Verrückt sind sie alle

Uwe Dursts Erstlingsroman "Die dunkle Herrlichkeit"

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Einmal ist vom "violetten Streicheln der Verrücktheit" die Rede - ein schönes Bild für das, was den Figuren in Uwe Dursts Debütroman "Die dunkle Herrlichkeit" widerfährt. Denn verrückt sind sie alle. Das gilt vor allem für die drei Ich-Erzähler, die nacheinander in drei Kapiteln zu Wort kommen. Nicht nur ihre Lebensläufe sind auf bizarre Weise miteinander verwoben; in der Erzählgegenwart werden sie alle drei zu Zeugen einer sich offenbar unaufhaltsam zuspitzenden mörderischen Situation.

Der erste von ihnen, der Rentner Georg Heppler, muss sich täglich die Vorwürfe seiner Mutter und seiner Schwester gefallen lassen, die ihm diese aus vergilbten Fotos heraus machen. Bis Heppler für Ruhe sorgt, indem er die Bilder an der Wand mit Nägeln spickt. Es gibt Gerüchte, er habe als Kind als einziger eine Familientragödie überlebt. Hepplers Vater, ein Restaurantbesitzer, soll seine Frau in flagranti mit dem Kellner erwischt und beide in rasender Eifersucht ermordet haben und die Tochter gleich mit. Angeblich war es der damals fünfjährige Sohn gewesen, der den Vater auf das rätselhafte Treiben der Mutter mit dem Kellner aufmerksam machte.

Eine zum Verwechseln ähnliche Tat überlebte aber, seltsamer Zufall, auch der Hausverwalter Georg Schroth. Nur dass sein Vater kein Restaurant, sondern eine Metzgerei besaß; mit seinem blutigen Fleischermesser verfolgt er Schroth noch heute bis in seine Träume. Zu Beginn des Romans besucht der Hausverwalter den Rentner, um einmal in dessen Wohnung nach dem Rechten zu sehen. Hat sich doch die Nachbarin Kathrin Poignard über das dauernde Geschrei und Gekeife in Hepplers Wohnung beschwert.

Georg Schroth hatte schon als Kind seine Freude daran, Insekten zu quälen. Seit kurzem hat der menschenscheue Sadist in Kathrin Poignard, dem dritten Ich des Romans, sein Gegenstück gefunden. Die Ehefrau und Mutter zweier Kinder weiß, dass sie durch und durch verdorben ist und daher von Gott höchstpersönlich auf Schritt und Tritt beobachtet wird. Sie selbst beobachtete schon als Kind ihre Eltern beim Sex und durchstach sich, um sich selbst zu bestrafen, anschließend Schamlippen und Brustwarzen.

Wenn ihr nun ihr Geliebter Schroth zärtlich Blutergüsse verschafft - denn "die Untreue stellt geradezu die Regel dar im Zusammenleben von Mann und Frau" -, hat dieser beim, nun ja, Liebesspiel nur vor einem Angst, nämlich einmal von einem ihrer Kinder beim Ehebruch beobachtet und verraten zu werden. Dabei traut man Kathrins Gatten, einem hypochondrischen Buchhalter einer Strumpffabrik, einen Mord aus Eifersucht am allerwenigsten zu. Eher schon dem Lebensmittelhändler Knef von gegenüber, dessen Frau, wie alle drei Erzähler wissen und von ihren Fenstern aus interessiert verfolgen, täglich den Gehilfen zu sich ruft und ihn mit Rufen wie "Mein Hengst!" zu Höchstleistungen anspornt.

Aber sind das überhaupt verschiedene Figuren oder nicht doch die umeinander kreisenden Elemente einer multiplen Persönlichkeit? Die an einem Mord, den sie einst begangen, beobachtet oder überlebt hat, hoffnungslos zersplittert ist wie die Porzellandose von Herrn Poignards Mutter, die er Abend für Abend mit Klebstoff und Pinsel wieder zusammenzusetzen versucht? Zu ähnlich scheinen sich die Figuren und ihre Wahrnehmungen. Jeder der drei Erzähler kennt die wimmelnden Wesen, die sich im Blumenmuster der Tapeten verstecken, und die Mottenschwärme, die sich in der Brutwärme der stets stickigen Räume vermehren. Sieht überscharf abstoßende körperliche Details von Angehörigen wie schlechte Zähne oder die schwarzen Haare auf den Handrücken von Männerhänden. Und erblickte schon als Kind Gesichter, die ihn aus den Bundfalten einer Hose oder der Rinde eines Baumes drohend ansahen.

Uwe Durst promovierte 1999 mit einer viel beachteten "Theorie der phantastischen Literatur". Nach ihr balanciert die literarische Fantastik im Unterschied zur Fantasy à la Tolkien unentscheidbar zwischen der Anerkennung des Wunderbaren und seiner rationalen Erklärung. Diese Einsicht in die literarische Praxis umzusetzen, gelingt dem in Stuttgart lebenden Autor zwar. Der wohlige Schauder, wie man ihn von der Lektüre der Werke Edgar Allan Poes oder Leo Perutz' kennt, will sich aber nicht einstellen, zu abstrus und zu konstruiert wirkt dieser Plot. "Die dunkle Herrlichkeit" ist nur ein mäßig amüsantes Spiel mit dem Bedeutungswahn der Literatur und die Lektüre ein ebenso delikates Vergnügen wie der Geschmack von Schuppen, die sich Dursts Figuren gern vom Kopf kratzen und verspeisen.


Titelbild

Uwe Durst: Die dunkle Herrlichkeit. Roman.
Mitteldeutscher Verlag, Halle 2007.
128 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783898124317

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