Feminist Studies go to Gender Studies?
Zwei neue Einführungen spiegeln den Streit um die richtige Etikettierung und die Heterogenität der Positionen innerhalb der Geschlechterforschung
Von Christine Kanz
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseNicht etwa "Einführung in die gender studies", sondern "Einführung in die feministische Theorie" haben Regina Becker-Schmidt und Gudrun Axeli-Knapp ihre gerade erschienene Studie betitelt. Damit bestimmen sie gleich zu Anfang ihre Position im neuen Streit um die richtige Etikettierung. Beide Autorinnen haben schon in der Frauenforschung der siebziger Jahre mitgewirkt, und vielleicht ist es deshalb für sie noch heute selbstverständlich, mit dem Adjektiv "feministisch" den politischen Impetus dieser wissenschaftlichen Strömung hervorzuheben und sie als "eine Form kritischer Theorie" kennzuzeichnen.
Entlang der Leitfrage, in welchem Verhältnis Analysen der sozialen Differenzen zwischen Männern und Frauen zu Analysen stehen, die sich auf die sozialen Differenzen unter Frauen konzentrieren, werden die historische Entwicklung sowie die systematischen Probleme feministischer Forschung und auch der gender studies in den Blick genommen. Die in allen Disziplinen und Ländern debattierten Positionen von Judith Butler und Donna Haraway oder Judith Lorber werden ebenso dargestellt und diskutiert wie die Standpunkte von z. B. Iris Young, Carol Hagemann-White oder Angelika Wetterer.
Der Fokus der Studie liegt dabei vor allem auf den Sozialwissenschaften. Dies führt unter anderem dazu, dass kulturwissenschaftliche Standardwerke wie die "Einführung in die feministische Literaturtheorie" von Lena Lindhoff oder die "Einführung in die feministische Literaturwissenschaft" von Jutta Osinski nicht einmal als Literaturhinweise auftauchen. Selbst der innerhalb der deutschsprachigen Genderforschung zum Handbuch avancierte Band "Genus. Zur Geschlechterdifferenz in den Kulturwissenschaften", der 1995 von der Sprachwissenschaftlerin Hadumod Bußmann und der Amerikanistin Renate Hof herausgegeben wurde, und der sämtliche gendertheoretischen Ansätze der kulturwissenschaftlichen Fächer präsentiert, bleibt unerwähnt. Ihren eingeschränkten Blickwinkel erklären die Verfasserinnen im Vorwort vor allem mit ihrer wissenschaftlichen Herkunft. Beide sind sie Professorinnen am Psychologischen Institut der Universität Hannover, beide haben sie ihre Schwerpunkte in der Sozialpsychologie und in der Soziologie der Geschlechterverhältnisse. Beide also interessiert das Geschlechterverhältnis vor allem als Gegenstand der Sozialwissenschaften, so dass Fragen wie die nach Symbolisierung oder Repräsentation von Geschlechterdifferenz eher am Rande verhandelt werden. Am interessantesten erscheint im Hinblick darauf das Kapitel über "Konstruktion und Dekonstruktion von Geschlecht" von Gudrun-Axeli Knapp, in dem die neueren Facetten der Sex-Gender-Debatte, insbesondere die dekonstruktiven Argumente Judith Butlers, ihre philosophisch-erkenntniskritische Pespektive und ihr sprachtheoretischer Bezugshorizont betont werden. Ein weiterer Schwerpunkt wird in diesem Kapitel auf die von der amerikanischen Wissenschaftsforscherin und Biologin Donna Haraway ausgelöste Debatte über die wissenschaftlich-technologisch angebahnte "Erosion fundamentaler Dualismen westlichen Denkens" gelegt. Sie lässt es notwendig erscheinen, das Verhältnis von Natur und Kultur, sex und gender neu zu formulieren. Dass es hier vor allem um die Auseinandersetzung mit sprachlich-diskursiven Formen und Verfahren geht, die die Geschlechter und ihre Beziehungen als kulturelle Konstrukte erscheinen lassen, löst spürbare Skepsis bei der Autorin aus. Ihr fehlt hier, dies klingt zwischen den Zeilen immer wieder durch, eine direkt gegenstandsbezogene Ausrichtung, die etwa der Frage Rechnung trägt, was warum so geworden ist, wie es ist. Konstruktive Praxen, so betont Knapp, führen zu einer Prozessualisierung des Geschlechtsbegriffs, die "die Frage nach dem Geschlecht aus dem Subjekt und seinem psychophysischen 'Frausein' oder 'Mannsein' herausverlagert und als interaktive und situationsspezifische Konstruktionspraxis betrachtet". Eine der negativen Folgen konstruktivistischer Analysen sei die Ausblendung "sozialer Ungleichheitslagen im Geschlechterverhältnis" und sozialstruktureller Auswirkungen des doing gender. Dazu kämen die normativen wie subjekttheoretischen Leerstellen, die Butlers performatives Konzept von Geschlechtsidentität berge. Knapp gesteht aber auch zu, dass es zahlreiche Missverständnisse sind, die zu einer auch unproduktiven Kritik an Butler geführt haben. Generell übersehen wird z. B. die Kontextgebundenheit ihrer Theorien im angloamerikanischen Raum, und hier in den schwul-lesbischen Emanzipationsbewegungen. Butlers Argumente sind in einer ästhetisch-experimentellen Campkultur zu verorten, in der es üblich ist, mit Geschlechtsbedeutungen zu spielen. Sie kann zudem auf eine ausdifferenzierte Tradition von cultural studies zurückblicken, in der die Frage nach der "politischen Wirkung kultureller Stile" breiten Raum einnimmt. Vor diesem Hintergrund ziele, so Knapp, Butlers Politik der Geschlechterparodie in den USA nicht in dem Maße in die Leere wie etwa in Deutschland, wo man damit nur wenig Konkretes verbinden könne. Sie betont auch, dass Butler eine Diskurstheoretikerin ist, der es um "Sprechakte und Repräsentation in der Sprache" geht. Empirische Rekonstruktionen von Wahrnehmungsformen und Geschlechterzuschreibungen oder die "Verwendung von 'Wissen' in Interaktionen" mit den Thesen Butlers verknüpfen zu wollen, beruhen daher auf Fehleinschätzungen, die zu unüberbrückbaren Diskrepanzen führen müssen. Dass es vor allem die queer studies sind, die auch in Deutschland produktiv an Butler anknüpfen konnten, findet bei Knapp nur am Rande Beachtung. Sie werden von ihr lediglich in einer Fußnote als "eine wissenschaftliche kulturelle Strömung in den USA" definiert, "die sich mit Fragen der kulturellen Produktion geschlechtlicher Normalität und Abweichung befasst und sich gegen die traditionellen Formen der Identitätspolitik sexueller Minoritäten wendet." Dass die queer studies sich mittlerweile auch schon in Deutschland etablieren konnten, etwa längst zu einem der Schwerpunkte im Münchner Graduiertenkolleg "Geschlechterdifferenz & Literatur" entwickelt und auch am Kulturwissenschaftlichen Seminar der Humboldt-Universität Berlin inzwischen einen festen Standort gefunden haben, scheint den Autorinnen entgangen zu sein.
Keine große Rolle spielen die queer studies auch in dem neuen Handbuch "Gender-Studien", das gerade von Inge Stephan und Christina von Braun herausgegeben worden ist. Die beiden Begründerinnen des ersten "Magisterteilstudiengangs Gender-Studien", der inzwischen immerhin 500 männliche und weibliche Studierende nach Berlin gezogen hat, präsentieren allerdings, gemäß dem Anspruch der gender studies auf Interdisziplinarität, sämtliche Fachdisziplinen, in denen die Geschlechter-Kategorie in den letzten Jahren forschungsrelevant geworden ist. Nach dem bereits bewährten Konzept des oben schon erwähnten "Genus"-Handbuchs von Bußmann und Hof lassen sie hier 17 namhafte Wissenschaftlerinnen die Einbindung von gender als Analysekategorie in ihrem jeweiligen Fach kommentieren. Anders als im "Genus"-Handbuch aber, das rein kulturwissenschaftlich ausgerichtet ist, kommen hier z. B. auch eine Agrarwissenschaftlerin (Parto Teherani-Krönner), eine Informatikerin (Heidi Schelhove), eine Juristin (Susanne Baer), eine Sozialwissenschaftlerin (Hildegard Maria Nickel), eine Wirtschaftswissenschaftlerin (Friederike Maier), eine Naturwissenschaftlerin (Elvira Scheich) und ein Sexualwissenschaftler (Gunter Schmidt) zu Wort.
Obwohl auch die Literaturwissenschaftlerin Inge Stephan und die Filmemacherin und Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun bereits seit den siebziger Jahren Leitfiguren der feministischen Forschung in Deutschland sind und auch sie keineswegs den politisch-feministischen Anspruch in ihren Arbeiten aus dem Blickfeld geraten lassen wollen, demonstrieren sie größtmögliche Offenheit gegenüber den neueren konstruktivistischen Ansätzen oder gegenüber den men's studies, kurz: all den heterogenen Ansätzen und Positionen gegenüber, die sich gegenwärtig unter dem Dach der gender studies tummeln. Völlig zu Recht erklären sie in ihrer instruktiven Einleitung, dass die "Feminismus-Kategorie" häufig "als Ausschluß- bzw. Ausgrenzungskategorie verstanden worden ist", während die Gender-Kategorie stärker "ein Angebot auch an männliche Wissenschaftler darstellt, sich mit der Konstruiertheit ihrer eigenen und der in Texten vermittelten Geschlechtsidentität auseinanderzusetzen. Damit kann die ungute 'Arbeitsteilung' zwischen Frauen, die Frauenforschung bzw. feministische Forschung betreiben, und Männern, die sich der 'richtigen' Wissenschaft widmen, aufgehoben werden". Zwar begreifen auch sie, wie der mainstream der Gendertheoretikerinnen, die Feministische Wissenschaft als historische Vorläuferin der gender studies, halten jedoch, anders als andere, an dem gleichzeitigen Nebeneinander beider Etikettierungen innerhalb der gegenwärtigen Forschung fest. Ihrer Meinung nach "ersetzen Gender-Studien nicht die Frauenforschung oder die feministische Wissenschaft. Diese können und sollen auch unabhängig davon als Schwerpunkte in der Disziplin weiterbestehen." Nur so sei "gesichert, dass die grundlegende Recherche und Kritik, die von der Frauenforschung und der Feministischen Literaturwissenschaft in der Vergangenheit geleistet worden sind, auch weiterhin zum Tragen kommen."
