Generation und Institution

Klaus Naumanns Bild der bundesdeutschen Generalität

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Einst waren Generale in Deutschland Prominente. Die Porträts der bekanntesten unter ihnen fanden sich als Sammelbildchen in Zigarettenschachteln oder gar auf Quartettspielkarten. Diese Zeiten sind, zum Glück, vergangen. Die hohen Offiziere der Bundeswehr sind in der Öffentlichkeit kaum präsent; auch eifrige Zeitungsleser könnten wohl nur mit Mühe zwei oder drei Namen nennen.

Wenn sich auch die Sozialwissenschaften der bundesdeutschen Generalität bislang nur wenig zugewendet haben, so leuchtet das zwar ein. Militärisches unterliegt weitgehend der Geheimhaltung, und die Chefs in diesem Bereich misstrauen wohl seit der Friedensbewegung und angesichts immer noch verbreiteter Skepsis in weiten Teilen der Bevölkerung gegenüber den Auslandseinsätzen allen Publikationen, die sie nicht selbst kontrollieren können. Zeithistoriker, die eine Mentalitätsgeschichte dieser Generalität schreiben möchten, sehen sich also einer Vielzahl von Hindernissen gegenüber - umso mehr, wenn sie, wie Klaus Naumann, beim Hamburger Institut für Sozialforschung arbeiten, das trotz aller seiner Tendenzen zum Staatstragenden immer noch mit der Wehrmachtsausstellung in Verbindung gebracht wird.

Naumann hat sich dennoch dieser wichtigen und lohnenden Aufgabe unterzogen. "Generale in der Demokratie" verspricht er im Haupttitel vorzustellen und benennt damit nicht nur das doppelte Spannungsverhältnis, das zwischen zivilen Politikern und den Fachleuten für Gewalt ohnehin herrscht: das zwischen gesellschaftlich notwendigem Kompromiss und der aus technokratischer Sicht optimalen Lösung wie auch das zwischen notwendiger militärischer Hierarchie und demokratischem Aushandeln. Für die Bundeswehr kommt insbesondere hinzu, dass sie mit dem Personal der NS-treuen Wehrmacht gegründet wurde und es aus zeitgenössischer Sicht ungewiss war, welcher Anteil an Nazi-Ideologie in die Folgeorganisation eingehen würde.

Benennt der Haupttitel der Studie die historischen Probleme, so verweist der Untertitel auf ein methodisches Problem. "Generationsgeschichtliche Studien zur Bundeswehrelite" bezeichnet einen Anspruch, den Naumann, wie zu zeigen sein wird, nicht einlösen kann. Er geht von der durchaus plausiblen Annahme aus, dass jede Generation spezifische Erfahrungen macht. Vorab zu konzedieren ist, dass dies im fraglichen Zeitraum für Offiziere im besonderen Maße gilt: Je nach Geburtsjahr lässt sich mit einiger Zuverlässigkeit benennen, ob die Individuen noch im Ersten Weltkrieg kämpften, ob sie in der Reichswehr, in den ersten Jahren der Wehrmacht oder in der Schlussphase des Zweiten Weltkriegs militärisch sozialisiert wurden, ob sie die Niederlage der Wehrmacht als Flak-Helfer oder als Kinder erlebten, ob sie als Zwischengeneration der Wehrpflicht entgingen oder zwangsweise ohnehin zur Bundeswehr kamen.

So scheint es sinnvoll zu sein, wenn Naumann diese Generationenerfahrungen der institutionellen Kontinuität des Militärs als diskontinuierlich entgegenstellt und das Verhältnis dieser beiden Faktoren untersucht. Dabei stützt er sich auf dreierlei: Auf die Gesprächsprotokolle von vier Offiziersgruppen im Rahmen eines Gruppenexperiments des Frankfurter Instituts für Sozialforschung 1950; auf zwischen 1951 und 1955 entstandene Aufzeichnungen des im amerikanischen Auftrag deutsche Gemütslagen erforschenden Hans Speier; und schließlich fünf nach Maßgaben qualitativer Gesprächsanalyse ausgewertete Interviews unter einer größeren Anzahl von Gesprächen, die Naumann selbst in den Jahren 2000 und 2001 führte.

