Plattes Kunsthandwerk

Nervöse Fräuleins, gehemmte Jungs: In Franziska Gerstenbergs "Solche Geschenke" kommen alle zu kurz

Von Stefan MeschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Mesch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Einer der markantesten Momente in Bret Easton Ellis' Lifestyle-Satire "American Psycho" - Oralsex mit abgetrennten Köpfen und schokolierte WC-Steine jetzt mal hintangestellt - ist das nimmermüde Dozieren der Hauptfigur über Kleidungs- und Stilfragen: "Heute trage ich einen Anzug von Alan Flusser. Er ist eine aktualisierte Version der Drape Suits der dreißiger Jahre.", "Der Tassel-Loafer ist von jeher ein Freizeitschuh.", "Man sollte darauf achten, Mineralwasser immer in Glasflaschen zu kaufen. Man sollte es nicht in Plastikflaschen kaufen. Weil es oxidiert."

Das ist lustig, weil es den Tonfall von Zeitschriften wie "GQ" und "Men's Health" aufgreift und die harmlosesten Lifestyle-Ratschläge gnadenlos gen Imperativ dogmatisiert. Selbst, wenn es nur ums Schuhebinden oder um die richtige Sonnenbrille geht: Den do!s und don't!s solcher Magazine fehlt jede Gutmütigkeit. Sie klingen wie militärische Befehle, fordernd, unumstößlich. Sie machen müde und nervös. Und denen, die immer alles richtig machen wollen, machen sie Angst.

Ist ja auch beschissen: Plötzlich eine Ameisenplage im Wohnzimmer zu haben. Zum Campingurlaub keinen Campingkocher mitzunehmen. Erst mitten beim Sauerkrautkochen zu merken, dass die Gewürznelken alle sind. Falsch gekleidet, schief gewickelt: Bereits 2004 veröffentlichte Franziska Gerstenberg, geboren 1979 in Dresden, einen hochgelobten Erzählband über solche kleinen, fiesen Kontrollverluste: "Wie viel Vögel" bündelte 15 Texte über Menschen, die einfach nicht souverän genug waren für das Rattenrennen Alltag.

Das Unbehagen eines Kindes, nicht mit dem behinderten Jungen der Nachbarn spielen zu dürfen. Die Unruhe einer Singlefrau, die immer öfter von ihren Freundinnen zum Babysitten eingespannt wird. Subtilste Verschiebungen, und schon finden sich vormals sattelfeste Leute in den beklemmendsten Konstellationen: "Sie trinken grünen Tee und Fanta Grapefruit, zwei riesige Flaschen Fanta Grapefruit stehen auf dem Tisch, eine vor Alexander und eine vor seinem Vater. Laura hat noch nie Fanta Grapefruit getrunken." Aus solchen kleinen, an sich banalen Gesten montiert Sadistin Gerstenberg die schönsten, die schrecklichsten Fremdschäm-Horrortrips.

Jetzt, drei Jahre nach "Wie viel Vögel", legt sie nach. Mit 14 neuen, sehr ähnlichen Texten: "Solche Geschenke" ist ein wenig dicker als der Vorgänger, die Erzählungen sind einen Tick länger, die Konflikte subtiler. Leitmotivisch geht es immer wieder um (zweifelhafte) Geschenke, die sich die Figuren gegenseitig machen: ein Kopfkissenbezug, ein Goldhamster, eine Schamhaarrasur. Ansonsten bleibt alles beim Alten: Wo Bret Easton Ellis seinen Helden souverän die Regelhaftigkeit von Konsum und sozialem Druck erläutern ließ, stellen sich Gerstenbergs Figuren nervöse Fragen, eher "Apotheken-Rundschau" als "GQ": Was tun gegen Haarausfall? Wovon kriegt Paella-Reis seine appetitliche Färbung? Und wie vertreibt man unangenehme Gerüche aus alten Schuhen?

"Was Sie für eine sind!", wird die überspannte Handlungsreisende Mareike im Zug angefahren, "Das erkennt man schon daran dass sie am Gang sitzen und Ihre Tasche auf den Fensterplatz gestellt haben! Damit sich ja nur keiner zu ihnen setzt!". Ein winziger Spannungsmoment, aus dem Gerstenberg sofort die schlimmsten Seelennöte sprießen lässt: "Mareike starrte in die Zeitschrift. Ihr wurde heiß, die Hitze wanderte vom Kopf bis in die Pumps hinunter. Sollte sie jetzt ihre Tasche vom Sitz nehmen, in einem halb leeren Wagen? Wie ungerecht, dass ihr, ausgerechnet ihr, so etwas passierte. Sie stand doch lieber selbst, als dass irgendwer keinen Platz fand. Und jetzt? Sie konnte genauso gut in Tränen ausbrechen, sie würde sich sowieso nur lächerlich machen."

