Von der Schwere der Heimatlosigkeit

Mohsin Hamids Roman "Der Fundamentalist, der keiner sein wollte" ist eine Parabel über die Suche nach dem Sinn in einer zerrissenen Welt

Von Katrin A. SchneiderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katrin A. Schneider

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist eigenartig, warum Mohsin Hamid ausgerechnet einen Titel, der an fanatischen Terror denken lässt, für seine zarte Parabel über die Sinnentlehrtheit und Zerrissenheit eines Lebensentwurfs gewählt hat. Der Protagonist von "Der Fundamentalist, der keiner sein wollte", namentlich Changez, ist keiner religiös verbrämten Irrlehre auch nur ansatzweise verfallen. Er fühlt sich selbst sogar durch die leiseste Religiosität befremdet. Und so führt auch das, was er durchlebt, keinesfalls zu einer durch Misstrauen verdorbenen Sicht auf Moslems, die im Anschluss an die Ereignisse des 11. September 2001 und deren Folgen mehr oder weniger stark zum Ausdruck gekommen ist. Vielmehr wird durch diese Ereignisse nur noch weiter verschärft, was bereits im Erzähler rumorte und schließlich zu einem Ausbruch der Affekte führt.

Changez, der mehr oder weniger zufällig Pakistani ist, kommt zum Studium in die USA, wo er dank seiner Intelligenz, seines Fleißes und Ehrgeizes schnell in elitäre Kreise aufsteigt. Dort trifft er auf Menschen unterschiedlichster Herkunft, die alle meinen, ihn zu kennen, ihn zu durchschauen und ihm damit eine Rolle zuschreiben, von der man nicht erfährt, wie exakt Changez sie ausfüllt.

Unwohl fühlt er sich die ganze Zeit. Zunächst hat sein Gefühl zwar eher den Anschein von Aufregung und Herzklopfen, das die Freude auf Neues begleitet. Dann verdichtet sich seine Empfindung aber rasch zu einem Von-der-Welt-zurückgewiesen-Sein, und diese Empfindung will sich auch nach Changez' Rückkehr nach Pakistan nicht legen.

Changez ist einer, der auf der Suche ist. Die Erzählung ist daher viel weniger politisch, als sie es durch den Titel beansprucht. Jenseits der Debatte von Okzidentalismus und Orientalismus, ohne Klischees also, zeichnet Mohsin Hamid das Bild eines jungen Mittzwanzigers, der prometheisch aufbegehrt, das Feuer aber nur sehen und nicht mitnehmen kann.

Zwar sind Krieg, Terror, islamisch verbrämter Fundamentalismus und der Ost-West-Konflikt im Roman präsent, sie dienen jedoch vielmehr als Folie für die Szenerie denn als deren eigentliches Thema. Beispielsweise verwirrt der Indien-Pakistan-Konflikt Changez wesentlich stärker als die Lage in den USA - ganz einfach, weil er sich um das Wohlergehen seiner Familie sorgt. Das Zittern dessen, der aus der Ferne Furcht und Armut betrachtet und nur ohnmächtig zuschauen kann, lähmt auch den jungen Senkrechtstarter.

Trotzdem zeichnet Hamid ein feines Bild von dem, was zugeschriebene Rollen und entgegengebrachtes Misstrauen in einem Menschen auslösen können. Allerdings nimmt dieser Erzählstrang verglichen mit den anderen einen eher marginalen Rang ein. Auch Changez' Lächeln angesichts der einstürzenden Zwillingstürme ist nicht so verwerflich, wie er selbst es sich immer wieder vorhält. Ist es doch fast eine Binsenwahrheit, dass man auf das Unvorstellbare, das man rational oder emotional nicht fassen kann, reflexartig mit Lachen reagiert. Für die geringe Bedeutung, die diesem Ereignis beigemessen wird, würde auch der lange Entstehungsprozess des Romans sprechen. Begonnen hatte Hamid ihn schon 2000, als der Terror die Wahrnehmung der Welt noch nicht dermaßen prägte.

Wesentlich zentraler für den Roman scheint daher Changez Tändelei mit Erica. Erica ist ein psychisches Wrack. Nach dem Verlust eines geliebten Menschen leidet sie an einer Essstörung, die sich im Laufe des Romans zu einer ausgewachsenen Schizophrenie entwickelt. Changez allerdings ist von ihrer bezaubernden Zerbrechlichkeit fasziniert, verliebt sich in sie und versteigt sich ebenfalls in eigene Welten, in denen er sich als Retter Ericas vor ihr selbst sieht. Auch wenn er scheitert, so ist dieses Scheitern von einer Sensibilität der Erzählung geprägt, die ihresgleichen sucht.

