Weltliteratur für Eilige

Jürgen Neckam hastet mit mächtigen Sätzen durch 500 Romane

Von Brigitte OchsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Brigitte Ochs

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer kennt das nicht? Man weiß ganz genau, dass man unzählige Stunden damit verbracht hat, Marcel Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" zu lesen - und bereits nach wenigen Monaten könnte man nicht mal mehr eine kurze Inhaltsangabe zu diesem Werk geben. Bleibt nun lediglich die Feststellung übrig, dass die Lektüre verlorene Zeit war, wenn doch nur noch so wenige Erinnerungen an dieses Buch geblieben sind? Oder man glaubt sich vage daran erinnern zu können, in grauer Schulvorzeit Theodor Fontanes "Effi Briest" gelesen zu haben, aber außer dem bitteren Nachgeschmack davon, dass eine Frau ungerechterweise aus der Gesellschaft ausgestoßen wird, ist von diesem Werk der Weltliteratur nicht viel hängen geblieben.

Um diese (erschreckenden) Gedächtnislücken zu schließen, hat der freie Schriftsteller, studierte Germanist und Theaterwissenschaftler Jürgen Neckam nun sein neues Literaturlexikon "500 Romane in einem Satz" auf den Markt gebracht. Es verspricht, so das Vorwort, einen prägnanten Überblick über den Inhalt der von ihm ausgewählten Bücher zu geben. Außerdem möchte das "schnellste Literaturlexikon der Welt" Erinnerungen an Lieblingsbücher wachrufen und zur Lektüre bisher unbekannter Bücher anregen - und das Ganze in jeweils nur einem Satz. Stellt sich die Frage, ob dieses betont unwissenschaftlich gehaltene Lexikon diese Versprechungen auch erfüllen kann.

Sicherlich vermag Neckams Nachschlagewerk etwaige Erinnerungslücken in Bezug auf den Inhalt bereits gelesener Romane ansatzweise zu schließen. Was allerdings die Versprechen des prägnanten Überblicks und die Anregung zum Lesen neuer Werke der Weltliteratur betrifft, enttäuscht Neckams Lexikon. Hierbei steht sich der Autor mit seinem selbstgesetzten Diktum, das gerade das Charakteristische des Bandes ausmachen soll, im Weg. Die selbst gestellte Aufgabe, den Inhalt jedes Buches in nur einem einzigen Satz zusammen zu fassen, lässt Neckam zum Teil eigentümlich anmutende Schachtelsätze formulieren. Der Versuch, möglichst alle wichtigen Informationen zu den Romanen in nur einem Satz zu präsentieren, führt leider dazu, dass die kurzen Inhaltsangaben manchmal kaum gelingen mögen. Die versprochene Prägnanz sucht der Leser oft vergeblich.

Weiter will das Literaturlexikon Lust auf neue Bücher machen. Auch das gelingt leider nicht immer. Wer zum Beispiel über Éric-Emmanuel Schmitts zutiefst bewegenden Roman "Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran" den folgenden Satz liest, würde wahrscheinlich nicht auf die Idee kommen, in der Buchhandlung nach diesem Buch zu greifen: "Der elfjährige Jude Momo lebt bei seinem arbeitslosen Vater, bis dieser sich umbringt und Momo von seinem großväterlichen Freund, dem Ladenbesitzer Ibrahim, adoptiert und in das Leben auf Basis der Weisheit des Korans eingeführt wird, wofür Momo und Ibrahim eine Reise von Paris in die Türkei unternehmen, wo Ibrahim bei einem Autounfall stirbt, glücklich darüber, Momo alles Wichtige beigebracht und ihm sein ganzes Vermögen vererbt zu haben."

Erfolgversprechender als solche gestelzten Inhaltsangaben ist das Zitat zu jedem Buch, das Neckam zumeist sehr treffend ausgewählt hat. Mit diesem "besten Satz" kann der Leser einen kurzen Eindruck vom Schreibstil des einzelnen Autors bekommen und erhält zudem einen pointierten Einblick in den Text. "Ich liege in meinem Bett, fünf Treppen hoch, und mein Tag, den nichts unterbricht, ist wie ein Ziffernblatt ohne Zeiger." Möchte man jetzt nicht Rainer Maria Rilkes "Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge" lesen?


Titelbild

Jürgen Neckam: 500 Romane in einem Satz. Das schnellste Literaturlexikon der Welt.
DuMont Buchverlag, Köln 2007.
272 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783832180157

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch