Im Dickicht der Literaturtheorie

Sigmund Freud als Diskursivitätsbegründer

Von Ulla BiernatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulla Biernat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Für Klaus Thonack ist die Psychoanalyse ein sich selbstorganisierendes System und Freud ihr "Diskursivitätsbegründer", der im Zuge des linguistic turn vor einem doppelten Problem steht: Er muß für seine neuen Erkenntnisse eine neue Sprache finden, obwohl genau dabei deutlich wird, daß psychische Vorgänge sprachlich nicht angemessen zu erfassen sind. Freud, so Thonack, rette sich aus diesem Dilemma schließlich in die Spekulation. Als Beweis für diese These dient Thonack die 1920 erschienene Schrift "Jenseits des Lustprinzips". Thonacks Vorsatz, die Dichotomie von literarischem und wissenschaftlichem Schreiben aufzulösen, klingt vielversprechend, entpuppt sich aber als unerträgliche Verbalakrobatik: Übertrieben gehäufte Kapitel-Motti, Zitatklaubereien von Dante über Emily Dickinson bis zu Thomas Pynchon sowie schicke literaturwissenschaftliche Konzepte ("Topographie des Schreibens", "Körperlichkeit", "Spur" usw.) lenken von der sowieso schon dünnen Argumentation ab. Warum Thonack "Jenseits des Lustprinzips" anhand der modischen Reisemetaphorik "kommentiert", bleibt unklar; ebenso, warum er die Konzepte "Autor" und "Stil" fast unbefragt verwirft. Gefangen im literaturtheoretischen Dickicht um Derrida, Lyotard, Lacan, Foucault (und etwas Luhmann) kann der Autor das Paradox, demzufolge das Unbewußte (wessen? des Textes? Freuds?) in der Sprache bewußt wird, nicht auflösen - aber vielleicht will er das ja auch nicht.

Titelbild

Klaus Thonack: Selbstdarstellung des Unbewußten. Freud als Autor.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 1997.
246 Seiten, 29,70 EUR.
ISBN-10: 382601250X

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