Frauenhasser

Marek Fialek über die Berliner Künstlerbohème der Weinstube "Zum Schwarzen Ferkel"

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Absicht, "ahnungslose Bürger in Verlegenheit zu bringen" und sie "zu entrüsten", war geradezu "[c]harakteristisch" für die "unverschämte Lebensweise" der Stammgäste jener schummrigen Kneipe mit dem, wie man mutmaßen könnte, sprechenden Namen "Schwarzes Ferkel". Denn das geradezu "krampfhafte Streben" der jungen Leute, die sich "weit jenseits aller gesellschaftlichen Integration und bürgerlichen Sozialität" bewegten und sich in der Berliner Pinte allabendlich Alkoholexzessen hingaben, zielte darauf, sich unter allen Umständen "von den normalen, durchschnittlichen Menschen zu unterscheiden". Dafür stand nicht nur "die Sonderbarkeit ihrer Kleidung, ihrer Haartracht" sondern auch ihre "ungenierte und paradoxe Ausdrucksweise", ihre "überspitzten, aggressiv formulierten Ideen" und nicht zuletzt ihre "Unanständigkeiten". Auch hatten sie kein rechtes Verhältnis zu "Besitz und Erwerb". Vielmehr basierte ihre Existenz auf "Schulden und fast erbetteltem Geld" sowie der "Fähigkeit zur Reduktion der Bedürfnisse". "Geldbettelei ohne Peinlichkeit", galt ihnen geradezu als "milieugerechtes Verhalten".

Marek Fialek, aus dessen jüngstem Buch hier zitiert wird, beschreibt nicht etwa eine Gruppe Punks, die um 1980 in einer der damals zahlreichen Berliner Anarchokneipen keiner Zukunft entgegensahen, sondern die Angehörigen einer Künstler- und Literatengruppe, die fast ein ganzes Jahrhundert zuvor das Berliner Bürgertum verschreckte: den nach ihrer Stammkneipe benannten Ferkel-Kreis, dem so bekannte Männer wie der schreibende Frauenfeind August Strindberg und der Maler Edvard Munch angehörten. Auch die heute weniger bekannten Autoren Richard Dehmel und der Pole Stanislaw Przybyszewski zählten dazu.

Aber waren es wirklich nur Männer? Ja, zunächst gehörten tatsächlich ausschließlich Männer dem Zirkel an, denn es dauerte einige Jahre, bis die Herren sich schweren Herzens entschlossen, auch einigen Angehörigen des weiblichen Geschlechts den Zutritt zu ihrem erlauchten Kreis im "Schwarzen Ferkel" zu gestatten. So erlangten - wenn auch nur als 'Musen' - neben der Schriftstellerin Laura Marholm Gabriele Tavaststjerna und die Norwegerin Dagny Juel Einlass in die Gaststätte.

Damit war das Schicksal der Künstlergruppe besiegelt. Zumindest, wenn man Fialek Glauben schenkt. Erklärt er doch, dass an dem Tag, an dem die "junge emanzipierte Norwegerin Dagny Juel" die Kneipe erstmals betrat, der "eigentlich[e] der Zerfall der Gruppe" begonnen habe. Denn die Männer des Ferkel-Kreises seien fast ausnahmslos in die zwar "huldreich lächel[nde]" doch "hoch thronende Herrin" und "Königin der Bohème" verliebt gewesen, in der die Herren ganz gemäß den gängigen Männerphantasien der Zeit "eine Symbiose aus den Bildern der femme fragile, femme fatale, des Vamp und der Kurtisane" sahen. Ein "historisches Bild dieser Frau" lasse sich jedoch "kaum herstellen", meint Fialek. Seit gut zehn Jahren liegt aber immerhin ein, von ihm allerdings kaum erwähnter, Versuch vor: 1995 veröffentlichte Thaddeus Wittlin unter dem Titel "Eine Klage für Dagny" eine Biografie der norwegischen Autorin.

Da der Ferkel-Kreis, wie man sich denken kann, keine Protokolle über seine ausschweifenden Gelagen nicht unähnlichen Zusammenkünfte verfertigte, greift Fialek vor allem auf Briefe, Memoiren sowie autobiografische und Schlüsselromane zurück. Sonderlich quellenkritisch zeigt er sich dabei nicht.

