jahre-Roman Roman "Das steinerne Herz" in einer Neuauflage von 2002 rezensiert, Schmidts vielschreibender Interpret Rudi Schweikert wird anhand einer Bibliografie seiner Arbeiten geehrt, genauso wie gleich mehrmals Schmidts Freund, der Maler Eberhard Schlotter; Schmidts Lieblingsautor Lawrence Sterne kommt in einer Laudatio auf den Übersetzer des "Tristram Shandy", Michael Walter, in den Blick, und der große Kirchenkritiker Karlheinz Deschner, der einst Schmidts berühmte Umfrageantwort "Atheist?: Allerdings!" inspirierte, wird mit seiner "Kriminalgeschichte des Christentums" besprochen. Außerdem hält Wollschläger Schmidts favorisiertes Englisches Wörterbuch, den Muret/Sanders, für den "Grundkreis der Bildung". Nebenbei widmet sich Wollschläger dann aber auch noch Büchern zu musikalischen Heroen wie Gustav Mahler, Richard Strauss, Franz Schubert und Glenn Gould, von beziehungsweise zu den Psychoanalytikern Sigmund Freud und Sándor Ferenczi - und so manchen anderen.

Den Eindruck, der Autor halte seine "bei Gelegenheit" geschriebenen Kritiken vor allem aus der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und der "Süddeutschen Zeitung" für regelrechte Geniestreiche, die dem Publikum wie Preziosen in einer gewichtigen Werkausgabe kredenzt werden müssten, bestätigt sich auch beim Blick in den Anhang der Bücher. Als habe man eine in weiser Voraussicht auf die literarhistorisch forschende Nachwelt hin zugeschnittene Ausgabe vor sich, ist dort zu jedem abgedruckten Artikel minuziös der Monat der Entstehung, ja gar die weitere Publikationsgeschichte genau angegeben. Übrigens nicht ohne ausdrückliche Erwähnungen der Redaktionen, die die Texte hier und da zunächst ablehnten: "Geschrieben im Februar 1980 für den 'Spiegel', dort nicht gebracht", heißt es da etwa. Oder auch: "Geschrieben im September 1992 für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, von dieser abgelehnt".

Auch vergisst es Wollschläger in seiner editorischen Notiz nicht anzuprangern, dass seine Artikel bei der angezeigten Erstveröffentlichung "die gewerbeüblichen Verstümmelungen durch Setzer oder Redaktion" erfahren hätten. So etwas erwähnt man nur, wenn man davon überzeugt ist, es lohne sich, den Lesern den als unverfroren empfundenen Affront zur Kenntnis zu bringen, dass es auch Redakteure gab, die Wollschlägers Texte kürzenswert oder gar nicht für publikationswürdig befanden.

Gerade diesen Leuten jedoch möchte man bei der teils lähmenden Lektüre von Wollschlägers Texten und Essays nachträglich gratulieren. Ja, man fragt sich sogar zunehmend, wie es eigentlich sein kann, dass ein derart gestelzt und betulich schreibender Autor von den Redaktionen der großen Zeitungen in den letzten Jahrzehnten so selten das zu hören bekam, was jedem anderen frei arbeitenden Literaturkritiker nur allzu alltäglich bekannt und nicht weiter der Rede wert ist.

Wollschlägers Stil ist phasenweise von unangenehmen Manierismen gekennzeichnet, die man Literatur- und Journalismusstudenten bereits während ihrer allerersten Schreibübungen austreiben würde. Seine Erläuterungen klingen in ihrer anmaßenden Selbstgewissheit außerdem oft peinlich, ist es doch offensichtlich, dass es dem Autor dabei um seine eigene Autorität geht, die er - gerade durch seine nonchalante Zurückweisung eines solchen Ansinnens - pseudobescheiden unterstreicht.

