Klima - Metaphysik

Über drei neue Sachbücher zum Klimawandel

Von Claus-Michael SchlesingerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Claus-Michael Schlesinger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Klimawandel ist ein ernstes Problem. Die Faszination des Themas und die komplexen Debatten, die sich darum bilden, sind jedoch nicht allein durch naturwissenschaftliche Erkenntnis begründet, sondern ebenso durch vielfältige symbolische Anschlussmöglichkeiten des Katastrophischen an die Schicksale regionaler, nationaler oder globaler Gemeinschaften. Der Klimawandel und seine Debatten sind nicht nur in Umweltfragen mit einer Politik der Selbstvergewisserung verknüpft.

Populäre Sachbücher, die sich mit dem Klimawandel beschäftigen, liefern durchaus Fakten und Erklärungen zum Naturphänomen. Unterschwellig aber geht es um nichts anderes als die Grundfragen menschlicher Existenz: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Was sollen wir tun? Drei neu erschienene Bücher widmen ihre Aufmerksamkeit je einer dieser Fragen.

Klimageschichte der Kultur

In seiner "Kulturgeschichte des Klimas" unternimmt Wolfgang Behringer eine tour de force durch hunderttausend Jahre Kulturgeschichte. "Kultur" versteht Behringer dabei als die Antwort des Menschen auf die Probleme, die die natürlichen Lebensbedingungen stellen. Entsprechend erscheinen das Klima und der Klimawandel als wichtigster Motor kultureller Entwicklung, weshalb "bereits geringe Veränderungen des Klimas zu enormen sozialen, politischen und religiösen Erschütterungen führen".

Diese Prämisse wäre interessant, wenn neben klimatischen auch andere - soziale, politische, wirtschaftliche, kulturelle - Faktoren als Gründe für gesellschaftlichen Wandel in Betracht gezogen würden. Behringer entwirft im Gegensatz dazu aber ein monokausales Modell, in dem Klimawandel als singuläre Ursache für gesellschaftlichen Wandel gesetzt wird. So wird beispielsweise die Entstehung der skandinavischen Königreiche im 10. Jahrhundert auf das mittelalterliche Wärmeoptimum zurückgeführt. Die Feststellung, dass die frühen Hochkulturen allesamt in einem Gebiet zwischen dem 20. und 40. Breitengrad auf der Nordhalbkugel liegen, erinnert so sehr an frühe klimadeterministische Modelle, dass der Autor explizit erklären muss, genau das sei nicht beabsichtigt. Nahezu grotesk wirkt der Versuch, barocke vanitas-Motive in Kunst und Literatur auf eine Seasonal Affective Disorder (SAD [sic!]) zurückzuführen, die durch das schlechte Wetter und den Mangel an Sonnenschein während einer besonders kühlen Periode der so genannten Kleinen Eiszeit hervorgerufen worden sei.

Dem ist zu entgegnen, dass kultureller Wandel allein deshalb nicht auf eine wie auch immer geartete Natur zurückgeführt werden kann, weil die Wahrnehmung von und der Umgang mit dieser Natur selbst durch kulturell geprägte Wahrnehmung und Werkzeuge bedingt ist. Kultur basiert auf Kultur. Die von Behringer vorgelegte "Kulturgeschichte des Klimas" ist deshalb in diesem Sinn keine Kulturgeschichte des Klimas, sondern eine Klimageschichte der Kultur.

Die Essenzialisierung des Klimas hat bereits seit einer Weile Konjunktur. Das Klima und die Ergebnisse der Klimaforschung verbinden auf ausreichend komplexe Weise global und lokal erfahrbare Wetter- und Naturereignisse, um als monokausale Begründung für kulturelle Entwicklungen zu dienen. Die Beschreibungen von Wetterphänomenen können durch den Anschluss an sinnliche Erfahrungen des Lesers zusätzlich Evidenz erzeugen. Denn unbenommen beherrscht das Wetter trotz vielfältiger Vermeidungstechniken, zum Beispiel in Form von Häusern oder Autos, oft genug das Leben, und sei es nur bei einem Picknick, das aufgrund eines Regenschauers ins Wasser fällt.

