Das Jahrhundert der Frau

Angelika Schaser führt in die Geschichte der Deutschen Frauenbewegung von 1848 bis 1933 ein

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

So richtig prominent ist ein Mensch vielleicht erst dann, wenn sein Name versehentlich auch in Zusammenhängen genannt wird, in denen er gar nicht gemeint sein kann. Einfach, weil er ständig in aller Munde ist und er einem unwillkürlich in den Sinn kommt. Judith Butler ist offenbar eine solche prominente Persönlichkeit. So kann man etwa in Angelika Schasers Einführung in die Geschichte der Deutschen Frauenbewegung von 1848 bis 1933 über die im kalifornischen Berkeley lehrende Gender-Theoretikerin lesen, bei der Namensgebung für die 1875 in den USA gegründete "International Abolitionistic Federation" habe sie sich bewusst an den Namen der US-amerikanischen Anti-Sklaverei-Bewegung angelehnt. Gemeint ist natürlich nicht Judith, sondern Josephin Butler. Solche kleinen Versehen unterlaufen selbstverständlich jedem einmal, und sie sind auch keineswegs prägend für die vorliegende Einführung.

Schaser untergliedert ihren Untersuchungszeitraum in vier Phasen: die Anfänge der deutschen Frauenbewegung (1815/1848-1865); ihre Konsolidierung und ihr Anwachsen (1865-1894); erste Differenzierungen und die größten Erfolge (1894-1917); weitere Differenzierungen, Wiederaufnahme internationaler Kontakte und Auflösung der Frauenvereine (1918-1933).

Eine Unterteilung, die man durchaus nachvollziehen kann. Wenn die Autorin allerdings "die Jahre von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts" als "Jahrhundert der Frau" charakterisiert, ruft das nur dann kein Befremden hervor, falls damit die von ihr untersuchten Jahre bis 1933 gemeint sein sollten. Denn die 1.000 Jahre kurz vor Ende der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird man wohl kaum als Jahre der Frau bezeichnen können. Zutreffend ist allerdings, dass "in der Öffentlichkeit" über die Geschichte der Frauenbewegung des von Schaser untersuchten Zeitraums "nur mehr wenig" bekannt ist; jedenfalls was eine breitere Öffentlichkeit betrifft. Innerhalb der Frauenbewegungsforschung hat sich diesbezüglich in den letzten Jahren und Jahrzehnten doch einiges getan.

Eher zu monieren als der zwar griffige, aber unscharfe Topos des "Jahrhunderts der Frau" oder das eingangs genannte Versehen ist, dass sich Schasers Buch - insbesondere für den Zeitraum um und nach 1900 - ganz wesentlich auf die Organisations- und Bewegungsgeschichte der Frauenbewegung konzentriert. So legt die Autorin den Schwerpunkt der Darstellung auf den 1865 von Luise Otto-Peters und Auguste Schmidt gegründeten "Allgemeinen Deutschen Frauenverein" (ADF) und mehr noch auf den 1894 entstandenen Dachverband "Bund deutscher Frauenvereine" (BDF) und die ihm angeschlossenen Vereine. Über diese Konzentration auf die Organisationsgeschichte werden konkurrierende feministische Theorien, Ansätze und Ziele sowie die Ideen- und Problemgeschichte allzu sehr vernachlässigt.

Die theoretischen und grundsätzlichen Differenzen der verschiedenen Flügel innerhalb der deutschen Frauenbewegung bleiben so weitgehend im Dunkeln. Dass etliche der Aktivistinnen, wie Schaser zurecht bemerkt, seinerzeit zwischen den beiden Flügeln der bürgerlichen Frauenbewegung changierten, kann diese Absenz nicht rechtfertigen. Auch dass Schaser die Unterscheidung zwischen Radikalen und Gemäßigten nicht so recht gelten lassen will, da die Forderungen letzterer "für die damalige Zeit äußerst radikal" gewesen seien und eine "strikte Trennung nach Personen und Vereinen, die entweder die ausschließliche Betonung der Differenz der Geschlechter [...] oder aber die Egalität der Geschlechter" vertraten, "nicht aufrecht zu erhalten" sei, überzeugt zumindest dann nicht, wenn damit der Verzicht auf eine ideengeschichtliche Darstellung begründet werden soll.

