Literatur versus Dogmatismus

Ignacio Martinez de Pisón über José Robles Pazos, Übersetzer der Werke von John Dos Passos

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"John Dos Passos und die Geschichte eines ungeklärten Mordes" - der Untertitel des Buches gibt dem Leser eine Andeutung dessen, was er auf den folgenden 200 Seiten zu erwarten hat. Sollte man eine Geschichte, einen Roman erwarten, wird man allerdings enttäuscht werden. Pisón hat über José Robles Pazos, den Übersetzer der Werke von John Dos Passos ins Spanische, recherchiert und eine spannende, romanartige Monografie über das Verschwinden und die Ermordung des Übersetzers geschrieben, der in den Wirren des Spanischen Bürgerkrieges verschwindet und ermordet wird - ein Mord, nach dem die Täter jahrzehntelang unbekannt bleiben sollten.

John Dos Passos selbst kümmerte sich aufgrund seines freundschaftlichen Verhältnisses zu Robles und seiner Familie um eine Klärung des Falles. Er bemühte alle seine Verbindungen und Beziehungen, blieb aber letztendlich erfolglos. Trotzdem ist ihm die Unterstützung von Robles Familie - seiner Frau, seinem Sohn und seiner Tochter - möglich. Die Schwierigkeiten und der Unglaube, die mit dem Verschwinden des Übersetzers verbunden waren, werden vor allem nach den erfolglosen Nachforschungen von Dos Passos deutlich: "Einer solchen Persönlichkeit [John Dos Passos] müssten die Autoritäten all die Informationen geben, die man ihr immer wieder verweigert hatte: Warum war ihr Mann verhaftet worden? Was warf man ihm vor? Stimmte es oder stimmte es nicht, das er hingerichtet worden war?"

Pisón gelingt in seinen Beschreibungen und in der Aufbereitung der Ergebnisse seiner über sechzig Jahre nach den eigentlichen Ereignissen einsetzenden Recherchen, die Personen und Schicksale wieder lebendig zu machen. Diese treten im Kontext einer hoffnungsvollen und schwierigen Zeit auf und ordnen sich in die Spannungen und Widersprüche ihrer Gegenwart ein. Er schafft es, Geschichte wieder "lebendig" werden zu lassen - und dies besonders durch den collageartigen Realismus und die Unmittelbarkeit seines Textes - etwa wenn nach dem vermeintlichen Schicksal von Robles gefragt wird und nur eine schwache Hoffnung für sein Überleben besteht: "Man bekommt eine Zigarette in die Hand gedrückt und wird in den Innenhof geführt, wo sechs Männer warten, die man nie gesehen hat. Sie legen an. Sie warten auf den Befehl. Sie schießen."

Gerade mit der Verknüpfung von Zitaten aus Interviews und Akten, aus autobiografischem Materialien von beteiligten Personen und einem Zusammensetzen der verschiedenen Perspektiven gelingt dem Autor eine Mischung aus Tatsachenbericht und unterhaltsamer Lektüre. Dabei sind die Sensibilität und die Differenziertheit positiv hervorzuheben, mit der Pisón die Fraktionskämpfe der Linken untereinander schildert und dabei immer die aggressive politische Position der sowjetischen Berater in Spanien einbezieht, die letztendlich für den Tod von Robles verantwortlich sind. Dieser Verantwortlichkeit vorausgehend war die Etablierung eines Macht- und Herrschaftssystems innerhalb des linken Widerstandes, das sogar ein eigenes Gefängnissystem unter stalinistischem Einfluss etablieren konnte: "Nach den ersten Kämpfen, bei denen etliche linke Organisationen provisorische Gefängnisse zur Verfügung stellten, hatte der NKWD ein Gefängnissystem aufgebaut, um Mitglieder der Internationalen Brigaden zu bestrafen oder direkt zu liquidieren."

