Medientheorie des Monströsen

Arno Metelings Studie zum modernen Horrorfilm

Von Urte HelduserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Urte Helduser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was ist ein Monster? Bei keinem anderen zeitgenössischen Medium dürfte sich die Vielgestaltigkeit des Monströsen so sehr zeigen, wie im modernen Horrorfilm mit seinen Zombies, Vampiren, Psychopathen, Aliens und Kannibalen. Diese seit den 1960er-Jahren vom Splattermovie über den Serial-Killer-Film bis hin zum New Gothic Horror bekannten Figuren greifen nicht nur auf die klassischen Vorlagen des Genres wie Dracula und Frankenstein zurück, sondern verfügen über eine weit hinter das 20. Jahrhundert zurückreichende kulturgeschichtliche Tradition des Monströsen.

In seiner Dissertation "Monster. Zu Körperlichkeit und Medialität im modernen Horrorfilm" weist Arno Meteling ausdrücklich auf diese Traditionslinien aktueller Repräsentationen des Monströsen hin: "Im Zentrum des modernen Horrorfilms [...] steht vor allem der deformierte und geöffnete menschliche Körper, der auf das Monster vor- und frühmoderner Horrorshows wie Jahrmarkt, Freakshow und Panoptikum und auf die theatrale Tradition des Grand Guignol rekurriert."

Das Monströse ist aber in der Moderne (und im modernen Horrorfilm) nicht mehr nur mit dem deformierten Körper assoziiert, sondern hat seinen Gegenpol in einer quasi körperlosen Figuration, dem Gespenst. Beide Erscheinungsformen verweisen auf ein zentrales kulturelles Archiv, dessen Bedeutung Meteling für den Horrorfilm deutlich herausstellt: die literarische Romantik und die Gothic Novel. Meteling macht die Kontinuität des Monströsen weniger an stofflichen und ikonografischen Traditionen deutlich, sondern in der Begriffs- und Diskursgeschichte des Monströsen. Ohnehin wird jedoch der schon allein durch den Buchtitel programmatisch eingesetzte Begriff des Monsters in den einzelnen Kapiteln nur hin und wieder gestreift, um dann erst im Resumee eine theoretische Aufladung zu erfahren.

Meteling geht es in seiner Historiografie des modernen, das heißt mit Filmen wie George A. Romeros "Night of the Living Dead" (1968) beginnenden Horrorfilms zunächst um eine "Medienphilologie", sein Zugang ist deutlich literaturwissenschaftlich orientiert und literarhistorisch geprägt. Als theoretische und methodische Referenzen dienen ihm der New Historicism und der Dekonstruktivismus ebenso wie Karl Heinz Bohrers Theorie der Romantik. Der romantische Ursprung des Horrorfilms wird so von Meteling nicht thematisch-inhaltlich hergeleitet, sondern anhand von Bohrers Bestimmung des Romantischen mit den Stichworten der "Plötzlichkeit", des "Phantastischen" und der "Reflexivität".

Der Horrorfilm überführt die romantische literarische Tradition jedoch nicht einfach in ein anderes Medium, es kommt dabei zu einem Ebenenwechsel, der Horrorfilm ist nämlich für Meteling ein "theoretisches Medium", also zunächst ein "Kommentar zum Medium Film" in Bezug auf dessen immanente Gewaltförmigkeit - bedeuteten doch die Techniken des (Film-)Schnitts wie der Kadrierung, des Bildausschnitts, nichts anderes als gewaltförmige Zerstückelung und Deformation des (menschlichen) Körpers. Das Genre des Splatterfilms wird somit von Meteling als Selbstreflexion des Mediumsgedeutet: Wenn in Filmen wie etwa Tobe Hoopers "The Texas Chainsaw Massacre" (1974) Knochen, Haut und Fleischstücke angehäuft werden, mag sich also das unbedarfte Publikum angesichts der Überbietung von Brutalität und Gewalt der Schaulust aus Grauen und Komik hingeben, tatsächlich findet hier jedoch nach Meteling eine medientheoretische Reflexion statt.

