Eichendorffs politische Theologie

Reinhard Siegerts Traktat zur Staatsidee in den politischen Arbeiten des Romantikers

Von Jochen StrobelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jochen Strobel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auch im Gedenkjahr 2007 hat sich nicht unbedingt herumgesprochen, dass Eichendorff hauptberuflich nicht freier Autor oder wenigstens adeliger Gutsbesitzer, sondern, wie langweilig, preußischer Beamter war. Und seine Karriere verlief keineswegs nach dem Geschmack des Eichendorff-Lesers: ganz im Gegensatz zur bekanntesten der von ihm erfundenen Gestalten, dem Taugenichts, wurde es ihm zeitlebens nicht leicht gemacht, bekam er nie die ersehnte Ratsstelle, sondern diente immer wieder als "Hilfsarbeiter", wurde man bei der Zuweisung beruflicher Aufgaben nur selten seinen Fähigkeiten oder gar seinen Interessen gerecht.

Der Jurist Reinhard Siegert nimmt sich nun Eichendorffs verstreuter, vor allem im dienstlichen Zusammenhang entstandener politischer Texte an und rekonstruiert ihre Prätexte - der durchweg gebrauchte Begriff des politischen "Essays" ist dabei nicht korrekt. Siegert signalisiert mit seinem Buch ein gewachsenes Interesse der Rechts- und Verfassungsgeschichte an der seit Carl Schmitts Zeiten wenig geschätzten Politischen Romantik.

Drei persönliche Voraussetzungen macht der Verfasser für die untersuchten Texte aus: Eichendorffs gründliche und mit einem Prädikatsexamen abgeschlossene juristische Ausbildung, die jahrzehntelange Berufstätigkeit als preußischer Beamter in Danzig, Königsberg und vor allem in Berliner Ministerien sowie seine Erfahrungen als Mitglied eines verarmenden schlesischen Adelsgeschlechts. Der politische Eichendorff wurde sehr stark durch den romantischen Staatstheoretiker Adam Müller beeinflusst; dies streicht Siegert deutlicher heraus als frühere Arbeiten zum Thema. Wie Müller in seinem Hauptwerk, den "Elementen der Staatskunst", und andere Romantiker vor und nach ihm richtet Eichendorff sein Staatsdenken am christlichen Ständestaat aus und verharrt dabei in einem vormodernen Rechtsverständnis, wenn er etwa individualrechtliche Positionen ebenso ablehnt wie eine geschriebene Konstitution. Eine 'Verfassung' ist für Eichendorff wie für Adam Müller ein historisch gewachsener Zustand, in dem der Adel einen unverbrüchlichen Stellenwert besitzt. Es griffe freilich zu kurz, das politische Denken der Romantik generell mit dem bei Novalis noch spekulativ, erst beim späten Friedrich Schlegel strikt politisch ausgerichteten Organizismus des Ständestaats rückhaltlos zu identifizieren. Die Revolutionsfreudigkeit der Frühromantiker blendet Siegert zu Unrecht aus.

Von Eichendorff aber darf der Leser sich kaum etwas Progressives erhoffen: Eine Verfassung für Preußen lehnte er ab, lediglich unter dem Einfluss seines Mentors und Vorgesetzten Theodor von Schön, so Siegert, anerkannte er den Erfolg der Stein-Hardenberg'schen Reformen. In mehreren Schriften sprach er sich gegen die Pressefreiheit aus, zudem bewarb er sich, unter Hinweis auf seine Kenntnisse des aktuellen Literaturbetriebs, um eine Stelle beim preußischen Oberzensurkollegium.

Dass Eichendorffs kritischere Auseinandersetzung mit dem restaurativen Staat auf dem ebenfalls glatten Parkett der literarischen Satire in Texten wie "Krieg den Philistern" oder - nur für die Schublade verfasst - "Libertas und ihre Freier" durchaus auch stattfand, erwähnt Siegert nur am Rande. Seine Domäne sind juristische Texte.

Siegert mag als erster das gesamte Material akribisch und schlüssig geordnet und dargestellt, Eichendorffs politische Schriften in rechts- und staatswissenschaftliche Kontexte eingerückt haben. Seine Argumentation stützt sich jedoch insgesamt vielfach auf Bekanntes. Hans Pörnbacher, Alfred Riemen und Wolfgang Frühwald wiesen auf vieles schon vor Jahrzehnten hin, was Siegert zusammenführt. Seine Schlussfolgerung hätte er bei Jutta Osinski nachlesen können: Eichendorffs politische Theologie, also die dezidiert theologische Verankerung der von ihm bruchstückhaft ausgeführten staatlichen Ordnung, weist, entstanden im überwiegend protestantischen Preußen, auf die katholische Bewegung des 19. Jahrhunderts voraus - sie ist zumindest in diesem Sinn also etwas wie die Avantgarde eines neuen Konfessionalismus.


Titelbild

Reinhard Siegert: Die Staatsidee Joseph von Eichendorffs und ihre geistigen Grundlagen. Zur Rechts- und Staatsphilosophie der späten Romantik.
Schöningh Verlag, Paderborn 2007.
296 Seiten, 35,00 EUR.
ISBN-13: 9783506763938

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