Ist er niedlich oder ist er cool?

Ein Hase überwindet in Lida Dijkstras Kinderbuch seine Identitätskrise

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Niedlich? - Niedlich?! Gibt es wohl etwas Schrecklicheres für einen kleinen Hasen, als wenn man ihm ständig sagt: Och, ist der niiiiiedlich!? Nein, das gibt es wohl nicht. Also beschloss Tobi, "ein kleiner, weicher, wuschliger Hase", etwas dagegen zu tun. Zuerst kaufte er sich eine coole Sonnenbrille und stolzierte hin und her. Das fanden aber alle immer noch "niedlich". Dann ließ er sich ein Tattoo machen und einen Ring ins Ohr und knurrte vor sich hin. Obercool. Da waren sie schon stiller. Und dann besorgte sich Tobi ein Motorrad und "knatterte und qualmte" durch die Gegend, und einmal fuhr er sogar auf dem Hinterrad.

Jetzt fand ihn keiner mehr niedlich, denn das Motorrad stank ordentlich. Aber dann traf er eines Tages plötzlich Tine. Sie war "klein, weich und wuschelig, richtig zum Knuddeln", und Tobi fand sie niedlich. Aber sie mochte ihn nicht: "Hau ab, du Ekel", sagte sie.

"Guck mal, wie niedlich!", das Bilderbuch von Lida Dijkstra und Marije Tolman erzählt eine ganz einfache Geschichte. Von einem kleinen normalen Hasen, den seine Rolle, in die er hineingeboren wurde, überhaupt nicht gefällt. Der nicht mehr "niedlich" sein will. Kann man ja verstehen. Immer nur niedlich zu sein, egal was man macht, das ist auf Dauer ja schon etwas langweilig.

Deswegen verändert er sich, wird eklig, laut und anstrengend. Er spielt eine neue Rolle. Bis ihn die Liebe trifft, und er merkt, dass er so ja gar nicht ist. Weil Tine ihn so sieht, wie er zu sein scheint, ein Ekel. Daraufhin ändert er sich wieder.

Denn natürlich geht die Geschichte gut aus: Tobi wirft seine fetzigen Klamotten weg, verschenkt das Motorrad mitsamt Helm und cooler Sonnenbrille und obercoolem, langem Mantel und ist wieder niedlich. Er schenkt Tine einen Blumenstrauß, zieht bei ihr ein und kuschelt mit ihr im Schaukelstuhl gen Frühling.

Zum Glück vermeidet das Buch den pädagogischen Zeigefinger, der hier und da schon um die Ecke lugt. Denn am Schluss, im Frühling, kommen zwölf kleine Hasen, die sind "weich und wuschelig. Und natürlich auch: rotzfrech!"

Mit diesem Satz hört das Buch auch auf. Auf der letzten Seite springen die Häschen herum, beklecksen sich und die Bäume mit roter Farbe, schmeißen mit riesigen Keksen um sich, kacken von der Toilette nach außen, rasen gegen einen Topf... Ein buntes, aufregendes Leben, ganz ohne Anstrengung. Denn kleine Hasen sind nun mal so.

Alle Illustrationen sind bunt, niedlich-frech und voller kleiner Überraschungen, die ganz liebevoll und niedlich versteckt sind. Da sind dann zwei Leitersprossen in der krummen Leiter plötzlich rot, eine kleine Maus wohnt im Baum, in dem zwei Laternchen vor ihrem Türloch angebracht sind, ein Uhu hält mit Tobis Ohrring um die Hand einer Uhufrau an, und die Schachfiguren sind zebragestreift und schäfchenbewollt.

Ganz ernst nehmen kann man also den pädagogischen Appell nicht. Es heißt nicht: So darfst du nicht sein. Aber so sein, wie man wirklich ist, das sollte man schon. Und wenn die anderen anders sind, die eigenen Kinder gar, ist das auch schön.


Titelbild

Lida Dijkstra / Marijke Tolman: Guck mal, wie niedlich!
Übersetzt aus dem Niederländischen von Barbara Küper.
Moritz Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
32 Seiten, 11,80 EUR.
ISBN-13: 9783895651953

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