Zwar betont er eingangs, die Mitglieder des Ferkel-Kreises seien "nicht als separate Künstler-Genies zu verstehen", sondern als "ein in vielfältigen Verflechtungen stehendes Ganzes", richtet sein Augenmerk dann aber doch ganz überwiegend auf einzelne Personen, namentlich auf Dehmel, Munch, Strindberg, den "unbestrittene[n] geistige Führer des Kreises", und auf dessen "graue Eminenz" Przybyszewski, wobei er letzterem gleich mehrere Abschnitte und die bei weitem umfangreichsten Ausführungen widmet. Weitere Kapitel gelten Friedrich Nietzsche, den der Kreis "entdeckt" und "zum Weltruhm verholfen" habe, sowie der Kunstzeitschrift "Pan", "die dem Schwarzen Ferkel ihre Entstehung verdankt". Genauer gesagt, geht sie auf die Initiative Dagny Juels zurück, die sie nicht nur anregte, sondern ihr auch den Namen gab. Hier, wie auch überhaupt wird Juels Rolle von Fialek etwas unterbelichtet dargestellt und beschränkt sich vor allem auf die der femme fatale.

Als Grund hierfür könnte man vermuten, dass der Autor die Frauenverachtung seiner männlichen Probanten teilt, bis zu einem gewissen Grad zumindest. So konstatiert er zwar, Strindberg sei "durch und durch absolutistisch, dogmatisch" gewesen und verschweigt auch dessen "bis zum Zynismus gehässige Angriffe auf die Frau" nicht, doch kann man in den ihm gewidmeten Abschnitten nichts anderes als eine Apologie des Misogyn sehen, der Fialek zufolge "eigentlich kein echter Frauenhasser" gewesen ist. "Im Gegenteil", meint der Autor, "Strindberg hat die Frauen leidenschaftlich geliebt."

Als Beleg führt er dessen Liebesbriefe an, von denen Fialek meint, dass sie "zu den schönsten des 19. Jahrhunderts gehören". Schon alleine wie Strindberg seine Geliebten in den Briefen anredete - "Liebes Fräulein und Freundin; Liebes; Liebes Mädchen; Liebes Teures Kind; Liebe kleine Gattin; Liebes Kind" zeige, "dass hier vom echten, dauerhaften und programmatischen Hass nicht die Rede sein kann". Tatsächlich sind diese Anreden umgekehrt geradezu ein Hinweis auf Strindbergs Frauenverachtung, verniedlicht und verkindlicht er seine Gattinnen und Geliebten doch und verdeutlicht so, dass er in ihnen durchaus keine gleichrangigen Wesen sieht.

Des Weiteren führt Fialek ins Feld, dass Strindberg dreimal verheiratet gewesen ist und eine vierte Ehe "nur durch die zweimalige Weigerung der jungen Fanny Falkner verhütet" wurde. "Wenn ein Mann viermal um Frauen wirbt", schließt er messerscharf, "ist eher unwahrscheinlich, dass er ein Frauenhasser ist".

Schließlich und endlich finde man in Strindbergs Büchern zudem "Stellen, die garantiert kein Frauenhasser geschrieben haben kann". Selbstverständlich ist Fialek um ein einschlägiges Beispiel nicht verlegen: "Sie lag ausgestreckt in ihrem ungeordneten Bett mit ihrem schönen Köpfchen tief in den weißen Kissen, auf deren Bezug ihre blonden Haarsträhnen sich wie Weizenähren ringelten, das feine Leinenhemd war von Schultern [sic] herabgeglitten und ihre jungen Brüste schimmerten durch seine Spitzen; ihr schlanker, gut gewachsener Körper hob sich unter der weichen Bettdecke [...] der Fuß lag bloß, ein kleiner vollkommener Fuß mit hohem Spann; als ein wahres und vollkommenes Meisterwerk, aus menschlichem Fleisch nach einem antiken Marmorbild geschaffen, so erschien mir meine Frau." Es fällt schwer zu glauben, dass all diese Belege ernst gemeint sein sollen. Sind sie aber offenbar.

