Wiederkehr der Folter

Der von Helmut Goerlich herausgegebene Tagungsband fragt aus juristischer Perspektive nach der Zulässigkeit von Folter

Von Achim SaupeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Achim Saupe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Folgt man den üblichen rechtshistorischen Darstellungen, gehört die rechtliche Abschaffung der Folter seit der Mitte des 18. Jahrhunderts zu den grundlegenden Pfeilern des modernen rechtsstaatlichen Strafverfahrens. Die von den Vereinten Nationen verabschiedete "Allgemeine Charta der Menschenrechte" bestimmte 1948 in ihrem fünften Artikel, dass niemand "der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden" dürfe. Die Vorstellung, dass das Folterverbot zu den internationalen, wenn nicht sogar westlichen Kulturwerten gehört, muss jedoch spätestens seit dem "Kampf gegen den Terror", seit Guantánamo, Abu Ghuraib und der indifferenten und damit unterstützenden Haltung bundesdeutscher Behörden wie etwa im Fall Murat Kurnaz aufgegeben werden. Gerade der abendländischen Wahrheitsfindung, die immer auch eine Praxis der Macht und eine Herrschaftstechnologie war, bleibt der Foltergedanke eingeschrieben. Selbst dann, wenn er in der Strafrechtstheorie und in den polizeilichen Ermittlungspraktiken angeblich in den Hintergrund tritt.

Die Wiederkehr der Folter auch in Deutschland zeigt sich insbesondere im öffentlichen Diskurs über ihre Androhung, die einst die so genannte peinliche Befragung einleitete. In der Bundesrepublik ist dies an dem Fall Daschner aus dem Jahr 2003 abzulesen, jenem ehemaligen Frankfurter Polizei-Vizepräsidenten, der mit dem vermeintlichen Erfolg aufwarten konnte, den Haupttatverdächtigen unter Androhung der Folter dazu zu bewegen, Auskunft über ein entführtes Kind zu geben. Dieses war, wie sich kurz darauf feststellte, vom Tatverdächtigen umgebracht worden.

Der Fall erregte Öffentlichkeit, Feuilletons und die juristische Zunft. Dass die Folter und ihre Androhung ein fragwürdiges Mittel der Wahrheitsforschung ist, droht in diesem präzedenzartig aufgebauschten Kathederfall zu verschwimmen, wie Helmut Goerlich in seinen einleitenden Bemerkungen zurecht vermerkt. Nicht nur die mediale Aufbereitung des Falles suggerierte, dass im Zweifelsfall zur Abwehr von Gefahren der Zweck die Mittel heiligt. Der - nicht in diesem Band vertretene - Rechtsphilosoph Rainer Trapp sprach etwa von der "selbstverschuldeten Rettungsbefragung" und dehnte dabei das Bedrohungspotential "gegenwärtiger Gefahr" derart weit, dass "menschenwürdewidrige Eingriffe" salonfähig zu werden schienen. Gegen solche Interpretationen, in der das Recht zu einer vernachlässigenswerten Größe zur Abwehr von Gefahren wird, wendet sich der Herausgeber in seinem kurzen Vorwort.

Doch damit ist man schon bei dem zentralen Dilemma, welches diesen Band betrifft, in dem ohne Ausnahme Strafrechtsexperten über den Fall Daschner und das rechtliche Folterverbot diskutieren. Denn aus einer rein rechthistorischen Perspektive - so wird deutlich - kann man kaum begründen, warum die Folter und ihre Androhung aus prinzipiellen ethischen Überlegungen abzulehnen ist.

So betont etwa im einleitenden Beitrag Dieter Anders, der als Frankfurter Generalstaatsanwalt direkt in den Fall involviert war, dass an dem grundsätzlichen Folterverbot nicht gerüttelt werden dürfe. Andererseits spricht er aber davon, dass das absolute Folterverbot im Einzelfall einen "hohen Preis" kosten könne, um kurz darauf von dem "Schicksal der Demokratie" zu sprechen, nicht auf die Folter zurückgreifen zu dürfen. Frank Rottmann interpretiert das bundesdeutsche absolute Misshandlungsverbot als eine Reaktion auf den NS-Staat mit seinen Vernehmungs- und Folterpraktiken. Und so führt er weiter aus, dass zur Lösung "dilemmatischer" Fälle eine Verfassungsänderung vorausgehen müsste, über die er sich als Jurist, der allein dem "positiven Recht" folgen dürfe, nicht äußern wolle. Überspitzt zusammengefasst: Da die NS-Vergangenheit zunehmend in weite Ferne rückt, kann eine Verfassungsänderung durchaus diskutiert werden.

Bernd-Rüdiger Kern meint hingegen, einen engen - auf die Wahrheitsermittlung gerichteten - von einem erweiterten Folterbegriff trennen zu können. Letzterer beruft sich dann auf die Abwehr von Gefahren und überstrapaziert damit Theoreme des staatlichen und ermittlungstaktischen Notstandes. Freilich darf ein solch gepresstes Geständnis nach Ansicht des Autors nicht zur Verurteilung genutzt werden, doch über die Rechtfertigung eines solchen Handelns enthält er sich eines ausführlichen Kommentars.

Der interessanteste Beitrag stammt aus der Feder von Manfred Seebode, der aufrichtiger Weise klar benennt, dass das ausnahmslose Folterverbot keineswegs notwendiger Weise zu einer ausnahmslosen Strafbarkeit der Folter führen muss. Man kann diese streitbare Auslegung der Gesetzeslage sicherlich als nachträglichen Rechtsbeistand für einen vielgescholtenen (und insgeheim vielbewunderten) Vize-Polizeipräsidenten verstehen, und so verwundert es nicht, dass die Forderung an den Gesetzgeber nach einer eben solchen ausnahmslosen Strafbarkeit der Folter unterbleibt. Das rechtlich fixierte Folterverbot entpuppt sich jedenfalls in diesem Beitrag als eine recht fadenscheinige Sache, denn mit einigem juristischen Aufwand kann es mehr oder weniger ungestraft hintergangen werden.

So erscheinen in diesem Büchlein unter der Hand Denkfiguren, die der Wiederkehr der Folter unter dem Vorwand des Notstandsrechts und der Abwehr öffentlicher Gefahren die Türe öffnen, auch wenn der Herausgeber eindeutig gegen die "Rettungsfolter" Stellung bezieht.


Titelbild

Helmut Goerlich (Hg.): Staatliche Folter.
mentis Verlag, Paderborn 2007.
95 Seiten, 17,80 EUR.
ISBN-13: 9783897854840

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