Knigge für Rabenmütter

Die FDP-Europaabgeordnete Silvana Koch-Mehrin verfasst mit ihrem Buch "Schwestern" eine "Streitschrift für einen neuen Feminismus"

Von Sandra KluweRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sandra Kluwe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Deutschland im männerseligen Fußballsommer des Jahres 2006: Die "Brigitte" debattiert über die Frage "Brauchen wir eine neue Frauenbewegung?"; in der "ZEIT" fordern Frauen "Wir brauchen einen neuen Feminismus!". Ein Jahr später, im Sommer 2007, folgt der zweite Streich: Ausgerechnet die "FAZ" Frank Schirrmachers druckt Alice Schwarzers "Antwort", und ausgerechnet der SPIEGEL Matthias Matusseks bringt eine Serie über "Alpha-Mädchen".

Vereinnahmungsstrategie? Ersticken durch Umarmung? Oder ein Schulterschluss zwischen zwei Vorreitern des maskulistischen backlash und dem Neo-Feminismus dieser Tage?

Tatsächlich scheinen die alten Feindbilder passé, wo es zum Beispiel gilt, eine feministisch-maskulistische Antwort auf das "Appeasement gegenüber dem Islam" zu finden. Bei der FDP-Europaabgeordneten Silvana Koch-Mehrin, eben erst von der Krimiautorin Thea Dorn zu einem role model der "neuen F-Klasse" gekürt, liest sich die neue Bündnispolitik so: "Der neue Feminismus, den ich meine, kämpft nicht gegen die Herrschaft des Mannes, sondern für die Freiheit der Frau". Das hindert die Autorin nicht, scharfe Geschosse gegen die Vertreter jenes "Muttermythos" aufzufahren, den Koch-Mehrin für einen deutschen "Sonderweg" in Nachfolge der nationalsozialistischen Mutterkreuz-Politik verantwortlich macht. Ihre "Streitschrift für einen neuen Feminismus" setzt dieser deutschen "Kollektivneurose" ein energisch-illusionsloses Let's face it und ein im Boxer-Spirit vorgetragenes Plädoyer für weibliche Kampflust entgegen: "Mir geht es besser, wenn ich Wut in positive Aggression umwandle. Chauvi-Sprüche, Nicht-ernst-genommen-Werden - ganz ehrlich, das können, sportlich gesehen, echte Motivations-Kicks sein [...]. Ich habe mich für Kampfsport anstatt für öffentliche Tränen entschieden."

Keine Frage: Der "neue Feminismus" des 21. Jahrhunderts braucht solche Vorkämpferinnen, und zwar auch und gerade solche, die - wie die mit einem Iren verheiratete Europapolitikerin Koch-Mehrin - den Blick über den nationalen Gartenzaun gewöhnt sind. Denn im internationalen Vergleich, so zeigt die Autorin anhand zahlreicher Statistiken, rangiert Deutschland noch immer unter ferner liefen. In Sachen Gleichheit der Bezahlung von Männern und Frauen zum Beispiel liegen wir auf Platz 66.

Und seit die Deutschen von demografischer Seite des Gebär-, seltener des Zeugungsstreiks bezichtigt werden, muss es offenbar ausdrücklich gesagt werden: "Frausein ist nicht gleich Muttersein. [...] Kinder sind nicht dazu da, dem Leben der Erwachsenen Sinn zu geben." Eine Selbstverständlichkeit, die aber nicht oft genug wiederholt werden kann: Eltern, die Kinder brauchen, um glücklich oder auch nur im Alter versorgt zu sein, missbrauchen diese. Und Einzelkinder, die von früh bis spät von einer Nur-Mutti umsorgt werden, drohen ungleich häufiger einen seelischen Folgeschaden davonzutragen als Krippenkinder, deren Individuation und Sozialisation durch professionelle "Fremdbetreuung" gefördert wird. Abgesehen davon, dass der Mann einer Hausmutti gleich mit infantilisiert: die Hausfrauenehe ist "eine gediegene Form des betreuten Wohnens für männliche Erwachsene". Dass die Frau in solchen Fällen noch immer den Namen ihres Mannes annimmt, ärgert Koch-Mehrin besonders. Sie weiß indes zwischen Kröpfchen, Töpfchen und deren Deckelchen zu unterscheiden: Neben dem "Traditionalisten" gibt es ihr zufolge den - in Deutschland eher seltenen - "Modernisten" sowie den "Rosinenmann", der sich herauspickt, was ihm an Hausmuttis und Jobmuttis jeweils am besten zusagt. Gegen eine solche Spezies hilft nichts als ein "Knigge für Rabenmütter und solche, die es werden wollen". Den liefert Koch-Mehrin, ornithologische Grundlagen inklusive: "Den Vogelforschern sind die kleinen Raben als echte Nesthocker bekannt. Deshalb müssen ihre Eltern sie in die Welt schubsen, von allein würden die Jungvögel diesen Schritt nicht tun. Die Rabeneltern beschützen sie aber weiterhin vor Feinden. Was kann man Kindern Besseres angedeihen lassen als eine gute Mischung aus Loslassen und Haltgeben? Bezeichnenderweise existiert das diffamierende Wort 'Rabenmutter' nur in der deutschen Sprache. Im Französischen gibt es die "Mère poule", die Mutter, die ihren Kindern nicht genug Freiheit lässt. Betrachten wir die Bezeichnung Rabenmutter also als Auszeichnung."


Titelbild

Silvana Koch-Mehrin: Schwestern. Streitschrift für einen neuen Feminismus.
Econ Verlag, München 2007.
176 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783430300285

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