Mädchen mit Stock im Arsch eben. Mädchen, die sofort nachhaken: "Müsste das jetzt nicht Mädchen mit Stöcken im Arsch heißen, im Plural? Oder gar Mädchen mit Stöcken in den Ärschen?", und dann - does not compute! - in einer hilflosen Angststarre verharren, hoffend, das Problem verschwände von allein. Tut es nicht! Und Gerstenberg hält gnadenlos drauf, auf ihre verklemmten, verkrachten Protagonisten. Die Highlights aus "Solche Geschenke" sind dabei "Radu sagt", eine Litanei der nervösen fag hag Christiane, die ihrem schwulen Nachbarn unangenehm auf die Pelle rückt, und "Leistenbruch", ein humoriger Text über den Schwedenurlaub zweier Fiftysomethings, die während ihrer Zeit im Ferienhaus entscheiden wollen, ob das Zusammenbleiben noch lohnt, jetzt, wo die Tochter bald aus dem Haus ist.

Leider kennt man diesen Plot bereits aus "Fünf Tage", einem Text aus Gerstenbergs Erstling ("Fünf Tage Amsterdam, sagte Konz, danach können wir auseinander gehen oder zusammenbleiben. Gib uns diese fünf Tage!"). Ja, überhaupt hat sich thematisch kaum etwas getan: Wieder gibt es Texte mit Kinderwunschproblematik, Texte mit Altenpflegeproblematik, Texte mit Familienfeierproblematik. Es gibt Angststörungen und Beinahe-Vergewaltigungen, einen Roadtrip nach Portugal, melancholische Lesben, neidische Geschwister, unsichere Leute mit unerklärlichen Krankheiten, entfremdete Freundeskreise, und im vorvorletzten Text gipfelt schließlich alles - ein wenig bemüht - in die Geschichte einer melancholischen unsicheren Lesbe mit unerklärlichen Angststörungen: "An Marlenes Schule geht schon wieder ein Magen-Darm-Virus um. Ausgerechnet in meiner Nähe geht immer irgendwas um. Vielleicht habe ich mich bei Marlene angesteckt, obwohl sie selbst nicht krank ist. Man kann die Viren ja übertragen, bevor man Symptome hat, und auch noch, nachdem sie abgeklungen sind. Vorhin, als Marlene zur Tür hereinkam, haben wir uns geküsst und umarmt, wie immer. Kein Zungenkuss, ich habe nur ihre Lippen berührt. Vielleicht habe ich mich dabei angesteckt!"

Immer dieselbe tiefe, kalte Angst: Vor dem Verlassen- und dem Vereinnahmtwerden, vor Arbeitslosigkeit und schlechtem Atem, und davor, dass sich die anderen lustig machen könnten, über die Klobürste mit dem rosa Stiel und der Plastikente obendrauf. Die Figuren heißen Hille, Kora, Kristina, ihre Sprache und ihre Themen sind das Destillat aus zehn Jahren Neuem Erzählen, Variationen immergleicher Mädchenprosa-Effekte: "Sonja war biegsam.", "Wir rauchen beim Ficken.", "Vielleicht sollte sie die neue Brille gar nicht abholen, vielleicht wäre es klüger, die Welt auch weiterhin unscharf zu sehen."

"Viele Bücher in den großen Verlagen klingen so", beschwerte sich Helmut Böttiger 2005 in der SZ, "heute und seit Jahren; die Verfasser wirken genauso austauschbar wie ihre Figuren. Aber sie kriegen meist ganz gute Rezensionen, denn etwas anderes bleibt dem Rezensenten kaum übrig. Es ist schwer, immer wieder aufs Neue etwas ganz toll finden zu müssen."

Kann sein, ja. Aber es ist schwerer, jedes Mal zu schreiben: "Das hat tolle Ansätze, führt in eine spannende Richtung, perfektioniert - in seiner nur scheinbaren Einfallslosigkeit - still und heimlich ein ganzes Genre, ja, und schon das nächste Buch wird dann der große Knaller, ganz bestimmt!". Bei aller Sympathie für ihren tollen, hypergenauen Unsicherheits-Seismografen: Franziska Gerstenberg macht Kunsthandwerk, oberflächlich im grellsten, kalkuliertesten, plattesten Sinne.

"Damit uns beim Lunch nicht der Gesprächsstoff ausgeht," schwadroniert der "American Psycho" irgendwo im Mittelteil des Romans, "versuchte ich, eine schicke neue Kurzgeschichtensammlung mit dem Titel Wok zu lesen, die ich gestern bei Barnes & Noble gekauft habe und dessen junger Autor unlängst in einer Fast-Track-Kolumne des New York-Magazine lobend erwähnt wurde, aber jede Geschichte begann mit der Zeile 'Wenn der Mond aufgeht wie eine große runde Pizza', und ich musste das schmale Bändchen wieder zurück ins Bücherregal stellen und mir einen J&B mit Eis, gefolgt von zwei Xanax, genehmigen, um mich von der Strapaze zu erholen."


Titelbild

Franziska Gerstenberg: Solche Geschenke. Erzählungen.
Schöffling Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
248 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783895613418

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