Schon allein der Titel des Buchs schreit diese programmatische Attitüde geradezu heraus - es sind 'Gelegenheits'-Texte, die der Autor wie nebenbei verfasst haben und dennoch gleichzeitig der Nachwelt wie "Sternschnuppen" serviert sehen will: "Was folgt, sind Gelegenheitsversuche, beim Lesen-Lernen zu helfen: Griffe in den Zufall einiger Lesejahre - nach Büchern, die zuviel, und solchen, die zuwenig beachtet wurden: Schnuppen gern selbst, aus dem Tag und für den Tag entstanden", säuselt Wollschläger im kulturpessimistisch getönten Vorwort "Die Literatur und die Kritik", das Band I vorangestellt ist. "Ihr Zweck aber einmal mehr: Autorität aufzurichten", heißt es da weiter, "- nicht die eigene, sondern jene, von der sie jenseits ihrer einzelnen Anlässe handeln. Es sind so, wenn man will, allesamt Verteidigungsschriften - ach, Schriften gar nicht, kleine Winke nur, plädierend und orientierend -: sie mögen, wünsche ich mir, vielleicht ein paar Lesern, die Gute Leser werden möchten, nützlich sein - bei der Betrachtung des Firmaments."

Wie selbstverständlich nimmt der Autor also an, einer jener "Guten Leser" zu sein. Mehr noch: Obwohl er "gar keine pompöse Trauerarbeit beginnen will" - wie er in seinem Vorwort an einer Stelle schreibt, an der bereits genau das über zwanzig Seiten lang angesichts des wortreich betrauerten Umstands geschehen ist, dass auf dem Buchmarkt jährlich soviel Schund erscheine und dass außerdem sowieso niemand mehr wirklich lese - stellt sich Wollschläger als jemand hin, der sich gleichsam an der Spitze jener wenigen stehen sieht, die inmitten der wahren Welt der Literatur leben und schaffen. Weiß er doch, "daß das Glück der Großen Literatur, leider GOTTES und seiner Schöpfung, nur für ganz wenige bestimmt ist, überhaupt und prinzipiell, ein Vorrecht und eine Gnadengabe, weit seltener noch als der Besitz einer Million".

Mit derlei Weisheiten am Ende gar "elitär" zu sein, weist Wollschläger an der Stelle gleich zurück, sei dies doch ein Allerweltsvorwurf, den "der Mengenmensch heute auf jeder Schule gelernt hat: -". Und Wollschläger klagt weiter, fast schon wie ein Pastor auf der Kanzel: "Wir sind -: wie Wenige sind wir? Sehr wenige - eine immer verschwindender kleine Zahl." Nachdem er die "Volksgenossenschaft" auf der Suche nach seinen ominösen "Guten Lesern" noch einmal durchgegangen ist, wiederholt der Prediger vor dem Herrn: "Ach, sehr wenige -: ich will, hinter vorgehaltener Hand, den Verdacht mitteilen, daß sie noch zahlärmer sind als selbst die Schreiber, mit denen man sie auch keineswegs verwechseln darf."

Gerne möchte man den "Schreiber" Wollschläger an solchen Stellen daran erinnern, dass sein großes Vorbild Arno Schmidt stets betonte, Kulturpessimismus sei die Sache der "Dichterpriester", also der trivialen und 'feinsinnigen' Nichtskönner unter den Literaten. Denn selbstverständlich sind alle Elemente der zähen Moritat, die Wollschläger in seinem Essay zur Literaturkritik aufspielt, bei Schmidt entlehnt, bei dem sie jedoch wenigstens mit Witz vorgetragen werden: Die aberwitzige Rechnung, nur die Dritte Wurzel aus P (für Population), also etwa 465 der hundert Millionen Deutschen, sei zu den "eigentlichen Kulturträgern einer Nation" zu zählen, hat Wollschläger von seinem Bargfelder Lehrmeister.

Auch Wollschlägers Klage darüber, wie wenig Bücher man doch in seinem kurzen Leben lesen könne, ist ein typischer Schmidt-Topos. Wollschläger kommt in seiner eigenen Kalkulation übrigens auf 15.000, nicht ohne selbstgefällig einzustreuen, das sei "nicht mehr als der Bestand so mancher privaten Leser-Bibliothek, z. B. meiner hier, deren Kleinheit und Enge mich alle Wochen neu bedrückt, und es ist, verglichen mit der Zahl der Fixsterne, zum Erschrecken wenig".

Kurz: Wollschläger, der in seinen Texten nicht müde wird, sich stolz als Schüler Arno Schmidts in die Brust zu werfen, hat leider die unangenehmsten Charaktereingenschaften seines autoritären Mentors übernommen. Vor allem seine angemaßte Hybris gegenüber der 'Masse' bei einer gleichzeitigen, widersprüchlichen Affirmation des Konstrukts einer 'Deutschen Kulturnation'. Wollschläger allerdings kleidet diese Marotten in einen Gestus forcierten Dandytums, das mit einem am Ende dann doch für sich reklamierten Elitedünkel kokettiert, indem es altbekannte Spruchweisheiten des Meisters in halbseidenem Ton wiederkäut.