Das Material ist erhellend - doch nicht unter generationsspezifischem Gesichtspunkt. Die Frankfurter Gespräche führen teils Ältere und Jüngere zusammen, teils relativ altershomogene Gruppen. Wo Ältere zahlreich vertreten sind, dominieren sie, wenig überraschend, die Szenerie - wo die Jüngeren in der Überzahl sind, können sie nicht nur mehr Gesprächsanteile erobern, sondern auch inhaltliche Markierungen setzen. Trotz vieler Mühen vermag Naumann indessen nicht zu zeigen, dass eine Generation anderen politische Maßstäben folge als die andere; für die Bundeswehr einige Jahre später gilt zudem, dass in der Praxis ohnehin die Jüngeren - das heißt hier: die von der Wehrmacht der Kriegszeit Geprägten - auf den mittleren Ebenen Ausbildung und Dienstablauf dominierten und damit das, was über die Wehrpflicht vom Militär in die Gesellschaft zurückwirkte.

Indessen erlauben auch Speiers Notizen wertvolle Einblicke in die Denkweise einer damals noch degradierten Elite, die bereits auf eine Neuverwendung zu hoffen beginnen konnte. Faszinierend ist, wie dies Prozesse sowohl der Solidarisierung wie auch der Entsolidarisierung förderte und Fragen der Ehre, von Speiers Gesprächspartnern emphatisch hochgehalten, da zur Verhandlungsmasse wurden, wo ein Mittun am sich allmählich festigenden neuen Staat opportun erschien. Die kritische Re-Lektüre durch Naumann erschließt wichtige Facetten des Materials, die in der früheren, am amerikanischen Interesse orientierten Auswertung unbeachtet blieben. So wird, den Frankfurter Annahmen entgegen, deutlich, dass der Wiederbewaffnung im Bündnis mit den USA nicht nur aus reaktionärer Perspektive widersprochen werden konnte. Speiers auftraggeberfixierte Anforderung, die Befragten sollten sich zwar künftigen bündnispolitischen Richtlinien unterwerfen, doch keinesfalls ohne Reflexion auf politisch-ethische Gesichtspunkte technokratisch nur Befehle ausführen, bedeutete für die befragten Offiziere einen Widerspruch, in dem sie nur verlieren konnten.

Naumann zeichnet sorgsam die Ambivalenzen solcher Gesprächskonstellationen heraus; diese Fähigkeit zur Differenzierung legitimiert seine Re-Lektüre schon ausgewerteter Gespräche, bringt ihn jedoch hinsichtlich einer generationenspezifischen Auswertung in Probleme. Nur unter erheblicher Reduktion der zuvor erreichten Komplexität kann er zuletzt die Äußerungen auf Sichtweisen je einer Generation beziehen. Unter denen, die den Krieg bewusst erlebt haben, sind andere soziale Prägungen wichtiger - das jedenfalls legt die große Bandbreite von Meinungen und Haltungen unter den um 1950 Jüngeren nahe. Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn im umfangreichsten Teil des Buches fünf der circa 2.000 geführten Interviews ausgewertet werden.

Der älteste unter den Vorgestellten ist ein Brigadegeneral der Luftwaffe, der, untypisch genug, in der Spätzeit der Weimarer Republik von der katholischen Jugendbewegung geprägt wurde, als Bundeswehroffizier selbstständiges Denken zu fördern versuchte, sich dabei keinem der bestimmenden Trends unterwarf und darum schon im Interviewtitel als "bekennender Außenseiter" vorgestellt wird. Ein viel jüngerer Generalleutnant tritt als der "Alte unter den Neuen" auf, weil er sich im Sinne der wehrmachtserfahrenen Vorgesetzten weitgehend durch eine Tradition definiert, die durch Härte und Gehorsam bestimmt ist. Was die "Neuen" dennoch ausmachen soll, zeigt Naumann weniger durch Äußerungen dieses Offiziers als durch kontrastierende Zitate, deren Repräsentativität zweifelhaft bleibt. Allein einen Generalmajor der Luftwaffe, der in seiner Haltung Flugbegeisterung und technokratischen Glauben an die Beherrschbarkeit nuklearer Abschreckung vereint, kann Naumann ungebrochen als Repräsentanten einer Generation vorstellen.