Wie wichtig den beiden Herausgeberinnen eine historische Fundierung der gender studies ist, zeigt auch das ungemein informative Einführungskapitel von Christina von Braun über "Gender, Geschlecht und Geschichte", das die historische Entwicklung der Überlagerung von biologischem und kulturellem Geschlecht nachzeichnet. Es ist insbesondere die Entwicklung der Alphabetschrift, die Christina von Braun als die für das Verhältnis von sex und gender zentrale Schwelle betrachtet. "Die symbolische Geschlechterordnung, die sich unter dem Einfluß der Alphabetschrift herausbildete, sollte jahrelang über die realen Geschlechterrollen bestimmen". Im Laufe der Zeit wurde dann die Gleichsetzung von symbolischer Geschlechterordnung mit Natur und Biologie vorgenommen.
Warum auch im deutschsprachigen Raum die Verwendung der Kategorie "Gender" statt des Begriffs "Geschlecht" vorzuziehen ist, begründet Inge Stephan plausibel in dem anschließenden Einführungskapitel über "Gender, Geschlecht und Theorie": Im Deutschen gibt es einfach keine adäquate Übersetzung für diesen vielschichtigen Begriff, in dem auch schon immer der Konstruktionscharakter von 'Geschlecht' mitschwingt und der zugleich die Gesamtheit der Geschlechterverhältnisse meint. In ihrem anschaulichen Überblick beschreibt sie unter anderem den Einfluß der amerikanischen Debatten auf die deutschsprachige Forschung. In der Darstellung der Debatten in Deutschland, die seit einigen Jahren vornehmlich um die Theorien Butlers kreisen, bleibt in der ausführlichen Rekonstruktion vor allem der Kritik an Butlers Thesen auch Stephans eigene kritische Haltung gegenüber den konstruktivistischen Analysen nicht ganz verborgen. Sie betrifft wohl vor allem "das Verhältnis von Körper und Leib, das Problem der Macht, den Alltag und den Bereich der Politik". So sind es insbesondere die "gegenwärtigen Auseinandersetzungen über die Zukunft des Menschen in den durch Gen- und Reproduktionstechnik einerseits und mediale Revolution sowie Globalisierung andererseits radikal veränderten Lebensverhältnissen", die sie veranlassen, folgende Schwerpunkte der internationalen Gender-Debatte als die auch noch in naher Zukunft relevanten anzuführen: "Identität", "Körper", "Sinne", "Wissen", "Natur", "Mythos", "Erinnern", "Sexualität", "Gewalt" und "Politik".
Einen prägnanten Überblick über die Vielzahl höchst unterschiedlicher Ansätze der gegenwärtigen men's studies, ihre Entwicklung, die Konzeptualisierung von Männlichkeiten und die zentralen Forschungsschwerpunkte "Gewalt", "männliche Sozialisation", "Jungenforschung und Jungenarbeit", "Männliche Sexualitäten" sowie über das "Verhältnis von Männerforschung zur Frauenforschung und zu den Gender Studies" bietet Willi Walter in dem letzten großen Einführungskapitel "Gender, Geschlecht und Männerforschung".
Vollends unentbehrlich macht sich diese Einführung in die Gender-Studien als tägliches Nachschlagewerk insbesondere durch das Adressverzeichnis der Einrichtungen zur Frauen- und Geschlechterforschung in Deutschland (zusammengestellt von Gabriele Jähnert), durch die Auflistung geschlechterforschungsorientierter Studiengänge, Graduiertenkollegs und Studienschwerpunkte in Deutschland (von Katrin Schäfgen) sowie wichtiger Datenbanken und anderer spezifischer Online-Angebote zur Frauen- und Geschlechterforschung im Internet sowie die Aufzählung wichtiger Zeitschriften für Frauen- und Geschlechterforschung (von Karin Aleksander).
Im Sinne des Plädoyers von Inge Stephan für eine größtmögliche Offenheit und Toleranz innerhalb der gender studies sollte man sich, neben diesem Buch, natürlich auch die erstgenannte Einführung von Becker-Schmidt und Knapp zulegen. Auf diese Weise erhält man einen breitgefächerten Überblick über all die heterogenen gendertheoretischen Ansätze der Gegenwart im deutschsprachigen Raum. Fehlen nur noch eine komplexe Einführung in die men's studies und eine erste Einführung in die queer studies.
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