Alte Kämpfe

Oliver Bottinis Krimi "Im Auftrag der Väter" lässt die Grenzen zwischen Opfern und Tätern verschwimmen

Von Jörg von BilavskyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg von Bilavsky

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Keine Frage, Oliver Bottini schreibt glänzend. Er kann sich in Situationen und Menschen hineinversetzen und sie mit poetischer wie psychologischer Präzision lebendig werden lassen. Er kann Spannung aufbauen, indem er die Verbrechen nur andeutet oder ihre Beschreibung bewusst verzögert. Er überlässt nichts dem Zufall. Jede Handlung, jeder Gedanke ist überzeugend motiviert, jede Figur besitzt einen individuellen Charakter. Und jeder kriminalistische, politische oder historische Fakt ist perfekt recherchiert und rekonstruiert.

Das macht seine Bücher so unverwechselbar. Aber mittlerweile auch relativ durchschaubar und weniger originell und überraschend. Denn auch in seinem dritten Kriminalroman "Im Auftrag der Väter" kreist wieder alles um die ehemals alkoholabhängige Freiburger Kommissarin Louise Bonì, deren private Probleme und persönliche Empfindungen immer auch Teil der Verbrechensaufklärung sind. Wieder einmal kämpft sie mit den Schatten ihrer eigenen Vergangenheit und der im Verborgenen liegenden Vergangenheit des Mörders. Und wieder stehen Krieg und Terror im Mittelpunkt, die unheilbare Wunden geschlagen haben und noch immer schlagen. Extremsituationen, in denen Täter zu Opfern und Opfer zu Tätern geworden sind. Und wo die Grenzen zwischen Recht und Gerechtigkeit fließend sind.

In diesem Spannungsfeld bewegt sich Louise Bonì, als es darum geht, die nur scheinbar normale Familie Niemann vor der Rache eines "alten Kämpfers" zu bewahren. Selbstredend bleibt zunächst völlig unklar, wieso der Unbekannte sie mit seinem plötzlichen Auftauchen verängstigt und ihr Haus in Brand steckt. Aus Vater, Mutter, Sohn und Tochter bringt die immer mitfühlende Kommissarin nicht viel mehr heraus, als dass die familiären Verhältnisse im Grunde zerrüttet und nicht mehr zu kitten sind. Doch das erklärt in keiner Weise die akute Bedrohungssituation. Erst als sie in der beruflichen Vergangenheit des in Depressionen versinkenden Familienoberhaupts gräbt, findet sie Spuren, die ins ehemalige Jugoslawien beziehungsweise in den Bürgerkrieg der 1990er-Jahre führen.

Familienvater Franz Niemann ist nämlich nicht nur Opfer, sondern war auch einmal Täter, wenn auch "nur" einer am Schreibtisch. Genau dafür sollen er und seine Familie büßen. Mehr darf eigentlich nicht gesagt werden, wenn man die Beweggründe und die Identität des Täters noch im Dunkeln lassen möchten. Denn die Täterbiografie macht neben den von Bottini immer wieder problematisierten Befindlichkeiten der Kommissarin den Kern des Romans aus. Wir erfahren deshalb gleich auf mehreren Ebenen etwas über das uralte Problem von Schuld und Sühne. Und darüber, wie das Schicksal des Einen zum Schicksal des Anderen und wieso ein Mensch im "Auftrag der Väter" zum Mörder werden kann.

Bottini begnügt sich nämlich nicht mit der Auflösung des Falls, der auf den letzten Seiten eine durchaus überraschende Wendung nimmt. Er sucht in den Motiven und Handlungen seiner Protagonisten nach den seelischen Brüchen und moralischen Zwangslagen. Das ist ihm auch dieses Mal wieder meisterlich gelungen. Dennoch: Die Figur der Louise Bonì, dem "lonely wolf" der Freiburger Kripo, scheint langsam ausgereizt. Ihre fehlende Distanz zu Opfern, Tätern und Kollegen, ihre vermeintlichen Ahnungen, ihre spontanen Alleingänge, ihr verkorkstes Liebesleben. Diese mittlerweile typisierten Charakterzüge lassen sie zu einer relativ monotonen und manchmal auch allzu sentimentalen Serienfigur erstarren. Über sie scheint Bottini alles gesagt zu haben, auch wenn er dies immer wieder in neue Worte zu kleiden vermag.

Sicher verlangt das Genre wiedererkennbare Helden oder Anti-Helden. Doch so ausladend und komplex wie der Autor Louise Bonì zeichnet, wäre sie in einem anderen Genre vielleicht besser aufgehoben. Der eigentliche Fall, so raffiniert er auch vom Autor angelegt ist, verblasst des öfteren vor den überscharfen Konturen der Kommissarin. Das erzählerische Gleichgewicht zwischen Plot und Protagonistin ist nicht mehr gegeben. Vielleicht sollte der preisgekrönte Autor die festgetretenen Pfade einmal verlassen und den Abzweig in Richtung Belletristik nehmen. Hier könnte er dank seines schriftstellerischen Talents vermutlich mehr Entdeckungen machen und für neues Aufsehen sorgen. In der Kriminalliteratur läuft sich die Mischung aus Spannung und Sozialkritik langsam tot. Was nicht gegen diese Kombination spricht. Aber Bottini vermag auf diesem Gebiet auch nur alte Kämpfe auszutragen.


Titelbild

Oliver Bottini: Im Auftrag der Väter.
Scherz Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
444 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783502110095

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