„Tausend Finsternisse todbringender Rede“

Cornelia Schmitz-Berning untersucht das Vokabular des Nationalsozialismus

Von Jonas EngelmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jonas Engelmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zeit seines Lebens hat sich Hubert Fichte mit der Problematik von Sprache als „Haltung der Siegreichen“ auseinandergesetzt. Derjenigen Siegreichen, die ihn über die Nürnberger Gesetze zum Halbjuden bestimmt und damit der Verfolgung preisgegeben hatten. Doch auch nach dem Ende der Nazi-Herrschaft ist diese Sprache nicht zu ihrem Ende gekommen: „Scheiße, Stuhl, Kot, Aa. Das sind die Ideen, die kommen in jedem Naziwitz über die Schwulen vor. Die Schwulenwitze nach der Entnazifizierung bleiben die gleichen“, schreibt Fichte in „Hotel Garni“.

Auch im Zentrum der Auseinandersetzung von Überlebenden der Konzentrationslager mit dem Nationalismus steht meist die Sprache: Das Versagen der Sprache angesichts des Grauens in den Lagern. Zum anderen ist die Sprache selbst in Mitleidenschaft gezogen, wie es beispielsweise Paul Celan in seiner berühmten Ansprache zur Entgegennahme des Literaturpreises der Stadt Bremen beschreibt: „Sie musste hindurchgehen durch ihre eigenen Antwortlosigkeiten, hindurchgehen durch furchtbares Verstummen, hindurchgehen durch die tausend Finsternisse todbringender Rede. Sie ging hindurch und gab keine Worte her für das, was geschah; aber sie ging durch dieses Geschehen. Ging hindurch und durfte wieder zutage treten, ‚angereichert‘ von all dem.“ Auch Imre Kertész hat in einer Rede auf diese Problematik verwiesen: „In seinen ‚Vermischten Bemerkungen‘ sagt Wittgenstein, daß man ‚manchmal einen Ausdruck aus der Sprache herausziehen, ihn zum Reinigen geben‘ muß, bevor man ihn wieder in Gebrauch nimmt.“

Aber welche Sprache benutzte der Nationalsozialismus ganz konkret? Welche Begriffe schuf er zu welchem Zweck? Und welchen Worten zwang er neue Bedeutungen auf, ohne die diese Worte heute nicht mehr benutzt werden können? Der Nationalsozialismus war geprägt von einem Wortschatz der Militarisierung, der Umdeutung „ziviler“ Worte in einen nationalsozialistischen Sprachgebrauch, wodurch Worte wie „ewig“ einen Bedeutungswandel erfuhren, der sich in Schriftzeugnissen wiederspiegelt.

Cornelia Schmitz-Berning hat Hunderte dieser Lexika, Wörterbücher, Akten, Tagebücher, Romane und mündliche Zeugnisse der Zeit bis 1945 durchgearbeitet und daraus ein Lexikon mit über 500 Einträgen zusammengestellt. Es beschreibt die Vorgeschichte der Begriffe, ihre Verwendung unter dem Nationalsozialismus und eben auch – wenn auch leider nicht immer – ihre Verwendung und Verbreitung in der heutigen Bundesrepublik. Dabei konzentriert sich Schmitz-Berning auf offensichtliche Begriffe wie „Blutschande“, „Konzentrationslager“ oder „Deutscher Gruß“. Begriffe wie das erwähnte „ewig“ bilden eher die Ausnahme.

Insgesamt bleiben die Kriterien zur Auswahl der Vokabeln etwas im Dunkeln, so sind einige wenige Worte der Alltagssprache wie „charakterlich“ oder „fanatisch“ vertreten, die meisten jedoch rekrutieren sich aus dem politischen Sprachgebrauch. Damit kann jedoch gerade die Dimension, die die Beschädigung der Sprache für die Überlebenden der Konzentrationslager hatte, nicht mit erfasst werden. Dies ist jedoch auch nicht Schmitz-Bernings Ziel und ist vermutlich auch nicht im Rahmen eines Lexikons zu leisten, sondern eher in literarischen Zeugnissen, wie jenen Hubert Fichtes oder Jean Amérys. Schmitz-Bernings Verdienst ist es, die vielen Quellen erschlossen und aufeinander bezogen zu haben. So kann die Begriffsgeschichte von der ersten Erwähnung eines Wortes, über die Bedeutungsverschiebungen durch den Nationalsozialismus der Jahre bis 1945 nachvollzogen werden. Das Buch ist eine wichtige Quelle für Historiker wie auch Sprach- und Literaturwissenschaftler, die sich mit der Zeit des Nationalsozialismus auseinandersetzen.

Titelbild

Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus. 2. Auflage.
De Gruyter, Berlin 2007.
717 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783110195491

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