Vom Wesen der einfachen Dinge

Elf Kurzgeschichten von Diane Schoemperlen

Von Doris BetzlRSS-Newsfeed neuer Artikel von Doris Betzl

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist ein ungewöhnliches Buch, das Diane Schoemperlen geschaffen hat: Geschichten und Bilder über "Formen der Zuneigung". Ein Ratgeber? Format und Umschlagsgestaltung lassen darauf schließen. Bilder? Zahlreiche Illustrationen, Kupferstiche und Collagen in Schwarz-Weiss. Und Geschichten. Elf kurze Geschichten über die Dinge aus der Sicht der Frau. Ein Frauenbuch? Ein Frauen-Ratgeber?

Weit gefehlt. Die Erzählerin schildert uns Zwischenmenschliches in verschiedenster Form: einen mysteriösen Mord, das ABC angemessenen Verhaltens in der Öffentlichkeit, die guten und schlechten Tage einer Paarbeziehung. Wenn ein Rat erteilt wird, dann mit einem charmanten Augenzwinkern, so etwa in der "Anleitung zum Verfassen eines ernsthaften Romans über die Liebe": "Wenn Sie mit Ängsten, Phobien, Neurosen oder Impotenz nicht sonderlich vertraut sind, holen Sie sich aus der Leihbibliothek viele Bücher zu diesen Themen. Das nennt man Recherchieren. Wenn die Bibliothekarin Sie komisch ansieht, erklären Sie ihr, dass Sie ein Buch schreiben."

Die Titel der Geschichten sind sprechend und bergen doch Unerwartetes. Die Erzählungen enden offen, schrecklich oder gelassen. Die Illustrationen (etwa der anatomische Querschnitt eines Herzens oder ein Frauenakt) wirken nostalgisch-abstrakt und sind doch eng mit der Erzählung verbunden. Die Sprache ist zugleich klar und verspielt. Die Liebe zur Sprache, die die Autorin einer ihrer Protagonistinnen zuschreibt, besitzt sie selbst. Ihre Erzählerin widmet sich ausführlich den Wörtern, "die sie in ihr Gehirn gestopft hatte, wo sie wirbelten und zwirbelten, Zauberkunststücke vollführten und sich in Position jonglierten". Erzähl- und Stilebenen werden gewandt gemischt, ohne den Leser aus dem Fluß der Erzählung zu entlassen: "Das Zimmer war sehr stabil, mit Stützbalken, so stattlich und standhaft wie Baumstämme. Die Fenster waren tief in die dicken Außenmauern eingelassen. Diese Mauern waren durch und durch kompakt, nicht hohl im Innern wie so viele andere. Sie ließen mich an Osterhasen denken: Die besten Hasen sind kompakt, und man fühlt sich betrogen, wenn man in einen hohlen beißt und entdecken muß, daß er nur aus einer dünnen Schicht Schokolade um eine hasenförmige Blase aus süßer leerer Luft besteht". Die Autorin treibt ihre Kunststücke nicht nur mit Worten, auch mit Stoffen der Literatur: Medizinisches Fachwissen lesen wir im Wechsel mit dem schrecklichen Ende einer Beziehungstragödie, einer kuriosen Wahrscheinlichkeitsberechnung folgt die ausführliche und detailverliebte Betrachtung eines Männerkörpers.

Bleiben wir bei den Details: Jene kleinen Besonderheiten an Personen und an den Dingen, die sie umgeben, haben es der Erzählerin angetan. Ihnen widmet sie sich sorgfältig und hält den Leser an, es ihr gleichzutun: "Wie groß sind Marys Lippen, Hände, Augen, Brüste? Verwenden Sie ein paar Gedanken auf Wangenknochen, Krähenfüße, Leberflecke, Gesichtsbehaarung und Tattoos".

Diane Schoemperlen wird zu den wichtigen neuen Autorinnen Kanadas gezählt und erhielt für die "Formen der Zuneigung" 1998 den kanadischen Literaturpreis Governor General´s Award for Fiction. Sie hat ein gekonnt gestaltetes Buch vorgelegt, das Wort und Bild spielerisch, doch präzise zu einem Ganzen fügt. Die Illustrationen laden zur genauen Betrachtung ein, die facettenreiche, visuell anmutende Sprache führt den Leser in die Geschichten, in denen Schönes und Schreckliches ungeahnt nahe beieinander liegen. Dies ist ein Buch zum Schmökern: Man wird es immer wieder aus dem Regal nehmen, um ein Stück darin zu blättern - und was möchte man von einem Buch mehr erhoffen?

Titelbild

Diane Schoemperlen: Formen der Zuneigung.
Piper Verlag, München 1998.
208 Seiten,
ISBN-10: 3492041280

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