Überhaupt legt Wollschläger in seinen Texten eine unangenehme Tendenz zur Männerbündelei mit jenen Helden an den Tag, über die er schreibt. Sei es Karlheinz Deschner, dem er sich als polemischer Kirchenkritiker nahe weiß, sei es der andere große Freund Arno Schmidts, Eberhard Schlotter - oder gar Gustav Mahler, dessen unvollendete 10. Sinfonie Wollschläger bescheidenerweise zu vervollständigen versucht haben soll (dann aber einsehend, dass das doch eine Nummer zu groß war). Mit dieser Anbiederung an große Namen geht die typische antifeministische Haltung des Kulturmachos einher, der von Frauen immer nur das Böse ausgehen sieht. Alma Mahler zum Beispiel, die Wollschläger bei seiner Besprechung der Briefe Gustav Mahlers an seine ehebrecherische Frau ein Dorn im Auge ist, steht für ihn mit Mahlers Tod selbstverständlich in 'dunklem Zusammenhang'. Außerdem geht ihm ihr "hochtrabendes, bis zur Hirnrissigkeit konfuses Geschwätz" auf die Nerven, und er fasst ironisch zusammen, umständlich formuliert wie nur je: "Ihr Selbstbild als Freudenquell und Trostglucke ihrer Männer überstand ungebrochen alle Schicksale, die sie nornenhaft zusammenstrickte: sie hatte, selbstlos und aufopfernd, immer weit mehr zu geben gehabt als zu nehmen, und am Ende, ex eventu überschaut, steht die Frage immer noch da, was das denn nun gewesen sei - außer dem bißchen Unterleib."

Es mag ja sein, dass Alma Mahler keine unbedingt nur Gutes im Schilde führende Frau gewesen ist - doch fügen sich Wollschlägers Injurien ins Bild bei ihm scheins tiefer fußender Ressentiments, die differenzierende Argumentationen kaum zulassen. So ärgert es ihn in seiner relativ neuen Besprechung von Jens Malte Fischers Mahler-Biografie (2003) merklich, dass dort Alma Mahler vom Autor so nachsichtig behandelt wird. Dass die Schuld an der gescheiterten Ehe zumindest zu Teilen auch bei Gustav Mahler hätte liegen können, vermutet Fischer, und Wollschläger empört sich darüber mit der rhetorischen Frage: "Müßte, wer dabei ist, die Nöte der Menschheit zu formulieren, in den Tiefen seines intellektuellen Interesses für die einer nur um sich selber trödelnden Narzißtin mehr als nur flüchtige Teilnahme aufbringen?"

Man ahnt an solchen Stellen: Auch Wollschläger wähnt sich zusammen mit seinem geliebten Mahler an der Formulierung der 'Nöte der Menschheit' - und Frauen können dabei eben nur stören. Karl Kraus' Briefe an Sidonie Nádherný belegen ihm dies ganz genauso: Hat die Adressatin doch "verworren gelebt, umherirrend, irrend, hat das Wichtigste ihres Lebens überlebt". Ganz klar: "Sie bleibt blaß und mag es bleiben: sie bleiben es ja eigentlich immer, die Geliebten der Weltliteraten, aus deren Fleisch das große Wort wurde", nämlich "die kleine Verletzerin eines größeren Lebens".

Wollschläger mag tatsächlich viel geleistet haben und staunenswerte Talente für sich verbuchen können - als besonders guter Literaturkritiker präsentiert er sich in seiner Sammlung älterer Rezensionen keineswegs. Am Ende möchte man deshalb als Leser in der Männergesellschaft um sich selbst trödelnder Narzissten, die diese Artikel ein ums andere mal beschwören, gar nicht weiter stören - und klappt Wollschlägers Essay-Bände einfach zu. Gibt es doch sicher mehr als 15.000 andere, in die die kostbare Lesezeit besser investiert wäre.


Titelbild

Hans Wollschläger: Von Sternen und Schnuppen I. Bei Gelegenheit einiger Bücher.
Wallstein Verlag, Göttingen 2006.
311 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-10: 3892449376

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Hans Wollschläger: Von Sternen und Schnuppen II. Bei Gelegenheit einiger Bücher.
Wallstein Verlag, Göttingen 2006.
301 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-10: 3835301004

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