Die Einsamkeit und Fragilität, die auch Changez verspürt, wird bei Erica deutlich. Nur dass sie nach außen trägt, was Changez in sich fühlt und was ihn fast zerreißt. Changez' Schwärmerei für Erica ist symptomatisch für seine unrealistische Einstellung zur Welt. Und so erweist sich auch die Stabilität, die Erica an ihm wahrzunehmen glaubt, als dünner Schild, mit dem er sich gegen die Welt schützt.

Das alles erfährt der Leser aus der Retrospektive und durch das Prisma der Augen von Changez nur gebrochen. Denn Mohsin Hamid ist ein äußerst geschickter Erzähler, der seinen Leser zu bannen versteht. Er hält ihm die Gegenwart und deren Wahrheit vor. Nur Changez lässt er sprudelnd wie einen Wasserfall reden - blauäugig, wie sich am Ende zeigt, oder auch nicht. Vieles in der Romanhandlung bleibt nur ein Verdacht. Die Rolle, die Changez nun wirklich im pakistanischen politischen Alltag spielt, wer sein Gegenüber ist - all das scheint nicht wichtig genug zu sein, um erzählt zu werden. Oder vielleicht ist es derart komplex, dass man es nicht klar und eindeutig beantworten könnte. Elementarer ist die Banalität des Menschseins, die sich aus Changez' 'Lebensbericht', den er so peinlich genau wie möglich wiedergeben will, herauskristallisiert.

Die Erzählsituation, die Hamid für seinen zweiten Roman wählt, kennt man aus einem anderen Umfeld. Ob er sich daran geschult hat oder ob es Zufall ist: der einem schweigenden Gegenüber in der Form einer Beichte sich Freisprechende findet sich auch bei den modernen ungarischen Klassikern. Allen voran bei Sàndor Màrai. Die Beichten der Personen in "Wandlungen einer Ehe" beispielsweise sind Changez' Monolog dem fremden Amerikaner gegenüber ähnlich. Der Sprecher, der den Zuhörer nicht gehen lassen will; das Auftauchen aus der erzählten Vergangenheit durch die Beschreibung der sich verändernden Atmosphäre; die Hektik, die durch den Kaffeehausbetrieb entsteht und durch das Wiederholen dessen, was der andere gerade eben gesagt habe: Folglich entsteht eine spannungsgeladene Dichte, die den Leser packt und mit dem Buch in der Hand aufs Sofa zwingt. Hamid transferiert das Geschehen in ein pakistanisches Straßenkaffee und verfremdet damit das durch und durch europäische Denken und Erzählen, das er seinem Gegenüber vorführt, nur wenig. Dass es sich dabei nicht um die wahre Wirklichkeit handeln muss, kennt man auch von Màrai: Was einer erzählt, ist nur dessen Sicht und dessen Interpretation der Welt. Die zwischenmenschliche Wahrheit ist nur erahnbar, nicht jedoch direkt zu erkennen oder gar zu benennen.

Die Forschheit, mit der Changez dem Amerikaner, den er nicht kennt, seine intimsten Erlebnisse preisgibt - trotz der Gefahr, in der er sich selbst sieht - verstärkt wiederholt den Eindruck, dass der Protagonist als suchender Charakter konzipiert ist. In Pakistan ist Changez genauso isoliert, wie er es in New York war. Er sucht daher auch hier wieder einen Angelpunkt aus der anderen Welt, an dem er sich festhalten kann.

Changez gehört nie dorthin, wo er gerade ist. So erzählt der Roman auch von der Angst, die mit der Wurzellosigkeit und einem selbstauferlegten Außenseitertum entsteht. Das Leben des jungen Changez ist symptomatisch für seine Zeit. Er reist erster Klasse und lebt materiell sorgenfrei. Dort wo er hinkommt, ist er hingegen nicht willkommen. Nirgendwo gehört er dazu und so wird auch ersichtlich, warum er ungefragt von sich erzählt: Er hat Mitteilungsbedarf, er will, dass die Menschen - und sei es nur einer - ihn verstehen. Möglicherweise in der Hoffnung, so der Einsamkeit zu entkommen.

Die autobiografischen Bezüge zu Moshin Hamid selbst mögen vielleicht offensichtlich sein. Viel mehr als die Rahmenbedingungen liefern sie jedoch nicht, da er mit der Unsicherheit der Welt ein Zeitphänomen seiner Generation trifft - und noch viel mehr für all jene spricht, die den täglichen Spagat zwischen zwei intra- oder interkulturellen Lebensvorstellungen machen müssen.

Der Roman endet vollkommen offen und unklar: diese Parabelartigkeit ist seine Stärke, die beim Leser lange nachhallt.


Titelbild

Mohsin Hamid: Der Fundamentalist, der keiner sein wollte. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Eike Schönfeld.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2007.
192 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783455400472

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