Keine uneingeschränkte Apologie

Thomas Kraft hat eine Biografie über Jakob Wassermann geschrieben

Von Wulf SegebrechtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wulf Segebrecht

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jakob Wassermann war zu seiner Zeit ein erfolgreicher, viel gelesener Schriftsteller, aber kein überaus sympathischer Zeitgenosse. Seine literarische Bedeutung ist nach heutiger Einschätzung begrenzt: "Er war ein radikaler Moralist, freilich mit einer Schwäche für billigen Pomp. Er war ein passionierter Psychologe mit dem Drang zur handfesten Kolportage", meint Marcel Reich-Ranicki, der hier teilweise an eine Formulierung Thomas Manns anschließt.

Wassermanns Beitrag zur sogenannten "Moderne", wenn man sie mit dem Expressionismus, mit Franz Kafka, mit James Joyce und mit der Neuen Sachlichkeit assoziiert, ist tatsächlich einigermaßen zweifelhaft. Seine Wirkung wurde mit seinem Tod (1934) abrupt liquidiert. Da stand er als jüdischer Schriftsteller bereits auf den Schwarzen Listen der Nationalsozialisten: Seine Bücher durften in Deutschland nicht mehr gedruckt und vertrieben werden. Man verunglimpfte ihn unsinnigerweise als "Deutschenfresser und Zionistenführer". Nach dem Krieg gab es immer wieder Versuche, ihm erneut Leser zu gewinnen mit Neudrucken seiner Werke, literaturwissenschaftlichen Wiederbelebungsbemühungen, Ausstellungen - alles ehrenwerte Aktionen. Aber ohne ein gerüttelt Maß auch an historischem Interesse ist ein Großteil des Werkes Wassermanns heute wohl kaum noch lesbar. Das ist der unausgesprochene Ausgangspunkt der Biografie, die Thomas Kraft geschrieben hat. Sie ist keine pauschale Leseempfehlung, keine uneingeschränkte Apologie, keine Ehrenrettung Wassermanns. An dessen Historizität lässt Thomas Kraft keinen Zweifel aufkommen. Im Gegenteil: Es sind gerade die Darstellungen der geistigen Bewegungen des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts, mit denen Wassermann in Berührung kam oder mit denen er sich auseinandersetzte, die dieser Biografie Gewicht und Bedeutung geben. Und hier gelingen Kraft auch die besten Charakterisierungen. Das gilt für die Darstellung der fränkischen Wurzeln Wasssermanns, der Münchener Bohème, der Wiener Moderne, der Beziehungen zur Psychoanalyse, der Freundschaften mit Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal, Richard Dehmel (und vielen anderen) und natürlich für die Darstellung der lebenslangen Auseinandersetzung Wassermanns mit dem Judentum und dem Antisemitismus sowie der literarischen Szene nach dem Ersten Weltkrieg, aber auch für die Erörterung der Leitthemen Wassermanns, etwa der Gerechtigkeitsthematik und der Justizkritik, die in den Kontext der zeitgenössischen Literatur gestellt werden.

Demgegenüber treten genauere Inhaltsangaben oder gar Analysen der meisten Romane Wassermanns in den Hintergrund. Nur der Gliederung des Buches und der Ausführlichkeit einzelner Kapitel ist zu entnehmen, dass Kraft den "Caspar Hauser" und den "Fall Maurizius" für die Höhepunkte der Erzählkunst Wassermanns und die Schrift "Mein Weg als Deutscher und Jude" für sein rückhaltlosestes Selbstbekenntnis hält. Die übrigen Werke Wassermanns erscheinen überwiegend aus der Perspektive der befreundeten Schriftstellerkollegen und der Kritiker oder mit den Auflagenzahlen, die das Ausmaß des Erfolgs oder Misserfolgs belegen sollen.

Es handelt sich also nicht um den Typ einer "Werkbiografie", sondern um eine zeit- und entwicklungsgeschichtliche Biografie der Persönlichkeit Wassermanns. Sein Privatleben mit dem Tagesablauf, den Freundschaften, den Ehekonflikten und außerehelichen Eskapaden, den Reisen und Verlagsverhandlungen wird eingehend und mit zahlreichen Zitaten von Zeitgenossen geschildert. Thomas Kraft verfolgt nicht, wie einige der Schriftstellerbiografien der letzten Jahre (beispielsweise Rüdger Safranskis Schiller-Biografie oder die George-Biografie von Thomas Karlauf) eine übergreifende These, die dann Schritt für Schritt belegt und verifiziert wird. Er blickt keineswegs interesselos, aber doch mit gebührender Distanz, die weder Sympathie noch Kritik ausschließt, auf seinen Autor.

Er aktualisiert ihn nicht, sondern überlässt es weitgehend dem Leser, die für ihn relevanten Schlussfolgerungen aus den Darstellungen seiner Lebensumstände zu ziehen. In diesem Verfahren wird das schriftstellerische Vermögen Krafts erkennbar, das mehr auf die Urteilsermöglichung setzt als auf die Überredung seiner Leser. Vielleicht wäre hie und da ein wenig mehr temperamentvolle Zuspitzung, etwas mehr Streitgeist wünschenswert gewesen. -Übrigens (um Missverständnisse auszuschließen): Überraschend ist der Rezensent in der "Danksagung" am Ende des Buches aufgeführt. Doch hat ihm der Verfasser nicht wirklich etwas zu verdanken. Dankenswert ist vielmehr der Umstand, dass Thomas Kraft dieses lesenswerte Buch geschrieben hat.


Titelbild

Thomas Kraft: Jakob Wassermann. Biografie.
dtv Verlag, München 2008.
260 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783423247054

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