Wenn ich groß bin, dann will ich auch Spießer werden!

Der siebte (und letzte?) Harry Potter-Band von J.K. Rowling

Von Petra PortoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Petra Porto

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hermione Granger liebt Lehrbücher. Sie liest sie, sie zitiert unentwegt aus ihnen, und wenn sie sich mit Harry Potter und Ron Weasley auf den Weg macht, um irgendwo in der Welt nach den immer noch geheimnisumwitterten Horcruxes zu suchen, in denen Teile von Lord Voldemorts Seele befindlich sind, dann nimmt sie ganze Stapel davon in ihrer mit einem Ausdehnungszauber belegten Handtasche mit. Mit einem Roman hat man Miss Granger allerdings noch nie gesehen - was wohl trotzdem nicht heißen muss, dass man aus diesen nichts lernen könnte. Aus dem ersten Band der Harry Potter-Reihe konnte man unter anderem lernen, dass es besser ist, sich einem Problem zu stellen, als ihm auszuweichen, dass man zusammenarbeiten muss, um erfolgreich zu sein und dass weder Widersacher noch Helfer auf den ersten Blick zu erkennen sind. Und, aber das ist eine andere Geschichte, dass man wichtige und geheime Zaubergegenstände am besten schützt, indem man eine Art Hindernisparcours um sie herum aufbaut, der dann durch drei Elfjährige durchlaufen werden kann, an deren individuelle Fähigkeiten man die zu überspringenden Hürden merkwürdigerweise angepasst hat.

Die Bände zwei bis vier, die in Abständen von jeweils einem Jahr herauskamen, warben ebenfalls für Teamgeist, für mentale Stärke, und dafür, auch einem scheinbar übermächtigen Gegner gegenüber nicht aufzugeben. Außerdem standen Freundschaft und Verständnis für andere Lebensweisen und Kulturen hoch im Kurs.

Auf einer anderen Ebene regten sie natürlich - so bunt und mit so vielen fremden Geschöpfen und Gesellschaftsformen angereichert -die Phantasie an und schufen eine Art von Vertrauen in das große Ganze: Am Ende, mochte die Herausforderung auch noch so groß und der Kampf auch noch so schwer sein, siegte das Gute, auch wenn manchmal Verluste zu beklagen waren. Nach Band vier ("Harry Potter and the Goblet of Fire") gönnte sich J.K. Rowling dann allerdings eine längere Pause und ließ sich drei Jahre Zeit, um an "Harry Potter and the Order of the Phoenix" zu arbeiten, der 2003 erschien.

Und plötzlich war vieles anders. Ob man die Charakterzeichnung im fünften Band nun als Weiterentwicklung des Kindes Harry Potter in den Teenager und jungen Erwachsenen werten mag - oder als verfehlten Versuch, pubertäre Wutausbrüche zu simulieren, mag jedem Leser selbst anheim gestellt sein. Die CapsLock-Taste zu betätigen und den Protagonisten ständig in die Welt hinaus brüllen zu lassen, WIE UNGERECHT BEHANDELT ER SICH DOCH FÜHLT, wirkte wenig ausgefeilt.

Darüber hinaus schien der Autorin ein wenig die Übersicht über die von ihr erschaffene Welt abhanden gekommen zu sein - die ersten vier Bände waren sehr viel stärker miteinander verbunden gewesen, dort wurden Erzählstränge, mitunter auch nach längeren Pausen, wieder aufgenommen. Figuren, die in einem der ersten Bände kurz erwähnt worden waren, spielten plötzlich eine größere Rolle, flüchtig erwähnte Gegenstände tauchten an prominenterer Stelle wieder auf.

Im fünften Band waren diese Momente bei weitem rarer - was unter Umständen daran gelegen haben mag, dass die Serie ihrem Ende entgegen ging und die Weichen für das große Finale gestellt werden sollten. Die großen Enthüllungen zum Ende des Romans überraschten jedenfalls kaum und die Einführung einer Prophezeiung, deren Gültigkeit (spielte der freie Wille noch eine Rolle oder war alles vom Schicksal bestimmt?) nicht ganz klar wurde, wirkte ebenfalls eher gezwungen.