Mit dieser Bestimmung des Horrorfilms als Medientheorie verbindet sich für Meteling auch eine neue Verhältnisbestimmung zur Psychoanalyse: Diese ist für ihn nicht mehr - wie für einen Großteil der Horrorfilm-Studien - ein methodisches Werkzeug der Filmanalyse, sondern ein "analoges Projekt". Meteling zufolge entspringen nämlich beide dem gleichen kulturellen Ursprung, der literarischen Romantik. Man mag dies als Verengung des psychoanalytischen Lehre und als Verwechslung der Erkenntnisinteressen beider Diskurse betrachten, nicht zufällig drückt sich Meteling hier auch eher vage aus, wenn er eine "rhetorisch[e] Verschränkung zwischen Horrorfilm und Psychoanalyse" postuliert. Nicht zuletzt in den klassischen Horrorfilmen Alfred Hitchcocks ist das "Zirkulationsverhältnis" zwischen beiden Diskursen jedoch evident. Für Meteling dient diese theoretische Perspektivierung vor allem auch der Abgrenzung gegenüber psychoanalytischen Filmanalysen, an denen er eine allzu selbstbezügliche Deutungspraxis kritisiert, der der Autor die medienästhetische Selbstreflexivität des Horrorfilms entgegensetzt. Die demnach für den Horrorfilm konstitutive Auseinandersetzung mit dem Medialen tritt beispielsweise in David Finchers "Se7en" (1995) zutrage, wenn die Suche nach dem Serienmörder in Bibliotheken und Archive führt und das planvolle Morden durch philologische Arbeit dechiffriert werden muss. Allerdings, so Meteling, inszeniere Finchers Film nicht das Gelingen hermeneutischer Entzifferung, sondern gerade den Verlust einer Ordnung, das Archiv abendländischer Kultur sei hier 'unlesbar' geworden.

Auch auf zeitgeschichtliche Bezüge der Filme zu den realhistorischen Gewaltexzessen des Vietnam-Kriegs verweist Meteling, insistiert jedoch darauf, dass die Filme nicht auf das Geschehen an sich, sondern dessen alltägliche mediale Inszenierung selbst rekurrieren. Metelings dekonstruktivistischer Zugang wird dann zum Problem, wenn die historischen Bezüge über die Endlosschleife der Signifikantenverschiebung ganz aus dem Blick geraten: So liest man über Ruggero Deodatos "Cannibal Holocaust" (1979) zwar Sätze wie: "Der Film verschlingt den Körper und stellt den Körper [...] damit als seinen Inhalt aus", vermisst jedoch im ganzen Kapitel auch nur eine ansatzweise Stellungnahme zum Filmtitel und dessen historischer Allusion, die ja gerade mit der Mediengeschichte verknüpft ist. Schließlich etabliert sich der Begriff Holocaust nahezu zeitgleich durch die gleichnamige US-Fernsehserie (1978) als Bezeichnung für den NS-Massenmord an den europäischen Juden.

Inwiefern eine solche medienorientierte Untersuchung als Theorie des Monströsen zu verstehen ist, erfährt man im Resumee. Meteling rekurriert hier auf die kulturgeschichtliche Bedeutung des Monsters: In einer dekonstruktivistischen Deutung des Zeichencharakters des historischen Monstrums sieht Meteling im Monster den permanent in Verschiebung befindlichen Signifikanten ohne Signifikat - und damit als unsichtbaren gespenstischen Randgänger. Mit dieser Verortung des Monsters im Reich des Unsichtbaren, die zu Recht den imaginären, mythischen Ursprung alles Monströsen betont, grenzt Meteling das Monster vom klassifizierenden wissenschaftlichen Zugriff auf Monstrositäten und der physischen Realität des deformierten Körpers ab. Gerade das, was Ausgangspunkt des Monströsen im modernen Horrorfilm war, die Körperdeformation, tritt also zugunsten des Nicht-Sichtbaren und Unbewussten und schließlich auch des "geisterhaften Reichs der technischen Medien" zurück. In dieser Lesart wird das Monster zum "Gattungsmerkmal" des Horrorfilms und zur "theoretischen Leitfigur" einer Medientheorie des Horrors. Man muss Meteling nicht in alle Windungen der dekonstruktivistischen Lektüre folgen - insgesamt stellt der Band jedoch eine wichtige und lesenswerte Studie zum modernen Horrorfilm dar.


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Arno Meteling: Monster. Zur Körperlichkeit und Medialität im modernen Horrorfilm.
Transcript Verlag, Bielefeld 2006.
369 Seiten, 31,80 EUR.
ISBN-10: 3899425529

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