Maritimer Nachhilfeunterricht

Bernhard Kegel bricht eine Lanze für die Tiefseefauna

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wir wissen wenig von dem, was einige Meilen unter dem Meeresspiegel vor sich geht. Woher auch, kommt doch niemand wirklich dorthin, und so bleibt es der Fantasie vorbehalten, sich und uns ein einigermaßen treffendes oder aufregendes Bild davon zu machen. Und selbst wissenschaftliche Spekulation ist am Ende wenig mehr als Fantasie, angereichert mit einigen Basisinformationen und -annahmen, die eben auch nicht allzu weit tragen.

Dass das Meer dem Menschen freundlich gesonnen ist, kann man kaum sagen, so gern sich die Landbewohner doch an seinem Rand aufhalten, in die Ferne hinausblicken oder in Ufernähe herumplanschen. Andererseits beruht solche Unfreundlichkeit auf Gegenseitigkeit, wenn wir den Debatten über Ölpesten, Walfangverbote und Fischfangquoten Rechnung tragen.

Ein vielleicht riskanter Konfliktkurs der Gattung Mensch, die sich nicht im Klaren zu sein scheint, dass ihr Lebensraum nicht der dominante auf der Erde ist. Denn dass der Planet, auf dem wir leben, der blaue sei, ist jedem Science-Fiction-Fan ein vertrautes Bild, ansonsten gehört solche Rede in die Topologie von Greenpeace-Broschüren und Politiker-Sonntagsreden. Die meisten wissen davon eben auch nur aus der Zeitung, dem Magazin (bevorzugt neuerdings "mare") und dem Sachbuch.

Seit Frank Schätzings "Der Schwarm" ist der Ökothriller hinzugekommen, der zudem auf eine unerschöpfliches Reservoir von Mythen und Seeräuberpistolen zurückgreifen kann, zum Beispiel: Riesenkrake zieht Schiff mit Mann und Maus in die Tiefe. Kombiniert mit den üblichen Machtmissbrauchstories, hat sich Schätzing in die vordere Reihe der Thriller-Fabrikanten geschossen. Nun lösen auch andere Autoren und Verlage dieses Ticket - und wer wäre dafür besser geeignet als der Marebuchverlag, der sich nun einmal voll und ganz dem Meer und allem, was darauf und darin herumschwimmt, verschrieben hat. Mit einigermaßen gutem Erfolg, scheint es.

Mit Bernhard Kegels Roman "Der Rote" scheint Mare nun an Schätzings Erfolg anknüpfen zu wollen. Aufmachung, Ankündigung und Beginn erinnern denn an das Grundmuster, dessen sich Schätzing bedient hat: Das Meer ist tief und abgründig, niemand weiß, was darin vor sich geht, und wir können froh sein, wenn es sich nicht dazu hinreißen lässt, uns gelegentlich ganz heftig mitzuteilen, wer eigentlich auf diesem Planeten das Sagen hat - die paar lästigen Landbewohner jedenfalls nicht. Wenn es darauf ankommt, dann sind es ganz andere Wesen, von denen wir heute nicht einmal wissen, dass es sie gibt. Sie müssen ja nicht unbedingt intelligent sein, Hauptsache sie sind zahlreich, kräftig und einigermaßen zäh. Wer allerdings unter den Bedingungen der Tiefsee überlebt, wird solche Bedingungen wohl erfüllen, auch wenn ihm solche Nebensächlichkeiten wie grelles Licht, geringer Druck und Temperaturen über dem Gefrierpunkt vielleicht doch zu schaffen machen. Bagatellen, wie gesagt.

Kegel wähl einen bekannten Einstieg: Deutscher Universitätszoologe (Uni Kiel) in Trauer (Frau vor kurzem verstorben) treibt sich in Neuseeland herum und gönnt sich einen Ausflug mit einem whale watcher Boot. Der Außenseiter Mitte fünfzig, dessen Leben ein wenig aus den Fugen geraten ist, muss dabei freilich miterleben, wie der harmlose touristische Ausflug von einer gigantischen Seewelle Marke Tsunami überrollt wird und beinahe in einer Katastrophe endet. Aber er überlebt, merkt sich allerhand Denkwürdigkeiten (das Sediment im Wasser, die zahllosen Tiefseebewohner, die normalerweise an der Oberfläche nichts zu suchen haben, einen verwundeten Jungwal, der kurze Zeit später am Strand verendet). Zurück an Land findet er an einem überschwemmten Strand diese diversen Tiefseebewohner vor, alle aus der Klasse der Tintenfische, um es salopp zu sagen: Acht- und Zehnfüßler, und nichts davon gehört an einen neuseeländischen Strand.

Der Zoologe ist über die absterbenden Zellhaufen mit Hornkiefer und Fangarmen hellauf begeistert und macht sich an das mehrtägige Werk, alles, was noch einigermaßen seine Lebendform behalten hat, in Gefäße zu packen und zu konservieren: für die Wissenschaft (alles ungesehene Arten), für die Nachwelt und zum Wohle der Sepia.

Das idyllische Zoologendasein wird allerdings durch die örtliche Polizei, ein gigantisches Kraken-Exemplar (das Wale und Delfine anfällt) und die einfallenden Massenmedien gestört. Das ganze Spektakel hat nur ein Ziel: Die Riesenkrake einzufangen und auszustellen. Ein Medienereignis der ganz großen Sorte, bei dem es dann egal ist, was mit dem seltenen Exemplar geschieht. Der Zoologe und seine neue Freundin Barbara ergreifen denn auch die Initiative und befreien die Riesenkrake - Punkt und Ende.

Es ist festzuhalten, dass Kegel weit weg ist vom Thriller- und Weltuntergangsszenario Schätzings. Nicht der Untergang der Welt, sondern der Umgang mit seltenen Tieren steht hier zur Debatte. Zwar deutet anfangs alles auf ein Schätzing-Szenario hin (die Anfangskatastrophe, der gestrandete Wal, der getötete Delphin, die rote Krake, die sich in der Bucht versteckt, ein verschwundener Taucher) - aber Kegel lässt diese Entwicklungslinie aus und beschränkt sich auf die kleine Katastrophe und den zivilen Ungehorsam eines Mittfünfzigers mit abseitigem Spezialgebiet. So bleibt am Ende eine umfassende Belehrungstour durch die Tiefseewelt, in der Acht- und Zehnfüßler neben Walen und anderen ihr Wesen treiben und von der außer ein paar Spezialisten keiner wirklich etwas weiß. Dem wird auch jetzt nicht endgültig Abhilfe geschaffen. Immerhin liegt hier ein Roman um einen Zoologen in der Lebenskrise vor. Aber die Tiefseetour hat ihre Reize - die freilich nicht jeden dazu bringen wird, sofort das whale watchen bleiben zu lassen und sich auf den Glibber der Tiefsee zu stürzen. Tiefseezoologen-Nachwuchssorgen sind nun einmal nichts, was mit einem Roman wirklich behoben werden könnte.


Titelbild

Bernhard Kegel: Der Rote.
Mare Verlag, Hamburg 2007.
542 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783866480674

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