Trotz der schwierigen Archivsituation konnte Pisón offensichtlich die Mörder Robles lokalisieren. Die vermuteten Unterlagen zu dem Fall würde man eigentlich im Archiv des NKWD finden, dem Archiv der Bundesagentur für Sicherheit der Russischen Föderation. Der Zugriff auf dieses Archiv ist aber nahezu unmöglich, die Unterlagen sind weder für Ausländer noch für die meisten Russen zugänglich. Trotzdem hat der Abgleich der vorhandenen Informationen den Täterkreis auf eine kleine Gruppe eingeengt, die zum Zeitpunkt des Todes von Robles für diese Art von Gewalttätigkeiten verantwortlich zeichneten: "Die Aufteilung der Funktionen führt zu der Annahme, dass Orlow persönlich die Entscheidung getroffen hatte, Robles zu eliminieren: Da es sich um jemanden handelte, der Dolmetscher eines Militärberaters [Robles war Dolmetscher bei dem sowjetischen Militärberater Gorew] wie Gorew gewesen war, konnte diese nur schwerlich von einem Mann niederen Ranges getroffen werden."

In einem letzten, umfangreichen Abschnitt rekapituliert Pisón noch einmal seine Recherchen, ergänzt Informationen, die für das Gesamtverständnis des "Falles" wichtig sind, vor allem aber dem Leser die Einordnung der recherchierten Fakten in den gesellschaftspolitischen und kulturellen Zusammenhang ermöglichen. Dabei ist ihm das skrupellose Vorgehen der sowjetischen "Berater" im "Kampf gegen den Faschismus" ein intensiver Anlass von differenzierter Kritik - und umfassender Bestürzung: "Das Schrecklichste dieser Geschichte ist, dass Spaniens Opfer und Henker des Jahres 1937 etwas Wesentliches gemein haben: den marxistischen Glauben an die Zukunft und die Notwendigkeit, den Faschismus zu bekämpfen. Aber für die Henker war das irrelevant neben der wahren Frage: Akzeptanz oder Nichtakzeptanz der Orthodoxie, Unterwerfung oder Nichtunterwerfung unter das Dogma, das da hieß: Wahr ist, was den Interessen der UdSSR (und demzufolge Stalins) dient, und falsch, was ihnen schadet."

Im "Nachtrag" werden dann auch noch die Folgen der Ermordung von Robles für Dos Passos ausgeführt, dessen Spanienbild sich maßgeblich verändert hatte. Seiner daraus unmittelbar folgenden Kritik am Kommunismus stieß auf erhebliche Ablehnung - bei den orthodoxen Linken und bei weiten Teilen der linksorientierten Kulturindustrie Amerikas. Ähnlich ging es George Orwell, der in seinem Buch "Homage to Catalonia" (entstanden 1938, erschien unter dem Titel "Mein Katalonien" 1964 auf deutsch) die Ereignisse um seine Beteiligung am spanischen Bürgerkrieg kritisch beschreibt - und dabei mit "unerfreulicher", und vor allem bei den Linken unerwünschter, Kritik nicht sparte. Wie knapp etwa dessen Flucht mit seiner Frau aus Spanien war, um seiner Verhaftung und der angeordneten Ermordung zu entkommen, fließt auch in den umfangreichen "Nachtrag" ein, mit dem Pisón seine Monografie über die Ermordung von Robles schließt und damit noch einmal eine undogmatische Skizze der Stimmung von Verfolgung und Repression liefert, die den Alltag im republikanischen Spanien beschreibt und damit eine facettenreiche Folie liefert, die die Geschehnisse verständlicher und transparenter erscheinen lassen.

"Der Tod des Übersetzers" ist ein inhaltsschweres, hervorragend geschriebenes und sehr gut übersetztes Buch, das den Leser überraschenderweise trotz - oder wohl eher gerade wegen - seines dichten Inhaltes schon auf den ersten Seiten in den Bann zieht. Ein Abkürzungsverzeichnis, Anmerkungen, ein Literaturverzeichnis und ein Personenregister runden das gut gemachte und spannende Buch ab, das sogar diejenigen Leser überzeugen wird, die wirklich nichts über den spanischen Bürgerkrieg oder einen Übersetzer lesen möchten, dessen übersetzten Autor man vielleicht gerade noch als Verfasser von "Manhattan Transfer" kennt. Aber gerade unter diesem Gesichtspunkt überzeugt das Buch selbst den kritischen Leser.


Titelbild

Ignacio Martinez de Pisón: Der Tod des Übersetzers. John Dos Passos und die Geschichte eines ungeklärten Mordes.
Übersetzt aus dem Spanischen von Sybille Martin.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2007.
256 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783455047134

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