Ebenfalls unterbelichtet bleiben Theorie und Praxis des im "Verband fortschrittlicher Frauenvereine" (VfFV) zusammengeschlossen radikalen Flügels der (bürgerlichen) Frauenbewegung, ebenso die Aktivitäten deren wichtigsten Vertreterinnen Lida Heymann und Anita Augspurg. Andere herausragende Persönlichkeiten wie Hedwig Dohm kommen kaum, feministische Literatinnen wie Helene Böhlau oder Gabriele Reuter gar nicht vor. Hat letzteres seine leider nicht wohlbegründete Ursache darin, dass sich Schaser auf die Organisationsgeschichte konzentriert, so ist die Vernachlässigung des radikalen Flügels der Schwerpunktsetzung auf den gemäßigten Flügel anzulasten. Nun waren dessen Vertreterinnen zweifellos zahlreicher, auch dürfte er wirkungsmächtiger und somit erfolgreicher gewesen sein. Damit lässt sich allerdings nicht rechtfertigen, dass die Kritik der Gemäßigten an den Radikalen weit ausführlicher dargelegt wird als umgekehrt. Denn theoretisch hatte der radikale Flügel (den man, um ein Stichwort aus heutiger Zeit zu benutzen, mit dem Adjektiv ,gleichheitsfeministisch' versehen könnte) hingegen mindestens ebenso viel, wenn nicht gar mehr zu bieten als die (differenzfeministischen) Gemäßigten. Und wenn Schaser anmerkt, dass die "Betonung der Geschlechterdifferenz" im "bürgerlichen Spektrum" der Frauenbewegung "üblich" gewesen sei, so ist das zwar nicht unzutreffend, unterschlägt aber, dass sich gerade an dieser Frage die radikalen Geister von den gemäßigten schieden.

Aus guten Gründen erklärt Schaser hingegen die Unterteilung der Ersten Frauenbewegung in einen bürgerlichen und in einen sozialistischen Flügel für "fragwürdig", da die "Etablierung einer selbständigen feministischen Organisation" nur von den bürgerlichen Frauenrechtlerinnen anstrebt wurde, "während die 'proletarische' [Frauenbewegung] sich in die sozialistische Arbeiterbewegung eingliederte". Kurz: Die sozialistische Frauenbewegung mag zwar sozialistisch gewesen sein, den Ehrentitel Frauenbewegung verdient sie hingegen nicht.

Schaser stellt die "integrativen Bemühungen des Dachverbandes" in den Mittelpunkt ihrer Arbeit und wendet sich nachdrücklich gegen die - wie sie sagt - "Überbetonung der Polarisierung innerhalb der Frauenbewegung". So moniert sie, dass die "polarisierende Einordnung der verschiedenen deutschen Vereine und Protagonistinnen sowie deren Aktivitäten" den Blick der Forschung auf "Entwicklungslinien und Berührungspunkte zwischen den Organisationen weitgehend verstellt" habe. Eine Kritik, die zumindest Susanne Kinnebrocks hervorragende Arbeit über Anita Augspurg nicht trifft. (siehe literaturkritik.de 7/2005)

Insgesamt ist Schasers Darstellung der bürgerlichen Frauenbewegung dadurch geprägt, dass sie eher dem gemäßigten Flügel zuneigt als den radikalen, da sie die Politik der Gemäßigten für erfolgreicher und somit für richtiger hält, ungeachtet etwa der Tatsache, dass diese1908 für die Beibehaltung des § 218 plädierten, an dessen "Abschreckungscharakter [...] festgehalten werden sollte, um dem Verfall der Sitten nicht Vorschub zu leisten".

Einen Versuch der Ehrenrettung unternimmt Schaser auch hinsichtlich der von gemäßigten Frauenrechtlerinnen um und nach 1914 zunehmend angeschlagenen national(istisch)en Töne. Die "Berufung auf die Nation", erklärt Schaser, habe sich als "ideale Formel" erwiesen, um "erweiterte Handlungsspielräume festzuschreiben, ohne dabei in den Ruch des Umsturzversuches zu kommen". "BDF und ADF setzten [...] den Nationalismus als Emanzipationsstrategie [...] erfolgreich ein" und selbst während des Ersten Weltkrieges "verlor der BDF bei allen nationalchauvinistischen Tönen weder die Rechte der Frau noch die 'internationale Interessengemeinschaft der Völker' aus den Augen" - behauptet die Autorin und dürfte damit wohl bewusst den Widerspruch zahlreicher Frauenbewegungsforscherinnen provozieren.