Oft referiert Fialek Strindbergs übelste Sexismen, ohne die geringste kritische Distanz erkennen zu lassen. Auch wird nicht immer deutlich, wo er dessen grause Gedanken zum Geschlechterverhältnis bloß referiert und wo er sie sich zu eigen macht. Gelegentlich schlägt sich Fialek sogar ebenso unverhohlen wie vorbehaltlos auf die Seite des zur Recht berüchtigten Frauenhassers und erklärt, im zweiten Band seiner "Ehegeschichten" habe Strindberg "die Rechte des Mannes als Familienversorger gegen die Frauen [verteidigt], die nicht mehr daran denken, ihre ehelichen Pflichten zu erfüllen, aber immer neue Vergünstigungen erwarten." Schließlich habe Strindberg nur an seine Leserinnen "appellieren" wollen, "ihre natürliche Bestimmung als Ehefrau und Mutter nicht aufzugeben".

Gelegentlich lässt der Autor auch seiner eigenen Frauenverachtung freien Lauf: Denn Schuld an Strindbergs Misogynität sind ihm zufolge die Frauen selbst: "Dieses Verhalten der Frau, ihre unausgelebte Sexualität, ihr Drang dem Mann zu schaden, kann letztlich nur zu der von Strindberg zum Dogma hinaufgeschraubten Feindschaft der Geschlechter führen."

Ebenso wie Strindberg lobt der Autor die andere der beiden "[h]ervorragende Gestalten" des Kreises, Przybyszewski, für ihr literarisches Schaffen, das zumindest im Falle des polnischen Autors so hervorragend gar nicht ist. So ist Przybyszewski heute auch durchaus zurecht "in Deutschland so gut wie vergessen". Seinerzeit aber wurde er in Kreisen der Berliner Bohème weit überschätzt. Ein Fehlurteil, das der Autor der vorliegenden Studie teilt. Um Przybyszewskis Renommee zu heben, beruft Fialek sich gerne auf anerkannte Literaturwissenschaftler. Walter Fähnders etwa sehe in Przybyszewski einen "legitimen König der Berliner Bohème". Als Beleg folgt ein Zitat des Expressionismusexperten: "Seinen Ruhm verdankte Przybyszewski zu einem guten Teil seiner Persönlichkeit - der legitimste 'König der Bohème' [...] übertraf offenbar noch die anti-bürgerlichen Erwartungshorizonte der Bohème an Geselligkeit, Originalität und Exzentrik in Habitus, Denken und Rausch." Die Anführungszeichen innerhalb des Zitates deuten bereits darauf hin, dass Fähnders mit dem Wort "König der Bohème" selbst einen Dritten zitiert. Und tatsächlich: Schlägt man in Fähnders von Fialek zwar zitierter, aber nicht ins Literaturverzeichnis aufgenommener Publikation nach, so erfährt man, was der Autor der vorliegenden Studie unterschlägt. Denn Fähnders nennt Przybyszewski keineswegs selbst den legitimsten König der Berliner Bohème, sondern zitiert Julius Bab, der seinerseits wiederum einen damals im Ferkel-Kreis gängigen Topos aufgriff. All das macht deutlich, dass Fialek den polnischen Schriftsteller in möglichst glänzendem Licht darstellen möchte. So trägt er denn auch überhaupt vorwiegend positive Stimmen zu dem sich als Satanist gerierenden Autor zusammen.

