Kein Zuckerschlecken

Roger Grafs Krimi "Der Mann am Gartenzaun" ist ein gediegenes Stück Arbeit

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Steinhaufen und darunter ein Toter. Die Zürcher Polizei hat wahrscheinlich einfachere Aufgaben, als sich um einen seit langem toten Mann zu kümmern, dessen Identität so schwierig zu bestimmen ist wie in diesem Fall. Ein skelettierter Leichnam wird gefunden, anscheinend ermordet, und wir folgen nun Damian Stauffer und seinem Team dabei, wie sie sich auf den langen 376 Seiten langen Weg machen, um zu dem Toten eine Geschichte zu finden, an deren Ende er genau das ist, als was er auftritt: tot.

Mühsam folgen wir den Ermittlungen Schritt für Schritt, Erkenntnis folgt auf Erkenntnis, unabhängig davon, ob sie das Wesen der schweizerischen Polizeiarbeit betrifft, den Charakter der Ermittler oder den Toten selbst. Niemand scheint jemanden zu vermissen, niemand scheint ihn zu kennen, niemand hat ein Motiv, nichts gibt es, was zu ihm führt - außer vielleicht seiner teure Lederjacke und seine Körpergröße. Mehr als zwei Meter sind es, gebeugt ist er wohl gegangen und teuer waren seine Kleider.

Aber weil nicht nur das Eichhörnchen sich mühsam, aber erfolgreich ernährt, darf auch der Schweizer Ermittler nach und nach seine Erfolge einheimsen. Das nennt man gelegentlich "Polizeiarbeit", und diese ist kein Zuckerschlecken.

Gediegen ist das Verfahren, gediegen sind die Ergebnisse, und gediegen sind wohl auch die Figuren (bis auf den draufgängerischen Jungpolizisten, der sich ein wenig langweilt in Zürich).

Das alles geschieht auch erzählerisch mit einer Eleganz, die wohl ihre Kundschaft hat, der man allerdings auch nichts vorwerfen kann, passen Plot, Umsetzung und Fortgang doch wunderbar zusammen. Nur selten übertreibt Graf dabei, wie in jener Passage, in der sich zwei Polizisten darüber aufklären, dass auch sie nur Menschen sind und schon mal was übersehen: "Weißt du, wie viele Gewaltverbrechen nicht aufgeklärt werden, weil die Polizei die Hinweise und Spuren nicht richtig auswertet? Es ist erschreckend. Oft sind alle wichtigen Daten vorhanden, aber es ist niemand da, um sie zu sehen, um sie vernünftig auszuwerten." So etwas ließe sich beispielsweise auch über Literaturkritiker sagen, die ebenfalls manchmal unaufmerksam und zu wenig systematisch, am Ende zu unvernünftig sind, um ordentliche Arbeit zu machen. Das ist erschreckend.

Und diesen Schrecken teilen wir natürlich, wie könnten wir auch anders. Allerdings lassen sich dieses Statement - unter Kollegen gemacht -, Grafs Konzept, sein Fall, seine Aufklärung und sein Erzählgestus ganz allgemein als Plädoyer für eine vernünftige Haltung zum gegenwärtig sich etwas zuspitzenden Streit um die erkenntnistheoretischen Basis-Konzepte des Kriminalromans ansehen. Nicht die Extreme von heuristischem Optimismus der CSI- und Pathologen-Krimis oder der Befragungs- und Bauchkriminologen interessieren Graf, sondern eine vernünftige Systematik von Ermittlung und Erkenntnisgewinn.

Wir finden ein Foto, das irgendetwas zeigt: Nun wissen wir etwas mehr, nämlich dass der Tote einen Gartenzaun und einen sich abwendenden Mann fotografiert hat. Wir finden einen Mann, der sich anscheinend in den Toten verliebt hat. Also suchen wir in der Schwulenszene, ob dort ein großer Mann in gebeugter Haltung umgegangen ist. Eine Frau meldet sich, die ein paar aufregende Tage mit dem Toten verbracht hat, bis der dann mit 4.000 Franken verschwand - also nehmen wir an, dass wir es mit einem erwerbsmäßige Gigolo zu tun haben. Schritt für Schritt geht man voran, und mit jedem Schritt gibt es neue Erkenntnisse, die schließlich am Ende, auch wenn jeder Schritt für sich wenig Fortschritt zu versprechen scheint, zu einem Gesamtbild führen und zur Auflösung des Verbrechens.

Das ist sehr angenehm erzählt, aber auch einigermaßen gelungen konstruiert (wie der lange Tote ins Verbrechen gerät, ist vielleicht aber doch ein wenig dünn herbeigeführt). Dass nach und nach auch der systematische Ermittler Jägerinstinkt und Jagdhundqualitäten entwickelt, liest man allerdings deshalb mit Erstaunen, weil der geneigte Leser mit Jagdhunden vielleicht doch etwas mehr Dynamik und Hetze verbindet, als Grafs Text je zu irgendeinem Zeitpunkt zu vermitteln vermag.

Solche Sätze sind denn auch eher genreüblichen Klischees zuzuschreiben als dem Graf'schen Entwurf. Der hingegen ist so vernünftig wie die meisten seiner Figuren und wie selbst die Lektüre. Die ist keineswegs unvergnüglich, und sie ist sogar kurzweilig. Nichts quält einen, nichts lenkt einen ab, nichts, was gegen den Text spräche, außer dass nichts gegen ihn spricht. Echte Schweizer Wertarbeit eben.


Titelbild

Roger Graf: Der Mann am Gartenzaun.
Pendragon Verlag, Bielefeld 2008.
376 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783865321008

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