Band sechs enttäuschte in dieser Hinsicht noch mehr. Der ganze Roman baute darauf auf, dass der Schulleiter von Hogwarts, Albus Dumbledore, in langen Rückblicken die Vergangenheit von Tom Riddle alias Lord Voldemort erläutert, um dann - accio: neuer Handlungsstrang - zu erklären, dass der dunkle Lord sieben Teile seiner Seele abgespalten und in sieben Horcruxes versteckt habe. Erst wenn alle sieben dieser Zaubergegenstände zerstört wären, so Dumbledore, könne Voldemort besiegt werden. Am Ende dieses bisher letzten Bandes betrachtete Harry es somit als seine Aufgabe, die verstreuten Horcruxes unschädlich zu machen und kündigte an, sogar Hogwarts dafür aufzugeben.

Der gemeine Harry Potter-Fan wusste also bereits, dass Band sieben - "Harry Potter and the Deathly Hallows" - ein anderer Potter werden würde als die Bände zuvor: Kein Hogwarts mehr, kein Zauberunterricht, keine Quidditch-Spiele, dafür (noch) mehr Verantwortung für den Protagonisten, zumal die wichtigsten Mentoren Harrys nicht mehr zur Verfügung stehen würden. Harry, Ron und Hermione würden endgültig erwachsen werden müssen.

Geht man mit dieser Erwartungshaltung an den Roman heran, wird man zunächst enttäuscht, findet der Leser den Protagonisten doch wie immer am Privet Drive wieder, auf Nachrichten aus der Zauberwelt wartend, ebenso wie in den sechs Bänden davor - und doch ist alles anders: Der Schutzzauber, mit dem Harrys Mutter ihren Sohn ausstattete, als sie für ihn starb, wirkt mit der Volljährigkeit des Jungen nicht mehr - bald steht ihm nicht einmal mehr dieses notdürftige "Zuhause" zur Verfügung. Nach Hogwarts will Harry nicht mehr zurückkehren, und das Haus seines verstorbenen Onkels ist nach dem Überlaufen des ehemaligen Zauberlehrers Snape zu den Death Eaters nicht sicher. Harry zieht also zu den Weasleys, um dort mit seinen Freunden die Suche nach den Horcruxes zu planen.

Trotz aller Voraussicht und Strategien müssen die drei allerdings doch überstürzt aufbrechen: Das Ministry of Magic fällt und Voldemort übernimmt die Macht in der Welt der Zauberer. Es hilft nur noch die Flucht, um den Schergen des dunklen Lords zu entkommen. Gut, dass Hermione bereits ihre Handtasche gepackt hat und zumindest bibliografisch auf diese Expedition vorbereitet ist.

In diesem Fall geht jedoch nicht alles so schnell wie gedacht: Bald ist die Geduld von Harry, Hermione und Ron genauso gefragt wie die der Leser - auf den nächsten Seiten beschränkt sich die Handlung häufig darauf, dass die drei Jugendlichen irgendwo auf der Welt in ihrem Zelt sitzen und sich fragen, wo sie denn mit der Suche anfangen sollen. Dies mag auch ein Kunstgriff sein, um dem Leser die Frustration und die Langeweile der Hauptfiguren nahe zu bringen. Sollte dies der Fall gewesen sein, so hat er seine Aufgabe redlich erfüllt.