Was nun dessen "Umgang mit Frauen" betrifft, so steht er dem Misogyn Strindberg keineswegs nach. Fialek berichtet, dass Przybyszewski seine Geliebten "ausnutzte und später fallen ließ und schlimmer noch, deren Existenz und Wirkung verleugnet[e]". Tatsächlich zeugte Przybyszewski mit der kaum zwanzigjährigen Marta Foerder zwei Kinder und schwängerte sie ein drittes Mal, als er bereits mit Dagny Juel verheiratet war. Während dieser dritten Schwangerschaft starb die junge Frau. Zwar verschweigt Fialek nicht, dass Przybyszewski "ihr den Tod [ge]wünscht [hatte]", erklärt jedoch sogleich, bei der Obduktion der Leiche habe sich herausgestellt, dass "eine Blutvergiftung infolge einer illegalen Abtreibung" die Todesursache gewesen sei. Von ihm nicht näher genannte "Materialien im Potsdamer Staatsarchiv haben die Ansicht von Martas Selbstmord widerlegt", versichert Fialek weiter. So sei Przybyszewski, der verdächtigt worden war, "den Selbstmord verursacht oder dabei geholfen zu haben", nach einer kurzen Festnahme schnell wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Auch hier unterschlägt der Autor einiges. Wittlin, der allerdings ebenfalls nicht sonderlich belegfreudige Biograf Dagny Juels, berichtet ausführlicher: "Marta hatte das Badefaß in ihr Zimmer geholt. Es war voll Wasser, und darin lag Marta. Sie war tot, aber nicht ertrunken. Auf dem Fußboden in der Nähe der Wanne fanden sie [ihre Mitbewohner, Przybyszewski Halbbruder und dessen Frau, R.L.] eine leere Flasche, die Gift gegen Ungeziefer enthalten hatte." Diese Flasche, so insinuiert Wittlin, habe Przybyszewski, einige Zeit zuvor in Foerders Zimmer deponiert, damit sie es bei Gelegenheit schlucke. Um dies zu befördern, habe er sich in den Tagen vor ihrem Suizid immer wieder auf das heftigste mit ihr gestritten.

Nicht nur Marta Foerder kommt zu Tode, sondern einige Jahre später auch Dagny Juel. Und wiederum scheint Przybyszewski seine Hand im Spiel zu haben. Da schreib man allerdings schon das Jahr 1901 und die Zeit des Ferkel-Kreises war seit einem halben Dezennium passé. Mag sein, dass man bei Fialek darum wenig über Juels Tod erfährt. Bei Wittlin lässt sich jedoch nachlesen, dass sie von einem der beiden sich "Kinder Satans" nennenden Schüler Przybyszewskis erschossen wurde. Der Mörder beging (wie zuvor bereits Przybyszewskis anderer Schüler) nach der Tat Selbstmord. Juels Biograf Wittlin vermutet, dass Mord und Selbstmorde auf Veranlassung Przybyszewskis erfolgten. Wie dem auch sei, Przybyszewski selbst machte nach dem Verbrechen keinen Hehl aus seiner Freude: "Für mich bedeutet dieser Vorfall im wahrsten Sinne des Wortes den Beginn eines neuen Lebens und einen unglaublichen Sprung vorwärts für all meine kreative Kraft".

Nicht viel freundlicher ist das Gedicht, dass Dehmel seiner zu Ferkel-Zeiten erkrankten Frau widmete: "Meine Frau ist krank, sie / Wird wohl bald sterben; / Dann kann ich lachen, dann werd' ich was erben."

Zu dieser im Ferkel-Kreis allgegenwärtigen und beim Autor mehr als nur aufflackernden Frauenfeindlichkeit gesellen sich bei letzterem wie auch sonst so oft schon mal antisemitische Töne. So zitiert Fialek zur Charakterisierung Maximilian Hardenbergs eine Suada von Max Halbe, der Hardenberg 1942 einen "jüdische[n] Pamphletist[en]" schimpfte, dessen Publikationen "in einem überladenen, verkrampften, verschachtelten, extravaganten Stil geschrieben [seien], der mit seinem Ballast oft nur angelesenen und unverdauten Wissenschaftsstoffes besonders die halbgebildeten Leser, also die große Mehrzahl, mächtig verblüffte und in die Knie zwang". Und dann legt der Autor selbst nach: Hardenberg habe "mit fern liegenden Eingängen, gesuchten Zitaten, bedenklichen Anspielungen [ge]prunkt" und sei der "Sucht" erlegen, "der Menge durch billigen Widerspruch und bequeme Paradoxie zu imponieren. Persönliche Verbitterung kam noch hinzu."


Titelbild

Marek Fialek: Die Berliner Künstlerbohème aus dem "Schwarzen Ferkel". Dargestellt anhand von Briefen, Erinnerungen und autobiographischen Romanen ihrer Mitglieder und Freunde.
Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2007.
388 Seiten, 78,00 EUR.
ISBN-13: 9783830029960

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