Der Niedergang der Mafia

Gianrico Carofiglio schreibt an der Krimi-Geschichte der Mafia weiter

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit "Allein gegen die Mafia" ist die Rollenverteilung zwischen Strafverfolger und den Repräsentanten des organisierten Verbrechens einigermaßen klar: Die eine Seite versucht verzweifelt, gegen die Macht und den Einfluss der Mafia anzugehen und bezahlt dafür mit ihren Lieben und ihrem Leben, die andere Seite schreckt vor nichts zurück und bestraft alle die mit größter Grausamkeit, die es auch nur wagen, an ihrem Vorrang zu zweifeln, geschweige denn diesen zu brechen versuchen: Mitläufer, Komplizen, Zeugen, Passanten, Polizisten, Staatsanwälte und Journalisten. Die verzweifelten Versuche, die ehrenwerte Gesellschaft hinter ihrer Fassade zu entlarven, dienen freilich nicht nur dazu, die Vergeblichkeit allen Strebens nach Recht und Gesetz zu betonen, sondern haben auch den Effekt, den Kämpfenden in seiner unermesslichen Heroik auszuzeichnen. Ein wahrer Held, der eben auch sein Leben aufs Spiel setzt.

Gianrico Carofiglio nun demontiert dieses Muster. Seine Hauptfigur, der Strafverteidiger Guido Guerrieri, verteidigt einen angeblichen Drogenschmuggler, der behauptet, reingelegt worden zu sein. Von den Drogen, die in seinem Wagen bei der Wiedereinreise aus Montenegro gefunden wurden, weiß er angeblich nichts. Beim Verhör nach der Verhaftung habe er gestanden, um zu verhindern, dass auch seine Frau mit ins Gefängnis und sein Kind zu Fremden gegeben werden müsse.

Die Geschichte ist ein bisschen dünn und bekommt auch auf den folgenden 270 Seiten nicht wirklich mehr Substanz, denn auch Guerrieri als neuer Verteidiger deckt keinen anderen Verlauf auf, sondern es gelingt ihm nur, in der Revisionsverhandlung Zweifel vorzutragen, mit denen das wahrscheinliche Szenario (nach der der Verurteilte tatsächlich Drogenschmuggler ist) fraglich wird. Wo aber etwas zweifelhaft wird, ist der Freispruch nicht weit (zumal wenn hier der Verdacht auf "Mafia" lautet).

Nun hängen diese Zweifel in großem Maße daran, dass Guerrieri darauf verweisen kann, dass der Anwalt, der seinen Mandanten in der ersten Instanz vertreten hat, Kontakte zur Drogenmafia hat und in deren Auftrag den harmlosen Montenegro-Reisenden im Knast versenkt hat - woran die Leser keinen Zweifel haben, denn der alte Anwalt macht dem neuen ein Angebot, das er unter der Ägide von "Allein gegen die Mafia" oder des "Paten" keinesfalls hätte ablehnen können. Aber das tut er - und bleibt ungeschoren. Die Zeiten - und damit die Krimimuster - ändern sich.

So weit, so gut, ist also alles nicht mehr so schlimm in Bella Italia, auch nicht im schönen Bari, das an der Südostküste liegt und wo es ziemlich heiß ist im Sommer. Noch in der Jugend des heute 42-jährigen Guerrieri kommt es zu einem Mord an einem kommunistischen Jugendlichen. Er wird von einem Trupp neofaschistischer Jugendlicher wegen seines Parkas (= Linker) vertrimmt. Unter ihnen ist ein junger Mann, denn sie alle Fabio Raybàn nennen, weil er seine Sonnenbrille immer trägt, auch im Dunkeln. Auch das ist nichts Besonderes - gibt es nicht viele Pubertierende, die einmal in die Fänge einer solchen Horde geraten?

Nur dass Guido ewige Rache geschworen hat und heute noch mit Ingrimm an den Vorfall denkt, und es sich herausstellt, dass Fabio Raybàn und Fabio Paolicelli ein und dieselbe Person sind. Und Fabio ist jetzt Guidos Mandant.

Zeit der Rache also? Den Kerl für alle Zeit hinter Gitter bringen? Wir werden sehen. Dass Fabio mit einer wunderschönen und charmanten Italo-Japanerin namens Maria Natsu verheiratet ist und eine nicht minder wunderschöne Tochter hat, die beide sofort unerhörte Zuneigung zu dem schnell verknallten Guido fassen, könnte Teil des Racheplans sein. Ist es aber nicht, denn auch wenn die Frau mit Guido schläft (was niemanden, der lesen kann, überraschen wird), verteidigt er seinen alten Intimfeind (der sich zu keiner Zeit an sein früheres Opfer erinnert), äußerst effizient und paukt ihn raus. So gehen denn Fabio, Natsu und die kleine Anna Midori nach dem Freispruch quasi Hand in Hand in ihre güldene Zukunft (nicht ohne dass Natsu Guido noch einen letzten, echten Kuss gegeben hat). Der einsame Retter, der weich geworden ist, bleibt zurück in der Gewissheit, die richtige Frau zum falschen Zeitpunkt getroffen zu haben und geht mit einem Freund von der Polizei essen.

Beide Erzähllinien sind nicht besonders originell, weder die zahnlose Mafia noch die Liaison zwischen Anwalt und Frau des Opfers. Immerhin erzählt Carofiglio das Ganze ungemein witzig.

Guido gehört zu jenen zynischen Romantikern, die sich in der Öffentlichkeit hart und stark und abgebrüht geben, um ihr eigentlich weiches und formbares Inneres vor allen anderen zu verstecken. Dass seine Freundin ihn wegen eines Jobs verlässt, geht im nah, dass er keine Kinder hat ebenso. Dass er Fabio verteidigt, macht ihn wütend, dass ihn die Mafia kaufen will, natürlich auch. Stets lesen wir nicht nur das, was Guido sagt, sondern auch das, was er denkt. Und das ist so ungemein frotzelnd und frivol, dass Carofiglios Krimi äußerst vergnüglich zu lesen ist. Auch wenn man eingestehen muss, dass der deutsche Titel "Das Gesetz der Ehre" so dämlich ist, dass der dafür Verantwortliche eigentlich in die Krimi-Verlags-Hölle gehört (Abteilung "Geißelung deutscher Krimi-Titel-Übersetzer").


Titelbild

Gianrico Carofiglio: Das Gesetz der Ehre.
Übersetzt aus dem Italienischen von Claudia Schmitt.
Goldmann Verlag, München 2007.
272 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783442311644

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