Als die Geschichte schließlich in Gang kommt, tauchen - accio: Verbindung der vielen losen Enden - drei weitere Gegenstände von größter Wichtigkeit (so genannte "Hallows") auf, die es offenbar ebenfalls zu suchen gilt, wie der junge Zauberlehrling glaubt. "Harry, you're trying to fit everything into the Hallows story", sagt Hermione einmal verzweifelt, als Harry überhaupt nicht davon abzubringen ist, dass Dumbledore nicht nur wollte, dass er die verbliebenen Horcruxes sucht und zerstört, sondern auch noch die drei "Besitztümer des Todes" zusammenträgt. Ähnlich geht es anscheinend auch J.K. Rowling - plötzlich muss die restliche Geschichte nicht nur mit der Geschichte um die Horcruxes in Übereinstimmung gebracht werden - nein, jetzt heißt es auch noch eine Geschichte um die Hallows herumzuspinnen.

Wirklich überzeugend ist das nicht. Genauso wenig wie die spätere Erklärung dafür, warum die Hinweise von Dumbledore auf diese Hallows so verklausuliert erfolgten, dass selbst Hermione offenbar Monate benötigte, um seine Absichten zu entschlüsseln: "I am afraid I counted on Miss Granger to slow you up, Harry. I was afraid that your hot head might dominate your good heart." Der Schulleiter hatte offenbar weniger Vertrauen in Harrys gutes Herz als die eifrigen Potter-Leser, denn diese hatten den Verlauf des Romans und die von Harry zu treffende Entscheidung bereits vor dem Erscheinen der "Deathly Hallows" richtig vorausgeahnt. Harry beweist natürlich seine Standfestigkeit und Selbstlosigkeit, als es zur großen Schlacht um Hogwarts und indirekt um die Vormachtstellung in der Welt der Zauberer kommt. In einer gelungenen Auseinandersetzung mit sich selbst erkennt Harry seine Bestimmung.

Abgesehen von dieser Entwicklung Harrys ist der siebte Band der Reihe allerdings so voll gepackt mit Schlachten und Kämpfen, Fluchten und Duellen, dass die Charakterzeichnung bei anderen Figuren fast vollkommen fehlt und schmerzlich vermisst wird. Rowling war immer eine Meisterin der subtilen Charakterisierung - Zauberer und Muggles entlarvten sich durch kleine Gesten, durch die Möbel, die sie sich aussuchten, ihre Kleidung, ihre Wortwahl, ja gar durch die Süßigkeiten, die sie bevorzugten. Davon ist kaum noch etwas übrig.

Darüber hinaus finden sich eine solche Menge Anleihen an andere Fantasy-Romane und Filme (wie "Herr der Ringe", "Spiderman", "Star Wars", "1984" etc.), dass man beinahe glauben könnte, das Buch schon einmal gelesen zu haben.

Am Ende wird - selbstverständlich und dem Kinderbuch, als das Harry Potter einmal angefangen hat, gemäß - alles gut. Der letzte Satz des (durchaus überflüssigen) Epilogs, der als einer der ersten Zitate aus "Harry Potter and the Deathly Hallows" in den Medien kursierte, lautet nicht umsonst "All was well." In diesem Zusatzkapitel versichert sich J.K. Rowling schließlich noch einmal der Deutungshoheit über ihre Texte, indem sie festschreibt, wie die Welt der drei Helden in neunzehn Jahren aussehen wird. Sonderlich aufregend scheint das Leben der Protagonisten demnach nach dem letzten großen Kampf gegen Voldemort nicht verlaufen zu sein - alle haben nette kleine Familien mit netten kleinen und größeren Kindern, die die Namen von verstorbenen Liebsten und Helden tragen und sich so verhalten wie ihre Eltern in ihrem Alter. Falls es so etwas in der Welt der Zauberer überhaupt gibt, dann haben Ron, Hermione, Ginny und Harry sicher alle auch einen Bausparvertrag bei Gringotts. Vielleicht ist ihnen das nach ihrer aufregenden Kindheit und Jugend aber auch zu gönnen.


Titelbild

Joanne K. Rowling: Harry Potter and the Deadly Hallows. A Novel.
Bloomsbury Publishing, London 2007.
607 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9780747591054

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