Ein Denkmal für die Literatur und ihre Übersetzung
Rosemarie Tietze überträgt Andrej Bitows "Puschkinhaus" ins Deutsche
Von Daniel Henseler
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSollte man in Stockholm erwägen, den Literaturnobelpreis in nächster Zeit nach Russland zu vergeben, so könnte auf der Liste der möglichen Anwärter der Name Andrej Bitow zuoberst stehen. Bitow, vor kurzem 70 Jahre alt geworden, gilt als einer der renommiertesten russischen Autoren seiner Generation. Sein Roman "Das Puschkinhaus" ist bereits zum Klassiker des 20. Jahrhunderts geworden; er liegt nun in einer neuen deutschen Übersetzung vor.
Ljowa Odojewzew, ein junger Doktorand im Leningrad der 1960er-Jahre, ist die Hauptfigur des Romans; das im Titel genannte Puschkinhaus, ein Forschungsinstitut, ist sein Arbeitsplatz: Ljowa darf auf eine glänzende wissenschaftliche Karriere hoffen. Der Roman berichtet aber auch von Ljowas Herkunft aus einem alten Adelsgeschlecht, erzählt von seinem Großvater, der über 30 Jahre im Gulag verbrachte. Nebenbei macht Ljowa seine ersten Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht. Im Puschkinhaus kommt es nach einer ausgelassenen Feier mit viel Alkohol zu einem folgenschweren Duell, an dem auch Ljowa beteiligt ist - zur selben Zeit wird draußen in den Straßen der Jahrestag der Oktoberrevolution gefeiert.
Die eigentliche und durchaus nicht nur heimliche Heldin des Romans ist aber die Literatur selbst. Dies kommt nicht allein in den zahlreichen Anspielungen auf Klassiker wie Puschkin, Lermontow, Turgenjew oder Dostojewski zum Ausdruck: Ljowas Herkunft, seine Jugend- und Lehrjahre werden in deren literarischem Werk auf vielfache Weise gespiegelt. Die Verweise auf Autoren, deren Texte man vielleicht nicht gelesen hat, erschweren die Lektüre von Bitows Roman aber nicht zwangsläufig. Das "Puschkinhaus" ist ein Roman über das Schreiben an und für sich, über dessen Möglichkeiten und Grenzen. Ljowas Geschichte wird denn auch nicht linear erzählt, sie wird nicht in ihrer Gesamtheit und Abgeschlossenheit berichtet, sondern in Brüchen und Variationen, mit Fakten und Mutmaßungen. Derweilen kommentiert der Autor fortwährend seine eigene Schreibtätigkeit.
Eigenschaften wie Intertextualität, der Hang zu Variantenbildung und Metafiktionalität machen aus dem Roman einen postmodernen Text. Dazu passt ein weiteres Charakteristikum von Bitows "Puschkinhaus" und von seinem Werk überhaupt, nämlich die Tendenz des Autors, am Text auch dann weiter zu schreiben, wenn dieser bereits veröffentlicht worden ist. Bitows Texte nehmen meistens keine endgültige Gestalt an. Zusammen mit zensurbedingten Eingriffen hat dies beim "Puschkinhaus" zu einer komplexen Entstehungs- und Publikationsgeschichte geführt, welche die Übersetzerin Rosemarie Tietze in einem hilfreichen Nachwort in Erinnerung ruft. Entstanden zwischen 1964 und 1971, wurde der Roman zunächst 1978 ohne Wissen des Autors und nur unvollständig (nämlich ohne den gewichtigen Kommentarteil) in den USA veröffentlicht. Erst während der Perestroika konnte das Buch 1989 in der Sowjetunion erscheinen. Während die neue deutsche Übersetzung in Arbeit war, entwickelten sich aus den Diskussionen zwischen Autor und Übersetzerin weitere Anmerkungen, welche wiederum in den Text einflossen.
Ein lobendes Wort zur Übersetzung drängt sich auf. Rosemarie Tietze ist eine ausgewiesene und erfahrene Übersetzerin aus dem Russischen. Von Bitow hat sie unter anderem bereits die "Armenischen Lektionen" (2002, wie das "Puschkinhaus" ebenfalls eine Neuübersetzung) und das "Georgische Album" (2003) übertragen. Im Nachwort zu den "Armenischen Lektionen" hatte sie sich über die Berechtigung von Zweitübersetzungen Gedanken gemacht und dabei die These vertreten, dass Übersetzen keine unhistorische Tätigkeit sei. Jede Zeit habe ihre eigenen Präferenzen. Auch interessiere bei der ersten Übersetzung gewöhnlich vor allem das Thema, während die möglicherweise neue und Bahn brechende Schreibweise des Texts unter Umständen erst der nächsten oder übernächsten Generation bewusst werde. - Was nun das "Puschkinhaus" betrifft, verweist Rosemarie Tietze noch auf zwei andere Beweggründe für eine neue Übertragung: Die erste deutsche Übersetzung (Luchterhand 1983) sei stilistisch uneinheitlich gewesen, da damals zwei Übersetzerinnen den Text unter sich aufgeteilt hätten; zudem sei der Originaltext zu jener Zeit eben noch kürzer gewesen. Man darf hier Rosemarie Tietze zustimmen: Wenn für Andrej Bitow sein Werk ein Ganzes ist, das nie abgeschlossen ist, so gilt dies sicher auch für die Arbeit an der Übertragung in eine andere Sprache.
Rosemarie Tietze hat den postmodernen Charakter von Bitows Schreiben noch auf andere Weise ernst genommen. Sie schreibt sich nämlich gleich selbst in den Kommentarteil ein - der immerhin 100 Seiten umfasst - und erlaubt sich mitunter einen knappen Kommentar zum Kommentar: So erläutert sie hie und da sowjetische oder russische Realia, die einem deutschen Leser vielleicht weniger vertraut sind, oder sie lässt sich auf köstliche, doch stets freundschaftlich gemeinte Polemiken mit dem Autor ein; sie stellt ihm Fragen oder bittet ihn um eine Präzisierung. Rosemarie Tietze beweist dabei Humor und eine gehörige Portion Selbstironie, vor allem aber macht sie hier auf eine ganz sympathische Art und Weise auf ihre Arbeit, auf die vermittelnde Tätigkeit einer Übersetzerin aufmerksam. Das mag man ihr nicht verübeln, im Gegenteil: In zweifacher Hinsicht erscheint dies durchaus legitim. Zum einen bleibt die Leistung der Übersetzer literarischer Werke oft genug im Hintergrund; zum andern aber hat gerade Rosemarie Tietze für die Arbeit am "Puschkinhaus" ein Lob besonders verdient: Ihre Neuübersetzung des "Puschkinhauses" ist nämlich überaus gelungen. Ihr Deutsch ist brillant, von vornehmer Eleganz, und doch liest sich die Übertragung flüssig. Die Sprache wirkt nun gleichmäßiger und glatter als in der alten Übersetzung. Sie scheint tatsächlich in der heutigen Zeit angekommen zu sein.
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