Die beiden anderen Beispiele fallen ohnehin aus jedem Schema. Naumann wertet Interviews mit zwei ehemaligen Generalinspekteuren der Bundeswehr aus. Wenig überraschend präsentiert sich Wolfgang Altenburg als Vertreter einer Rationalisierung und Liberalisierung, die der sozialliberalen Zeit, in die seine Karriere fällt, entspricht. Klaus D. Naumann, Generalinspekteur von 1991 bis 1996, präsentiert seinem Namensvetter eine Vita, die nicht mehr vom Zweiten Weltkrieg und kaum mehr vom Kalten Krieg geprägt ist, sondern in der Umstellung der Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee zu einer international präsenten Interventionsstreitmacht gipfelt.

Eine qualitativ operierende Gesprächsanalyse ist wichtig. Kaum etwas ödet mehr an als der Zahlenfetischismus von Leuten, die durch die Formulierung der Frage schon vorgeben, wer was ankreuzen wird. Allerdings lässt sich kaum eine für diese Methode ungeeignetere Gruppe vorstellen als die höchsten Repräsentanten der Bundeswehr, die qua Beruf darauf trainiert sind, strategische Vorgaben als sinnhaft zu vermitteln. Durchgehend, nicht nur bei den beiden ehemaligen Generalinspekteuren, vernachlässigt Naumann den performativen Aspekt, dass gerade ihm eine demokratisierte, wenigstens eine problemlose Bundeswehr dargestellt werden soll. In der methodischen Einleitung reflektiert er zwar noch, dass er als Repräsentant des Hamburger Instituts, das die Wehrmachtsausstellung organisiert hat, misstrauisch empfangen werde. Die Lebenserzählungen aber liest er auf immanente Stimmigkeit hin und zieht nicht in Betracht, dass er davon überzeugt werden solle, wie problemlos-demokratisch die Bundeswehr mittlerweile sei.

Wahrscheinlich ist die Bundeswehr deshalb viel schlimmer als sie hier erscheint - der Forscher galt mutmaßlich den meisten Erforschten als Gegner, der beschwichtigt werden sollte und konnte. Entsprechend einseitig sind die Akzente, die Naumann durch die Auswahl seiner Gespräche setzt: Neben den strategischen Planungen auf einer Führungsebene, die sogar der Mehrzahl der Generale nicht zugänglich war, ist der Frage der verschiedenen Atomkriegsstrategien und den Gewissensproblemen bei ihrer Umsetzung breiter Raum gewidmet. Die beiden Luftwaffengenerale wie auch Altenburg sind in ihrem Berufsweg durch den Umgang mit Nuklearwaffen geprägt.

Das war für die Bundeswehr bis 1989 tatsächlich eine zentrale strategische und auch ethische Frage: Wie kann man Abschreckung organisieren, und wie würde man sich verhalten, wenn sie gescheitert ist? Es ist dies aber gerade nicht die Frage, an der sich Kontinuitäten oder Brüche zu Wehrmacht und Zweitem Weltkrieg darstellen lassen, denn sie gehört spezifisch zum Zeitalter des möglichen Atomkriegs. Fragen der Menschenführung, von Befehl und Gehorsam, von Rücksicht auf Untergebene oder des Loblieds auf eine Härte, die noch niemandem geschadet habe, sind hier produktiver. Sie stellen sich vor allem bei Truppenkommandos, weniger in Planungsstäben; insofern ist die interviewte Personengruppe wenig geeignet, die Ausgangsfrage zu beantworten.

Kann deshalb das Verhältnis von generationellem Wandel und institutioneller Kontinuität auch nicht geklärt werden, so bleibt doch auch Verdienst der Studie, nützliches mentalitätsgeschichtliches Material vorgestellt zu haben. Naumann übertrifft in seiner Auswertung der Gespräche aus der frühen Nachkriegszeit das, was zeitgenössisch möglich war. Entsprechend wünschenswert wäre eine Zweitauswertung der Gespräche, die er ein Halbjahrhundert später geführt hat: nun aber nicht fixiert auf immanente Stimmigkeit, sondern auf performative Strategien, die den zurückhaltenden Frager für die je eigenen Zwecke gewinnen sollten.


Titelbild

Klaus Naumann (Hg.): Generale in der Demokratie. Generationsgeschichtliche Studien zur Bundeswehrelite.
Hamburger Edition, Hamburg 2007.
384 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783936096767

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