Im Exil: Über die Befindlichkeit der kubanischen Seele

Über den in neuer Übersetzung vorliegenden Roman "Café Cuba" von Zoé Valdés

Von Dennis BöhmeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dennis Böhme

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ein großer Roman über die Liebe und die Sehnsucht nach Kuba" - so wird das kürzlich in neuer Taschenbuchausgabe auf Deutsch erschienene Werk der ob ihrer langjährigen Linientreue und erst relativ späten regimekritischen Haltung nicht unumstrittenen kubanischen "Starautorin" Zoé Valdés von Verlagsseite gepriesen.

Wird der Roman dieser editorischen Ankündigung gerecht? Im Grunde geben hier schon die Wahl des Titels sowie seine deutsche Übersetzung recht klare Hinweise. Der spanische Titel "Café Nostalgia" bringt das eigentliche Thema - die Befindlichkeit vieler der über den ganzen Erdball verstreut lebenden Exilkubaner, ihre ewige Sehnsucht nach der verlorenen Heimat - schon auf den Punkt. Die deutsche Übersetzung geht - den Lateinamerika-Boom beziehungsweise die vielerorts nicht enden wollende "Kuba-Begeisterung" ins Kalkül ziehend - mit "Café Cuba" einen Schritt weiter und rückt jene famose karibische Insel vollends unverhohlen in das Zentrum des Geschehens. KUBA - das ist der Mythos, mit dem der Verlag seine Kundschaft zu fangen hofft. KUBA - das ist der Stoff, aus dem die quälenden Träume so vieler fern ihrer Insel lebender Kubaner gemacht sind, mit deren Schilderung die Autorin die Leser zu ergreifen und zu begeistern vermag.

Mit der Liebe hingegen ist es so eine Sache: Liebe, Liebesglück und Liebesleid nehmen in der Tat ungeheuer viel Raum in diesem Roman ein. Die Geschichte der Protagonistin ist eine Geschichte über ihre diesbezüglichen traumatischen Erfahrungen und ihren aussichtslos scheinenden Kampf mit der Liebe. "Die Liebe" sorgt somit zweifelsohne für die "Ereignishaftigkeit" des Erzählten. Doch wirkt das Erzählte in dieser Hinsicht oft zu konstruiert, zu banal, zu wenig schlüssig und zu wenig subtil, um wirklich zu überzeugen. Obwohl zugegebenermaßen äußerst kurzweilig zu lesen, speist sich diese Liebesgeschichte letzten Endes aus dem bekannten Valdés'schen Zutaten: derbe Sprache, vulgär bis obszön anmutende Schilderungen sexueller Praktiken und Ausschweifungen, alles den Eindruck erweckend, als sei es auf publikumswirksam-exaltierte Art und Weise inszeniert.

Dieser Teil der Geschichte ist schnell erzählt: Marcela, eine über den Umweg der USA in Europa gestrandete Exilkubanerin, bringt es als Fotografin in Paris zu Ruhm und Erfolg. Das geht schnell und problemlos, zumindest - hier bleibt sich Valdés treu - bedarf es keiner größerer Erklärungen, die dem Leser einen solchen, alles andere als prototypischen Aufstieg in der Welt des Kapitalismus plausibel machen würden. Doch Marcela gelingt es nicht, ihr Glück zu genießen. Zu groß ist der Schatten der Vergangenheit, der auf ihr lastet. Da ist der Verlust der Heimat, aber eben auch der Verlust der ersten großen Liebe - einer Liebe, die dramatischer und tragischer als mit dem Tod des Geliebten nicht hätte enden können.

Resultat: Ein tiefes Trauma und nachhaltige sexuelle Frustration. Just in dem Moment, in dem das alles sie in den existenziellen Abgrund zu ziehen droht, taucht auf mysteriöse Weise derjenige auf, der als einziger in der Lage ist, sie von ihrem Verhängnis zu erlösen. Es ist der Sohn des ehemals Geliebten. "Das Leben schlägt manchmal Kapriolen, die niemand je zu prophezeien wagt", so lautet der lapidare Kommentar der Protagonistin. Den Leser mag dies vielleicht unterhalten, auf der Suche nach Plausibilität jedoch vermag es ihm nicht weiterzuhelfen. Die Prophezeiung eines Santería-Priesters, der ihr in jungen Jahren genau dieses Schicksal voraussagt, hilft da auch nicht wirklich weiter. Mehr als etwas Lokalkolorit, mehr als eine relativ unmotiviert wirkende Reminiszenz an die bei der europäischen Leserschaft ihre Wirkung selten verfehlende "magische afrokubanische Lebenswirklichkeit" ist darin nicht zu sehen.

Die eigentliche Stärke des Romans liegt woanders. Auf überzeugende und packende Art und Weise zeichnet Valdés das Bild von etwas, das man getrost die "kubanische Seele" nennen könnte. Die Stimmungen und Befindlichkeiten aller vorgestellten Figuren, ihre Art sich mit ihrem Dasein als Kubaner und den damit oftmals verbundenen Schwierigkeiten auseinanderzusetzen, haben sicher für viele auf und fern ihrer Insel lebender Kubaner Gültigkeit. Allem Mangel und allen Erschwernissen zum Trotz wissen die Protagonisten dieses Romans sich in ihrer Kindheit - eben weil sie Kinder sind - zumeist ihr eigenes Paradies zu schaffen. Auch die Zeit als Jugendlicher hat durchaus ihre Reize: Alles ist von Improvisation geprägt, man weiß sich zu helfen, nimmt sich seine Freiheiten und Freiräume und versteht, das Leben zu genießen. Mit wachsendem Bewusstsein jedoch kommt es - beim einen früher, beim anderen später - zunehmend zur Desillusionierung ob der ökonomischen, sozialen und politischen Situation.

Nicht selten mündet diese dann in dem Wunsch, die Insel, koste es was es wolle, zu verlassen. So leben denn alle Freunde und Bekannten Marcelas über den halben Erdball verstreut. Doch egal, ob sie in Mexiko, Buenos Aires, Quito, Miami, New York, Teneriffa oder Paris gestrandet sind, sie alle eint das gleiche Schicksal: Unabhängig von ihrer beruflichen oder finanziellen Situation ist keiner von ihnen wirklich glücklich geworden. Sie alle fühlen sich fremd, werden gequält von den Erinnerungen an eine zurückgelassene Welt und eine Zeit, die unwiederbringlich verloren ist. Heimweh, Wehmut und Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies, zu dem sie Kuba zunehmend verklären, prägen ihr Dasein. Als handele es sich um etwas Verheißungsvolles, um etwas Verbotenes, dessen Namen man nicht aussprechen darf, sprechen sie allesamt von "jener Insel", die - wären die Umstände dort nicht so, wie sie sind - eigentlich, da eben ihre Heimat, der schönste Ort der Welt ist. Die Liebesgeschichte kann man vernachlässigen, die Schilderung dieser Befindlichkeit der kubanischen Exilantenszene gelingt Valdés jedoch eindrucksvoll.

"Café Cuba" ist ein kurzweiliges, zum Teil durchaus bizarres und doch über weite Strecken sehr interessantes Werk. Rätsel gibt darin vor allem eine zwischen hochpoetisch und banal oszillierende Sprache auf. Eine Sprache, in der auf gossenhafte Vulgarismen hochgradig intellektuelle Verweise und literarische Reminiszenzen folgen.


Titelbild

Zoé Valdés: Café Cuba. Roman.
btb Verlag, München 2006.
372 Seiten, 9,50 EUR.
ISBN-10: 3442734282
ISBN-13: 9783442734283

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