Plausibilisieren lassen sich die deterministischen Begründungen zusätzlich durch den starken Symbolwert von Naturkatastrophen: Wenn ein schwerer Erdrutsch ein Dorf zerstört, dann ist in diesem Bild des Ereignisses die Bedrohung der Gemeinschaft durch die unberechenbare Natur enthalten. Die Evidenz des Bildes verdeckt dabei, dass gesellschaftlicher und kultureller Wandel damit noch nicht erklärt sind.

In der Debatte um den Klimawandel wird die Wirkmächtigkeit solcher Symbole und Bilder nur selten reflektiert. Um den Zusammenhang von Klimawandel und Kultur zu verstehen, wäre aber genau das nötig - eine Kulturgeschichte des Klimas, die Kultur nicht als Reaktion auf Natur versteht, sondern als Konstellation vielfältiger Techniken und Praktiken der Produktion von Wissen und Erfahrung. Statt Kausalketten herzustellen, die ihren Ausgang in Naturkatastrophen nehmen, müsste man versuchen, die kulturellen Bestimmungen von Wetterphänomenen, ihren Ursachen und Konsequenzen in der Meteorologie, der Kunst, der Religion oder in der staatlichen Verwaltung zu erforschen, um auf diese Weise dem Regenschauer, der Überschwemmung, der Lawine, dem Orkan oder dem Flügelschlag der Schmetterlinge auf die Spur zu kommen.

Katastrophale Aussichten

Der vierte "Assessment Report" des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) enthält zusätzlich zu den statistisch belegten Vorhersagen auch einige Spekulationen, zum Beispiel: Möglicherweise schmilzt der grönländische Eisschelf aufgrund von Rückkopplungsprozessen schneller als erwartet, was den Meeresspiegel innerhalb weniger Jahrhunderte um sieben Meter steigen lassen würde. Ganze Landstriche - die norddeutsche Tiefebene, weite Teile der Niederlande und Bangladeshs, die pazifischen Atolle - versänken im Meer.

An dieser Stelle gesteigerter Bedrohung setzt der Bericht von Fred Pearce über "das wetter von morgen" ein. Pearce, seines Zeichens Wissenschaftsjournalist, geht nicht von einem graduellen, sondern von einem schwellenartigen Klimawandel aus. Das bedeutet, dass der Klimawandel dazu führt, dass das Klimasystem ab einem bestimmten Grad der Veränderung, ablesbar etwa am CO2-Gehalt der Atmosphäre, instabil wird und Rückkopplungsprozesse in Gang kommen, die unumkehrbar sind. Die dadurch ausgelöste Kettenreaktion führt dazu, dass das Klima kippt.

Die Klimawissenschaft kennt bisher zwei stabile Zustände des Erdklimas: Eiszeiten und Warmzeiten. Kennzeichnend für die jetzige Situation ist, dass sich die Welt bereits in einer Warmzeit befindet und sich weiter erwärmt. Was hinter der nächsten Schwelle wartet, weiß deshalb niemand. Auf dieses Nichtwissen gründet Pearce seine Wettervorhersagen. Der schwellenartige Wandel bedeutet für ihn eine gesteigerte Wahrscheinlichkeit unberechenbarer Katastrophen. Begründet wird dies durch einen unsauberen Umkehrschluss: Statistische Unsicherheiten konservativer Prognosen, zum Beispiel der des IPCC, werden umgedeutet in eine erhöhte Wahrscheinlichkeit des unberechenbaren Schwelleneffekts. Auf diese Weise lagert sich der Sound des Katastrophischen an die Vorhersagelücken an, die jedem wissenschaftlich begründbaren Klimamodell eigen sind. "Bis jetzt ist das Einzige, was man mit Gewissheit vorhersagen kann, die Ungewissheit." Restrisiko wird damit umgedeutet in Wahrscheinlichkeit. Viele der von Pearce aufgestellten Spekulationen werden mit Wendungen wie "aller Wahrscheinlichkeit nach" eingeleitet, obwohl sie sich auf die als unwahrscheinlich geltenden, aber eben nicht auszuschließenden Entwicklungen beziehen. Die Schilderung von Szenarien wird vorwiegend durch das Bedrohungspotenzial begründet, was gleichzeitig die Argumentationsstrategie treffend beschreibt: "Das ist zwar kein Beweis, aber trotzdem recht beängstigend."