Ihrer Schwerpunktsetzung auf die Organisationen des gemäßigten Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung entsprechend richtet Schaser ein sehr viel größeres Augenmerk auf deren langjährige Führerinnen Helene Lange und Gertrud Bäumer als etwa auf die prominenten Radikalen Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann. So lobt sie Lange für den "unübersehbaren Erfolg" ihrer "Politik der kleinen Schritte", die gerade durch ihre "moderateren Teilforderungen" ein "Umdenken" bewirkt habe. Auch darf Langes "Betonung der Geschlechterdifferenz" offenbar durchaus auf das Wohlwollen der Autorin rechnen, habe sie Lange doch als "Waffe im Kampf um Etablierung eines standesgemäßen Berufes für ledige Frauen des Bürgertums" gedient. Hingegen schwingt eine gewisse Missbilligung mit, wenn Schaser konstatiert, Lange sei dem "Elitegedanken des Bildungsbürgertums verhaftet" geblieben und habe aus diesem Grunde nicht beabsichtigt, "die Frauenbewegung in eine Massenbewegung umzuwandeln". So habe sie auch nicht das "Recht auf Bildung für alle Frauen" gefordert, sondern lediglich verlangt, dass jede Frau genau die "(Aus)Bildung" erhält, "die sie für ihren Lebenskreis benötigt". Dass diese Frauen den Wunsch und das Recht haben könnten, über ihren Lebenskreis, der oft genug nur aus Kindern, Küche und Kirche bestand, hinauszublicken und ihren Horizont erweitern zu können, berührte Lange nicht. Vielmehr gestand sie "nur den Besten" ein Recht auf "Selbstverwirklichung im Sinne der Aufklärung" zu.

Ausführlicher noch als Lange wendet sich die Autorin der "grauen Eminenz" der Gemäßigten zu: Gertrud Bäumer, der von Feministinnen wiederholt eine Verstrickung in den Nationalsozialismus vorgehalten wurde. Zu unrecht, wie Schaser nachzuweisen versucht. So betont sie, dass Bäumer vor 1933 "dezidiert Stellung gegen den Nationalsozialismus und gegen den Antisemitismus bezogen" und 1930 als einzige Frau einen Aufruf gegen die "Kulturschande des Antisemitismus" unterzeichnet habe. Allerdings habe Bäumer sich von einer "klaren Gegnerin des Nationalsozialismus" zu einer Person gewandelt, die an den politischen Verhältnissen der Weimarer Republik "allmählich resignier[te]" und die Hitlers Machtergreifung 1933 "durchaus nicht nur ablehnend, sondern ambivalent" gegenüber gestanden und mit ihr "die trügerische Hoffnung auf einen Ausweg aus der Krise" verbunden habe.

Letzteres ist zweifellos zutreffend. Viel hatte Bäumer allerdings auch vor der Machtergreifung nicht am Nationalsozialismus auszusetzen. Nur dass er "sich so einseitig unter reaktionär männlichen Vorzeichen entwickelt" habe, beklagte sie 1932 als "beinahe tragisch". Und noch im August 1933 stellte Bäumer in einem Aufsatz die - wie Schaser formuliert - "Affinitäten zwischen Nationalsozialismus und Frauenbewegung" heraus: "Die Gemeinsamkeit" beider, schrieb Bäumer, liege darin, "daß der Nationalsozialismus in seinen Gedanken über Staatsaufbau und Wirtschaft wieder einsetzt bei dem Volk und dem Leben, statt bei den Waren, der Zirkulation, den Systemen [...] Und hier, wer von uns fühlte das nicht? liegt eine große neue Möglichkeit für die Frauen."

Schon zuvor, nämlich im Frühjahr 1933, hatte Bäumer auf Grund des von den Nazis verabschiedeten "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" ihre Stelle als Ministerialrätin im Reichsministerium des Innern verloren. Schaser nimmt die Entlassung zum Anlass für die Bemerkung, dass es zwischen TäterInnen und Opfern des Nationalsozialismus "eine breite Grauzone gab, in der viele anzusiedeln sind, die sich weder eindeutig der einen, noch der anderen Gruppe zuordnen lassen".

Das mag so sein. Doch sollte darüber nicht vergessen werden, dass es viele Millionen gab, die durch den Nationalsozialismus nicht nur eine Stelle im Innenministerium verloren, sondern nicht weniger als ihr Leben.

Betrachte man die Frauenemanzipation "unter dem Gesichtspunkt von Gewinnen und Verlusten", lautet das von Schaser bereits auf den ersten Seiten verkündete Fazit ihres Buches, stelle sie sich "weitgehend als Nullsummenspiel" dar.

Unklar bleibt allerdings, ob sie nur vom Untersuchungszeitraum spricht oder auch die Zeit bis heute einbezieht. Über ersteres ließe sich vielleicht diskutieren, obwohl es wohl auch angemessener wäre, von Erfolgen und einem anschließendem back lash zu reden. Die zweite Annahme - die Situation der Frauen sei heute alles in allem nicht schlechter und nicht besser als 1848 - wäre allerdings absurd.


Titelbild

Angelika Schaser: Frauenbewegung in Deutschland 1848-1933.
wbg – Wissen. Bildung. Gemeinschaft, Darmstadt 2006.
152 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3534152107
ISBN-13: 9783534152100

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