Um Leben und Tod

Nicola Bardola plädiert für die Selbstbestimmung über das eigene Leben und Sterben

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Unheilbar kranke und alte Menschen seien angesichts des medizinischen Fortschritts heutzutage oft zu einer "endlosen Tortur" in einem "diesseitigen Inferno" verurteilt, in dem "der Teufel und Beelzebub Schichtdienst leisten", klagte Ulrich Horstmann Anfang des Millenniums in seinem Buch "Abtrift". Nüchterner, aber ebenso richtig formuliert Nicola Bardola: "Die Medizin löst nicht, sondern erzeugt eher Probleme, wenn ihre lebensverlängernde Heilkunst zu chronischen Krankheiten führt." Angesichts des oft jahrelangen Dahinsiechens und qualvollen Sterbens in deutschen und anderen Hospizen sowie der oft tragisch endenden (das heißt: nicht erfolgreichen) Suizidversuche Schwerstkranker plädiert er in seinem Buch "Der begleitete Tod" dafür, den Menschen ein selbstbestimmtes Sterben auch in Deutschland nicht länger zu verwehren. Und er weiß, wovon er spricht. Bestimmten seine Eltern doch vor einigen Jahren den Zeitpunkt und die Art ihres Lebensendes selbst.

"Um zu erklären, was der begleitete Freitod - auch für die Angehörigen - bedeutet", hat Bardola vor zwei Jahren den Roman "Schlemm" veröffentlicht. Nun hat er ein Sachbuch zum Thema folgen lassen. Auch mit diesem spricht er kein wissenschaftliche Publikum an, sondern alle, die über ihr Leben und somit auch über ihr Sterben selbst bestimmen wollen. Dass der Autor versucht, alle nur denkbaren Fragen zum Thema zu beantworten und dabei möglichst genau zu sein, führt dazu, dass sein Buch gelegentlich etwas redundant gerät. Doch dies sieht man ihm angesichts der Brisanz des Gegenstandes gerne nach.

Bardolas Plädoyer richtet sich konkret gegen die Kriminalisierung des so genannten assistierten Suizids, bei dem der Sterbewillige selbst das erlösende Mittel schluckt und es nicht - wie bei der aktiven Sterbehilfe - verabreicht bekommt. In Deutschland machen sich Menschen, die jemandem zu sterben helfen, etwa indem sie ihm ein Rezept für das notwendige Gift ausstellen, strafbar; in der Schweiz und auch in manchen andren Ländern hingegen nicht. So kommt es, dass jährlich circa 250 Bundesbürger in den Alpenstaat fahren müssen, um in Würde sterben zu können.

Wie das vorliegende Buch deutlich macht, ist es aber auch in der Schweiz nicht ganz so einfach und schon gar nicht selbstverständlich, dass die Menschen über ihr Sterben selbst bestimmen dürfen. Vielmehr legt der Autor dar, dass "der Wunsch, sich das Leben zu nehmen", in seinem Heimatland "begründet" werden und "zahlreichen Sorgfaltskriterien entsprechen" muss. So muss laut einem Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts etwa "zwischen dem Sterbewunsch als Ausdruck einer psychischen Störung und dem selbstbestimmten, wohlerwogenen und dauerhaften Entscheid einer urteilsfähigen Person" unterschieden werden. Nur letzteres, den so genannten "Bilanzsuizid" gelte es zu "respektieren". Ob ein Sterbewilliger psychisch gestört ist oder sich wohl überlegt dafür entscheidet, aus dem Leben zu scheiden, könne nur mittels eines "vertiefte[n] psychiatrische[n] Gutachten[s]" erkannt werden. Das erinnert fatal an die einstige leidige Gewissensprüfung für Wehrdienstverweigerer. Nur, dass man hier Fremden gegenüber wohl noch in weit privateren und intimeren Fragen Rede und Antwort stehen muss. Man kann es nicht anders denn als Zumutung bezeichnen, dass jemand, der sein Leben in Würde beenden will, zuvor zu einer solch entwürdigenden Prozedur genötigt wird.

Bardola beleuchtet die Frage der Legitimität, freiwillig aus dem Leben scheiden zu wollen oder jemandem dabei zu assistieren, auf vielfältige Weise. So legt er nicht nur die juristischen, politischen, religiösen und medizinischen Kontroversen sowie die Rechtslage in verschiedenen Ländern dar und bietet zahlreiche Fallbeispiele, sondern führt zur Untermauerung seiner Argumentation für ein selbstbestimmtes Lebensende auch einige prominente Zeitgenossen wie Mario Simmel oder Richard Dworkin ins Feld. Hinzu tritt eine Reihe Denker aus der Philosophiegeschichte, darunter Seneca, David Hume und Ludwig Feuerbach. Der konsequenteste Verfechter des Freitodes fehlt allerdings in seiner Liste Philipp Mainländer.

Auch Stimmen, die sich gegen das Recht auf (assistierten) Suizid wenden, lässt der Autor zu Wort kommen. Womöglich allerdings nicht immer die argumentationsstärksten. Oft genug allzu dürftig, ja gelegentlich haarsträubend sind deren Ausführungen. So zitiert Bardola Stephan Sahm, Chefarzt einer Klinik in Offenbach und Experte für Medizinethik zur Frage, was dagegen einzuwenden sei, dass ein Arzt ein Rezept ausstelle, das es dem Patienten ermögliche, sich auf die von diesem gewünschte Weise zu töten: "Einzuwenden ist, dass schon das ärztliche Angebot die Freiheit auf Entscheidung einschränkt." Genau, "Krieg bedeutet Frieden", "Freiheit ist Sklaverei" und "Unwissenheit ist Stärke". Big Brothers Neusprache lässt grüßen.

Von solchem Unsinn sind Bardolas Darlegungen stets weit entfernt. Doch wählt auch er seine Argumente nicht immer ganz glücklich. Dass gerade "das Wissen, dass man das Leben selbst beenden kann", vielen hilft weiterzuleben, ist sicher richtig, und keine neue Einsicht. Allerdings ist es fragwürdig, sie für die Erlaubnis, jemandem ein selbstbestimmtes Lebensende zu ermöglichen, anzuführen, zielt doch gerade sie auf Lebensverlängerung.

"Im Bereich der Sterbehilfe gibt es keine einfachen Lösungen", bekennt der Autor am Ende seines Buches. "Wenn es um das Sterben geht, kann der Gesetzgeber nicht alles regeln. Es bedarf Handlungsfreiräume, in denen die Individualität, der Wille und die immer einzigartigen Lebensumstände des sterbenden Menschen zur Geltung und zu ihrem Recht kommen." Warum er dennoch für die Legalisierung des assistierten Suizids eintritt, hat er zuvor ausführlich und im ganzen überzeugend dargelegt.


Titelbild

Nicola Bardola: Der begleitete Freitod. Ein Plädoyer für die Selbstbestimmung über das eigene Leben.
Südwest Verlag, München 2007.
240 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783517083025

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