Auf diese Weise verliert das plausible Grundkonzept, die Rückkopplungs- und Schwelleneffekte des Klimawandels herauszuarbeiten, an Kohärenz und Glaubwürdigkeit. Dafür steigt der Grusel- und Angstfaktor. Die Beschreibung einer handlungsmächtigen Natur, die nach der langen Reihe der vom Menschen begangenen Klimasünden erbarmungslos zurückschlägt, verleiht dem Ganzen seinen metaphysischen Touch. Hier zeigt sich, dass Verhandlungen des Klimawandels neben der informativen Präsentation meteorologischen Wissens auf Sinnfragen zielen, die sich weniger aus dem Klimawandel, sondern aus der grundlegenderen Suche nach kulturellem Selbstverständnis ergeben.

Gibt Behringers Klimageschichte der Kultur eine Antwort auf die Frage, woher wir kommen, widmet sich Pearce der zweiten Sinnfrage: Wo gehen wir hin? Die als naturwissenschaftlich behaupteten Szenarien sind also durchaus als Narrative in metaphysischen Belangen zu gebrauchen.

Neue Gemeinschaft: Klimaretter

Zur Suche nach Identität in Vergangenheit und Zukunft gehört als Drittes die Frage nach dem Handeln in der Gegenwart: Was sollen wir tun? Beide Bücher halten sich mit Antworten zurück. Behringer konstatiert distanziert, dass die Kultur auch diesmal eine Antwort auf die klimatischen Herausforderungen finden wird und sieht dies in den derzeitigen Bestrebungen von Umweltschutz und Entwicklungshilfe bereits angelegt. Pearce listet in einem kurzen Kapitel im Anhang einige technische Lösungsvorschläge auf, die notwendig wären, um ,das Schlimmste' zu verhindern. Die politische Dimension von Handlungsmöglichkeiten wird, flankiert von einem Zitat George W. Bushs verneint: Die Krise wird nicht politisch, sondern technologisch gelöst. Darin bestätigt sich ein Konzept, das eine unbeherrschbar gewaltige Natur proklamiert, um dieser sogleich die Fantasie technischer Steuerung entgegen zu setzen.

Anders definieren das Toralf Staud und Nick Reimer in ihrem Buch "Wir Klimaretter". Klimawandel wird hier nicht als nur naturwissenschaftlich beobachtbarer Prozess betrachtet, der irgendwie vom Menschen mitverursacht wird, sondern zusammen mit konkreten gesellschaftlichen Ursachen und Auswirkungen. Um zu verstehen, warum wider besseren Wissens umweltschädliche Techniken eingesetzt werden, ist es nötig, nach politischen und wirtschaftlichen Interessenlagen zu fragen. Damit wird die politische Dimension des Klimawandels und der entsprechenden Debatten und Handlungsweisen deutlich. Das zeigen Reimer/Staud unter anderem am Beispiel der Nutzung öffentlicher Güter wie Flüssen und der Atmosphäre. Die freie Nutzung dieser Güter ist die Grundlage für die Privatisierung von Nutzungsgewinnen - etwa bei der Herstellung von Strom in Kohlekraftwerken - einerseits und die Sozialisierung von Folgekosten, wie zum Beispiel im Falle von Waldschäden oder der großflächigen Absenkung des Ruhrgebiets durch den Kohlebergbau, andererseits. Argumente, die die Lösung der Probleme dem Markt und der technologischen Entwicklung zutrauen, werden auf diese Weise von Reimer/Staud entkräftet und das Problem des Klimawandels als ein politisches und soziales Problem etabliert. Das ist klug, weil auf diese Weise ein Feld eröffnet wird, auf dem Probleme und Zustände auf Interessenlagen zurückgeführt und diese untersucht werden können.

