They fuck you up, your mum and dad

Mit "Schlechte Neuigkeiten" liegt nun auch der zweite Teil der Melrose-Trilogie von Edward St Aubyn auf deutsch vor

Von Sandra LindnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sandra Lindner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Erinnern wir uns kurz an Edward St Aubyns ersten Roman über die Melroses, "Schöne Verhältnisse" (siehe literaturkritik.de Nr. 6/2007). Protagonist David Melrose ließ darin keine Gelegenheit aus, seinen fünfjährigen Sohn Patrick zu quälen. Er trug damit den Erziehungsgeist seines Vaters weiter, der ihn seinerseits gerne gedemütigt und vernachlässigt hatte. Im zweiten Roman "Schlechte Neuigkeiten" ist David Melrose nun tot und Spross Patrick, jetzt Anfang Zwanzig, zu einem Junkie deluxe herangereift.

Die Geschichte von "Schlechte Neuigkeiten" ist schnell erzählt. Patrick Melrose, drogenabhängig und günstigerweise reich, reist nach New York, um die Asche seines verstorbenen Vaters abzuholen. Dessen Tod, die titel- und maßgebende schlechte Neuigkeit, nimmt Patrick zum Anlass, seinen Aufenthalt in eine großangelegte Rauschorgie zu verwandeln. Er verleibt sich alles ein, was er in die Finger kriegen kann. Ergäbe es sich, würde er sicher auch vor der Asche seines Vaters nicht halt machen. So driftet er, nicht gänzlich unglamourös, zwischen Rausch und Entzug, Beschaffung und Pflichtterminen, Selbstmitleid und Egomanie durch das Manhattan der frühen 1980er-Jahre. Zu lange war Patrick der perfiden Grausamkeit seines Vaters und der alkoholinduzierten Unterwürfigkeit seiner Mutter ausgesetzt, zu oft hat er die Leitsätze seines Erzeugers durchexerzieren müssen: "beobachte alles... traue niemandem... verachte deine Mutter... Leistung ist ordinär... im achtzehnten Jahrhundert war alles besser", um ein glücklicher junger Mann zu werden. Dachte man im ersten Roman noch naiv "Was wird bloß aus dem armen Kind?", überrascht einen seine Entwicklung zum äußerlich indifferenten und innerlich verzweifelten Opiathörigen nun kaum mehr.

Wir erfahren: Als Patrick, gerade volljährig, von einer psychiatrischen Anstalt aus den Versuch unternahm, sich seinem Vater in einem Brief zu erklären, antwortet dieser mit einem Zitat aus der Göttlichen Komödie: "Bedenkt, wozu dies Dasein euch gegeben / Nicht um dem Viehe gleich zu brüten, nein / Um Wissenschaft und Tugend zu erstreben." Diese an Erbarmungslosigkeit kaum zu überbietende Reaktion beseitigt alle Zweifel: Auf den wärmenden Schoß der Familie hat Patrick zeitlebens verzichten müssen. Ersatz fand er vor allem in der Grande Dame der Substanzenpalette: "Heroin landete behaglich schnurrend auf seiner Schädelbasis und wand sich dunkel um sein Nervensystem, wie eine schwarze Katze, die es sich auf ihrem Lieblingskissen gemütlich macht. Es war so weich und üppig wie die Kehle einer Ringeltaube oder der Siegelwachstropfen auf einem Blatt Papier oder ein Häufchen Edelsteine, das man von einer Hand in die andere gleiten lässt."

Ausgezeichnet und amüsant sind die Beschreibungen der logistischen Perfektion, mit der Patrick seine Sucht betreibt. Abhängigkeit ist ein anspruchsvoller Vollzeitjob. Es gilt, Telefonnummern parat zu haben, Dealer zu bestimmten Zeiten abzupassen, an den richtigen Stellen Süßholz zu raspeln, funktionsfähige Spritzen zu beschaffen, Toiletten ausfindig zu machen, Dosierung, Portionierung und Kalkulation im Auge und den Betäubungslevel konstant zu halten. Dies gipfelt in einem köstlichen Moment völliger Selbstüberschätzung, in dem Patrick seine jämmerlichen strategischen Überlegungen zur Aufteilung seiner Rauschmittelreste auf seine bislang unentdeckt gebliebenen Fähigkeiten, ein Heer von Streitkräften in den Krieg zu führen, überträgt. Spätestens hier hat man ihn zwar liebgewonnen, aber aufgehört, ihn ernst zu nehmen. Die Beschreibung seines Äußeren tut ihr übriges: "Skeptisch, aber unaufhaltsam näherte er sich dem Spiegel und stellte fest, dass eines der Augenlider tiefer hing als das andere, über einem entzündeten, nässenden Auge. Er zog die Haut herunter und sah das vertraute dunkle Gelb seiner Augäpfel. Die Zunge war gelb, und dick belegt. Nur die violetten Ränder unter den Augen linderten die tödliche Blässe seines Teints."

Patrick ist eine Kreatur, die einem Vampir ähnlicher sieht als einem jungen Aristokraten. Seine Herkunft macht sich allerdings allenthalben bemerkbar. So bezieht er sich beispielsweise auf einflussreiche Werke der Kulturgeschichte, von der Bibel über den "Mythos des Sisyphos" und "Aufstieg und Fall des Römischen Reiches" bis hin zu Joseph Conrad, Ezra Pound und Samuel Beckett. Ambitioniert aber nicht unambivalent ist in diesem Zusammenhang ein fünfzehnseitiges absurd-surrealistisches Miniaturdrama, dessen Dramatis Personae sich aus Gestalten aus Patricks Fantasie und literarischen Figuren zusammensetzt. Durch Überdosierung ausgelöst, spielt sich das Kammerspiel komplett in Patricks Kopf ab. Man fühlt sich stellenweise an die Bilder aus "Fear and Loathing in Las Vegas" erinnert und vermag nicht zu sagen, ob diese Episode tendenziell peinlich ist oder grandioses Abbild eines von Drogenkicks berstenden Bewusstseins.

Zu erwähnen ist noch, dass der Roman eine These aufwirft: "They fuck you up, your mum and dad. They may not mean to, but they do. " Sie ist wortlautgetreu den ersten Zeilen eines Gedichts von Philip Larkin entnommen. Das wunderbar auf den Roman anwendbare Fazit dieser Verse bringt die unvermeidliche Eltern-Kind-Beziehung auf folgenden Punkt: "Man hands on misery to man. / It deepens like a coastal shelf. / Get out as early as you can, / And don't have any kids yourself. " Ob Patrick Nachwuchs erspart bleibt? Ob weiterem Melrose-Nachwuchs Patrick erspart bleibt? Über dem Ende dieses Trilogieteils scheinen jedenfalls geschmeideglitzernd die Worte "Patrick Melrose will return" zu prangen. Wie bei Bond ein Grund zur Freude. Denn Patrick, modrigklamm und seelenwund, ist einem längst ans Herz gewachsen.


Titelbild

Edward St Aubyn: Schlechte Neuigkeiten. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Frank Wegner.
DuMont Buchverlag, Köln 2007.
222 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783832180256

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