Gibt es noch Hoffnung?

Cormac McCarthys neues Buch "Die Straße"

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Verlorene" heißt der Roman, mit dem Cormac McCarthy erstmals einer breiteren Leserschaft bekannt wurde. Das war 1992. Danach folgten weitere Bücher, wie "Grenzgänger" und "Die Abendröte im Westen", vor allem aber "All die schönen Pferde", der vermeintlich am leichtesten zu lesende Roman dieses Unbekannten der amerikanischen Gegenwartsliteratur. Außerdem liegt mit "Draussen im Dunkel" ein Roman vor, den McCarthy schon 1968 veröffentlicht hat und der an seinen neuestes Werk erinnert, für das der Autor soeben den Pulitzerpreis erhalten hat.

"Die Straße" heißt dieses Buch, und es ist mit nichts zu vergleichen, was derzeit auf dem Buchmarkt zu haben ist. Im Gegensatz zu McCarthys literarischen Western, die mit "Land der Freien", dem letzten Teil der so genannten "Border-Trilogie", einen grandiosen Abschluss fanden (siehe literaturkritik.de 07/2001), ist "Die Straße" ein karges Buch, das nahezu keine Handlung mehr aufweist. Das ist schlechterdings auch nicht möglich, da es die Welt, wie wir sie kennen, in dieser Vision nicht mehr gibt.

Der Autor beschreibt die Vereinigten Staaten in einem nachapokalyptischen Zustand, es existiert kaum noch Leben, jegliche Infrastruktur ist zerstört, Lebensmittel sind knapp, Energie gänzlich versiegt. Hauptfiguren in diesem Schreckensszenario sind ein verwitweter Mann und sein kleiner Sohn. Sie gehen, ausgestattet mit weniger als dem zum Überleben Notwendigen, eine Straße entlang, immer das Ziel vor Augen, zur Küste, zum Meer zu gelangen. Doch diese Namenlosen sind nicht die Einzigen in diesem grauen, von Asche und verbrannter Erde gezeichneten Land. Es gibt noch andere Überlebende, Menschen, die das Darwin'sche Prinzip anwenden, die ihre Stärke als Gruppe oder Bande gegenüber Einzelnen ausnutzen, die rauben, plündern, morden. Inmitten dieses dauernden Überlebenskampfes, der täglichen Bedrohungen durch Hunger, Kälte und Überfälle zeigt McCarthy, wie wichtig dem Menschen ein anderer Mensch ist, wie unabdingbar Hilfe, Fürsorge und Vertrauen sind. Die scheinbar lakonischen und stark reduzierten Gespräche zwischen Vater und Sohn bergen unendlich viel Wahrhaftigkeit und Gefühl, sie vermitteln, wie sehr diese beiden Menschen voneinander abhängig und wie nah sie sich sind.

Cormac McCarthy, der ähnlich wie J.D. Salinger oder Thomas Pynchon von der Literaturkritik sehr geschätzt wird und nahezu nie in der Öffentlichkeit auftritt, hat mit diesem Buch eine Parabel auf das Leben geschrieben, auf das nackte und total reduzierte Leben, das nichts mehr mit materiellen Ansprüchen oder gar Luxus zu tun hat, das nur noch gekennzeichnet ist vom Überleben im Rahmen moralischer Codices. Er führt den Leser dabei mehr als einmal an den Rand des Erträglichen, macht auf grausame Weise deutlich, wozu der Mensch in der Lage ist und vermittelt doch so etwas wie Hoffnung. Vielleicht sind wir doch nicht alle Verlorene.


Titelbild

Cormac McCarthy: Die Straße.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2007.
256 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783498045074

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