Dennoch beziehen sich die Autoren bei ihren eigenen Lösungsvorschlägen vorwiegend auf Technologien (wie zum Beispiel Offshore-Windparks für die Energieversorgung), politisch ist dann nur noch die Durchsetzung solcher Lösungen. Dabei sprechen die Autoren vor allem die Gruppe der Einzelnen an, die sowohl individuell als auch kollektiv durch ihr Verhalten dafür sorgen können und sollen, dass entsprechende Vorschläge umgesetzt werden, sei es durch das Beziehen von Ökostrom, die Teilnahme an Demonstrationen oder den Einbau einer effektiven Wärmepumpe im Mietshauskeller. Jedem Kapitel folgen deshalb konkrete Handlungsanweisungen und Forderungen an die Politik.

Zweiter Adressat ist der Staat, oft wiederholt wird die Forderung nach mehr staatlicher Regelung und Kontrolle: "Die Regierung muss etwas tun." Vorgeschlagen wird beispielsweise die Gründung einer "Klimapolizei", die unter anderem die Einhaltung von umweltrechtlich vorgegebenen Standards beim Neubau von Häusern überprüft und Verstöße ahndet. Das ist umso irritierender, als damit erstens die zu Beginn geleistete Etablierung einer grundlegenden politischen Dimension des Klimaproblems wieder reduziert wird auf staatliches Handeln. Zweitens und grundlegender wird die in technikorientierten Naturvorstellungen behauptete technische Regelbarkeit der Natur zu einer staatlichen Regelbarkeit der Gesellschaft verschoben. Neben einer "Klimapolizei" denken die Autoren auch an einen UN-Klima-Sicherheitsrat, der analog zum bestehenden Sicherheitsrat Sanktionen gegen Staaten verhängen und im Notfall - wer auch immer diesen dann definiert - Truppen entsenden darf. An dieser Stelle fehlt der Anschluss an die zuerst gestellte Frage nach den unübersichtlichen Interessenlagen bei den Verhandlungen zum Klimaschutz, in denen auch staatliche Interessen eine Rolle spielen, die weniger mit dem Klimaschutz als mit der Sicherung von Einfluss zu tun haben.

Festzuhalten bleibt, dass das Ansprechen der Gruppe von Einzelnen und des Staats ein Identitätsangebot bereithält, das sich, obgleich zukunftsbezogen, auf ein Handeln in der Gegenwart bezieht und nur schwer auszuschlagen ist - denn wer gehörte nicht gerne zu den ,Klimarettern'?

Alle drei Bücher stellen also das Klima, seinen Wandel und die menschlichen Einflussmöglichkeiten an die Stelle, von der aus Antworten auf die drei Fragen menschlicher Existenz gesucht werden können. Die angebotenen Gemeinschaftsmodelle - Menschheit, Hochkultur, BRD - ebnen dabei die an den Klimawandel und seine Debatte angeschlossenen politischen, wirtschaftlichen und anderen Interessenlagen ein. An die Stelle komplexer gesellschaftlicher und kultureller Wechselwirkungen tritt als gemeinschaftlicher Ursprung und Ursprung der Gemeinschaft qua Bedrohung das globale Klimasystem. Mit der Identifizierung des Klimas als Agens der Veränderung etablieren sich gleichzeitig Fantasien technischer Steuerung. Das ändert jedoch nichts daran, dass das Klima und darauf zurückgeführte Katastrophen als naturbedingt (wenn auch technisch beeinflussbar) wahrgenommen werden. Es ist nach wie vor der Flügelschlag des Schmetterlings, mit dem der Sturm beginnt, nicht das Wedeln mit Geld.


Titelbild

Fred Pearce: Das Wetter von morgen. Wenn das Klima zur Bedrohung wird.
Übersetzt aus dem Englischen von Gabriele Gockel und Barbara Steckhan.
Verlag Antje Kunstmann, mün 2007.
330 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783888974908

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Wolfgang Behringer: Kulturgeschichte des Klimas. Von der Eiszeit bis zur globalen Erwärmung.
Verlag C.H.Beck, München 2007.
352 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783406528668

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Toralf Staud / Nick Reimer: Wir Klimaretter - So ist die Wende noch zu schaffen.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007.
316 Seiten, 8,95 EUR.
ISBN-13: 9783462039085

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