Überleben durch Anpassung

Marlene Streeruwitz' Erzählung "Majakowskiring"

Von Thomas KraftRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Kraft

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Viele Fragen ohne Fragezeichen, so ungestellt wie unbeantwortet. Verkürzte Sätze, wie mit Bitternis hinunter geschluckt. Es geht um die Liebe und um die Vergeblichkeit in der Erzählung "Majakowskiring" der Österreicherin Marlene Streeruwitz. Eine Frau, Eleonore, sitzt am Fenster eines Gartenhäuschens in Berlin-Pankow und durchmisst ihr bisheriges Leben. Gerade wurde sie wieder von einem Mann verlassen; sie sieht ihre Erwartungen gescheitert und hadert mit der Gegenwart, die nur noch Erinnerungen zulässt und Verluste addiert. Ihr Grübeln gilt einer verschwendeten Zeit, in der sie nahezu erstarrt den Launen ihrer Männer standgehalten hat.

Da ist der eifersüchtige Ryszard, der "letzte Dandy" aus Polen, der Verhaftungen und Verhöre nicht überwunden hat und diese nun auf gewaltsame Weise "nachstellt und in Lust wendet", nur um sich zeitweilig von seinen Traumata lösen und sich als Mann bestätigt fühlen zu können. Oder Paul, mit dem sie in einer amerikanischen Universitätsstadt eine scheinbar perfekte Beziehung zu führen schien und den sie dann mit einer anderen Frau ertappte. Und Richard aus München, der immer wieder auf Distanz ging und sie doch nicht freigab, gleichsam eine "Besetzung durch Nichtanwesenheit". Eleonore, die 52-Jährige Wirtschaftsjournalistin, hatte sich immer angepasst, an die Wünsche des alten Regimes ebenso wie an die ihrer jeweiligen Liebhaber. Es ist ihr nicht gegeben, sich zu wehren, sie befürchtet vielmehr, dann die letzte Kontrolle über sich zu verlieren.

Nun keimt in ihr blanker Hass. Ob es zu mehr reicht als dem Gang zum Flughafen bleibt am Ende ungewiss. Diesem Prozess der Selbstentäußerung entsprechen die Veränderungen ihrer Umgebung. Eleonore bewohnt ein früheres Gästehaus des DDR-Außenministeriums, das nun auch zum Abwicklungsobjekt wird. Ehemalige Besitzer haben, wie im Falle ihrer Liebhaber, Ansprüche angemeldet. Der nahe "Majakowskiring" fungiert als Bannmeile und Fluchtraum zugleich. Eleonore bezeichnet ihre Wohnung als "Warte- und Orgienzimmer", das ihr "die elendste Ehrlichkeit abpresste"; Gefühle der Einsamkeit und der Lust hat sie hier eben gleichermaßen empfunden.

Die im Text angelegten Entsprechungen sind offenkundig: So wie eine veränderte Gesellschaft Vergangenes idealisiert und sich mit Neuem zu arrangieren versucht, so kämpft Eleonore im Grunde um ihre Lebensfähigkeit. Die letzte Szene der Erzählung, in der Eleonore einen ehemals gemeinsamen Koffer beseitigt, deutet in ihrer drastischen Symbolik jedenfalls einen Aufbruch, einen kleinen Akt der Befreiung an. Mit der kleinen Einschränkung im Hinblick auf diese letzte Szene, die etwas zu simpel gestrickt erscheint, ist der Autorin ein nahezu perfekter Text gelungen. Sie lässt mit geringem Kraftaufwand ein ganzes Leben in einer Situation aufscheinen und spiegelt es, mit den Schatten spielend, in einem gesellschaftlichen Kontext, der - mit wenigen Tupfern angedeutet - das Notwendige erkennen lässt. "Warum war die DDR nicht das Paradies auf Erden geworden, in das man einwandern hätte mögen." Nur eine der vielen, sinnfälligen Fragen ohne Fragezeichen, die jeder für sich selbst beantworten kann.

Titelbild

Marlene Streeruwitz: Majakowskiring.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
100 Seiten, 10,20 EUR.
ISBN-10: 3596223962

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch